«Es war nichts mehr wie vorher»: Vor 30 Jahren stürzte an der Grenze zum Zurzibiet eine Maschine ab

«Hier können Sie nicht durch», informiert mich der Feuerwehrmann in freundlichem, aber bestimmten Ton auf der Strasse zwischen Kaiserstuhl und Weiach. Ich befinde mich eigentlich auf dem Weg von der Arbeit nach Hause – nach Stadel. Was passiert sei, will ich wissen. «Vermutlich ein Zwischenfall mit einem Passagierflugzeug.» Mehr könne er auch nicht sagen. Via Neerach erreiche ich schliesslich meine Wohnung am Fusse des Stadlerbergs.  

Es muss gegen neun gewesen sein, an diesem Mittwoch, dem 14. November 1990. Die Informationen tröpfeln spärlich. Soziale Medien waren vor dreissig Jahren noch ein Fremdwort. Im Radio gibt es erste Meldungen, die noch mit Vorsicht zu geniessen sind.  

Erst als das Nachrichtenmagazin «10 vor 10» auf Sendung geht, lässt sich das Ausmass der Katastrophe langsam erahnen. Der Feuerwehrmann von eben sollte recht behalten. Werner Loosli von der Flughafendirektion bestätigt, dass eine DC-9 der italienischen Fluggesellschaft Alitalia mit Kursnummer AZ 404, von Mailand-Linate kommend, bei Weiach im Zürcher Unterland um kurz nach 20 Uhr abgestürzt ist. 

Alarm wurde nicht ausgelöst 

Draussen heulen immer wieder Sirenen. Einsatzkräfte bahnen sich den Weg Richtung Unfallstelle, die sich nur wenige hundert Meter Luftlinie von Fisibach und Kaiserstuhl befindet. Dort hat man ebenfalls registriert, dass etwas Aussergewöhnliches vorgefallen sein muss. «Ich war gerade im Turnen, als plötzlich die Nachricht die Runde machte», erinnert sich die Ehefrau des damaligen Materialwarts der Feuerwehr Fisibach-Kaiserstuhl. 

Ihr Mann Alfred Michel wäre für einen Einsatz eigentlich bereitgestanden. Doch so weit kam es nicht. «Ein Alarm ist bei uns eingegangen, doch er wurde nicht ausgelöst», sagt Ernst Meier, dazumal leitender Kommandant der ansässigen Feuerwehr. 

«Warum schiesst um diese Zeit das Militär?» 

Die Explosion, der Feuerball, der ganze Schrecken dieser Unglücksnacht ist den damaligen Einwohnerinnen und Einwohnern in den Gemeinden rund um den Stadlerberg bis heute in Erinnerung. Die Kirchenpflege Weiach tagte beispielsweise an diesem Abend, als der Pfarrer sich wunderte, dass «das Militär schiesse». Kurz darauf ging die Sirene. Feuerwehren aus Weiach und Stadel sowie aus dem deutschen Hohentengen waren schon in wenigen Minuten nach der eingegangenen Meldung an der Absturzstelle. 400 Sanitäter, Feuerwehrmänner, Polizisten und Soldaten standen die Nacht durch im Einsatz. 

Da sich rasch abzeichnete, dass es keine Überlebenden zu retten gab, beschränkten sie sich darauf, das Feuer zu bekämpfen, das Gelände zu sichern und die Bergung des nächsten Tages vorzubereiten. Die traurige Bilanz: Keiner der 40 Passagiere und sechs Besatzungsmitglieder hatte den Absturz überlebt. 

Die Arbeiten wurden am Donnerstag mit dem Tagesanbruch wieder aufgenommen. Auch eine Katastrophenkompagnie der Luftschutztruppen wurde eingesetzt. Die Stimmung war gespenstisch. Etwa um 9 Uhr begannen die Hilfskräfte mit der Bergung der Leichen. Diese wurden zur Identifizierung ins Gerichtsmedizinische Institut der Universität Zürich gebracht. 

Die Aufarbeitung des Unglücks mündete danach in einen langen Rechtsstreit, der 1999 vor Bundesgericht endete. Alitalia, deren Versicherer und Angehörige von Opfern hatten vor den Lausanner Richtern eine Mitschuld des diensthabenden Flugverkehrsleiters geltend gemacht. Dieser habe während anderthalb bis zwei Minuten nicht auf das zu tief fliegende Flugzeug reagiert, zudem seien nur zwei statt drei Lotsen präsent gewesen. Strafrechtlich kam es zu keiner Verurteilung. 

Der Absturz hinterliess Spuren 

Gemäss Untersuchungsbericht hatten die beiden italienischen Piloten unzweckmässig zusammengearbeitet, grundlegende Verfahrensregeln beim Anflug nicht eingehalten und Fehler mangelhaft analysiert. Der Flugkapitän habe wahrscheinlich einen Höhenmesser falsch abgelesen. 

In der Bevölkerung rund um den Unglücksort hinterliess der Absturz ebenfalls Spuren. Von da an sei nichts mehr wie vorher gewesen, schreibt Ulrich Brandenberger, Redaktor des Blogs «Weiacher Geschichten». 

«Es herrschte der Ausnahmezustand – für Tage. Der Name ‹Weiach› lief über die Ticker der Weltpresse», schildert Brandenberger. Auch Rolf Schumacher, der heutige Kommandant der Feuerwehr Region Belchen, denen die Gemeinden Fisibach, Kaiserstuhl, Siglistorf und Wislikofen angeschlossen sind, sagt, dass der 14. November 1990 nach wie vor in den Köpfen ist. «So etwas bringt man nicht raus.» Auch wenn seine Kollegen damals nicht zum Einsatz kamen. 

An der Absturzstelle erinnert ein schlichter Gedenkstein mit den Namen aller Opfer an das Unglück. Er war am ersten Jahrestag des Absturzes von Hinterbliebenen aufgestellt worden.