
Fachlehrpersonen-Mangel ist nicht nur eine Frage des richtigen Lohns
Den Aargauer Schulen fehlt es an genügend qualifiziertem Personal. Lehrpersonen sind Mangelware und noch prekärer ist die Lage bei den schulischen Heilpädagoginnen und Heilpädagogen. Weil die Schulen auch nach ihnen Jahr für Jahr vergeblich suchen, übernehmen den Förderunterricht vermehrt Lehrerinnen und Lehrer ohne die entsprechende Ausbildung. Im letzten Schuljahr arbeiteten im Aargau 369 ausgebildete schulische Heilpädagoginnen und 723 Personen ohne entsprechende Aus- oder Weiterbildung. Diese haben derzeit während fünf Jahren einen Lohnabzug von fünf Prozent, danach erhalten sie aber den gleichen Funktionslohn wie eine ausgebildete Fachlehrerin.
Zwölf Grossrätinnen und Grossräte aller Parteien wollen den Anreiz für die Weiterbildung von Lehrpersonen in der schulischen Heilpädagogik verstärken. Dies soll das über den Lohn geschehen: Wer ohne entsprechende Qualifikation Unterricht als schulische Heilpädagogin erteilt, soll demnach nur befristet angestellt werden. Zudem muss die Person innerhalb von fünf Jahren die Ausbildung abschliessen, tut sie dies nicht, müsste sie weiterhin auf den Funktionslohn einer Heilpädagogin verzichten.
Die hohe Zahl an Lehrpersonen im Aargau, die nicht genügend ausgebildet seien, schade der Qualität des Unterrichts, erschwere die Zusammenarbeit mit Eltern und Lehrpersonen und garantiere Jugendlichen und Kindern mit besonderen Bedürfnissen keine angemessene Ausbildung, finden die Grossrätinnen und Grossräte.
Regierungsrat will Handlungsspielraum der Schulen nicht einschränken
Im Juni wurde die Motion im Kantonsparlament eingereicht, jetzt liegt die Antwort des Regierungsrats vor. Dieser unterstützt zwar die Forderung, dass Lehrpersonen für die spezielle Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen über einen anerkannten Hochschulabschluss in schulischer Heilpädagogik verfügen sollen.
Trotzdem lehnt die Aargauer Regierung die Motion ab. Der Fachkräftemangel dürfe nicht verstärkt, das Prinzip des Funktionslohns nicht unterlaufen und der Handlungsspielraum der Anstellungsbehörden nicht eingeschränkt werden, so die Begründung.
Auswertung des neuen Finanzierungssystems abwarten
Gerade dass das System flexibel sei, trage dazu bei, auch in Zeiten des Lehrermangels den Schulbetrieb und den Unterricht aufrechtzuerhalten. Der Regierungsrat verweist dabei auf das neue Finanzierungsmodell, das seit August gilt und die integrative Schule mit ihren individuellen Bedürfnissen stärken soll.
Dabei wird bei der Berechnung des Schulgelds nicht mehr unterschieden, ob ein Kind spezielle Bedürfnisse oder eine Behinderung hat oder nicht. Pro Schülerin und Schüler erhalten die Schulen eine Pauschale, mit der sowohl der Regel- als auch der sonderpädagogische Unterricht finanziert wird.
Wie das neue System wirkt, wird überprüft, ein Zwischenbericht soll im Jahr 2023, ein Schlussbericht 2025 vorliegen. Bevor es soweit ist, sollen nach Ansicht des Regierungsrats keine wesentlichen Änderungen an den gesetzlichen Rahmenbedingungen vorgenommen werden.
Gleich verhält es sich beim neuen Lohnsystem, welches auf Funktionslöhnen basiert und im Januar eingeführt wird. Auch dieses soll umgesetzt und begleitet werden, bevor man es wieder ändert, so der Regierungsrat. Und schliesslich würde eine Dekretsänderung den Fachpersonenmangel sogar noch verstärken, da grundsätzlich als Heilpädagogen geeignete Lehrpersonen wegen der fehlenden formellen Ausbildung nach fünf Jahren nicht mehr weiter angestellt werden könnten.
Nur mit Fragen zum Lohn könne die gute Qualifizierung der Lehrpersonen zur Umsetzung der integrativen «Schule für Alle» nicht erreicht werden. Das Problem werde deshalb auch an die Hand genommen, wie der Regierungsrat in Erinnerung ruft, Massnahmen gegen den Lehrer- und Fachlehrpersonenmangel laufen bereits.
Flexibilität ändert nichts an der Qualifikation

Simona Brizzi, Grossrätin SP
Der Regierungsrat sei sehr vorsichtig und wolle ohne vorherige Evaluationen nichts verändern, sagt Mit-Motionärin Simona Brizzi (SP). Bis ins Jahr 2025 auf eine Studie zu warten, dauere aber zu lange. «Soll die Schule für Alle für alle Beteiligten funktionieren, braucht es jetzt ausgebildete Fachkräfte. Doch es fehlt auf allen Ebenen an qualifizierten Lehrpersonen.»
Auch wenn der Handlungsspielraum für die einzelnen Schulen nicht eingeschränkt werden soll, müsse die Beratung von Lehrpersonen und der heilpädagogische Unterricht von Fachpersonen übernommen werden. «Dafür braucht es immerhin ein Masterstudium, in dem Wissen vermittelt wird, das ansonsten an der Schule fehlt», so Brizzi.
Würden Lehrpersonen ohne zusätzliche Ausbildung die Funktion einer Heilpädagogin oder eines Heilpädagogen übernehmen, erreiche man das Ziel, einen qualitativ guten integrativen Unterricht für alle, nicht.
Dabei spiele es keine Rolle, wie lange die Lehrperson ihre Funktion schon ausübe. «Ob sie nach fünf Jahren auf dem Niveau einer ausgebildeten Heilpädagogin ist, wird schliesslich nicht überprüft», so Brizzi. Warum der Regierungsrat dem Beispiel aus dem Kanton Zürich nicht folgen will, wo nach einem entsprechenden Entscheid viele Lehrpersonen die Weiterbildung in Angriff genommen haben, kann sie nicht nachvollziehen, sie sagt:
«Ich begrüsse die Bemühungen und Massnahmen des Regierungsrats gegen den Lehrkräftemangel. Aber mehr Flexibilität und das neue Lohnsystem ändern noch nichts an der Qualifikation der Fachkräfte.»
Es sei klar, dass Schulleitungen und Lehrpersonen derzeit mit Corona viel leisteten, sagt die SP-Grossrätin. «Da bleibt wenig Raum für Weiterbildungen, wer Aufgaben übernehmen kann, tut es auch», so Brizzi.
Dennoch eile es, wolle man die Qualität der integrativen Schule gewährleisten und die Stabilisierung der Sonderschulquote erreichen. Ob sie um die Motion kämpfen werden oder sich mit der Überweisung als Postulat zufriedengeben wollen, müssen die Motionäre und Motionärinnen noch entschieden.
Der Regierungsrat zumindest wäre bereit, die Forderung als unverbindlicheres Postulat entgegenzunehmen – somit würde das Anliegen zumindest geprüft.