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Kaninchenfell verwerten, statt es wegzuwerfen: Ein Besuch in der Fellnähgruppe Kulm

Margrit Gloor trägt Fell an den Handgelenken und um den Hals. Oh Schreck, kann man das denn mit guten Gewissen tun? Ja, kann man. Wenn die Alternative wäre, dass das Fell im Abfall landet.

Dieser Gedanke gab den Ausschlag dafür, dass 1982 die Fellnähgruppe Kulm gegründet wurde. «Wir Gründerinnen waren alles Ehefrauen von Männern, die im ‹Chüngelizüchterverein› waren», sagt Gloor. Wurden die Tiere geschlachtet, war das Fell nur ein Abfallprodukt und wurde nicht weiterverwendet. Die Frauen fanden das schade und begannen sich damit auseinanderzusetzen, wie sie das flauschige Material verwerten können.

Acht Fellnähgruppen gibt es im Kanton Aargau (Bremgarten, Freiamt, Kulm, Lindwald-Möriken, Meisterschwanden, Schenkenbergertal, Thierstein-Gipf-Oberfrick und Uerkheim). Schweizweit sind es noch viele mehr. Sie alle tun dasselbe: Felle und/oder Angorawolle, die bei der Kaninchenzucht als Nebenprodukte anfallen, verwerten. (ewa)

Schritt eins: Aus der Haut muss Leder werden. Dafür werden die Felle zunächst auf Dreiecke aufgespannt und getrocknet. «Mein Mann sammelt die Felle bei den Züchtern ein, wir haben im Winter jeweils fast den ganzen Keller voll mit Fellen», sagt Gloor. Im Frühling werden die Stücke im Kanton Bern gegerbt, damit die Frauen sie weiterverarbeiten können. Möglich ist auch, die Stücke einzufärben, auch diese Aufträge vergibt die Gruppe aber an externe Spezialisten.

Das Fell wird durchschnitten

Weiterverarbeiten – das klingt so einfach. Ist es aber nicht. «Das ist alles Handarbeit», sagt Gloor. Es fängt schon beim Werkzeug an: Nichts mit Nähmaschine, stattdessen werden mit speziellen, dreieckigen Kürschnernadeln Leder und Fell durchschnitten, statt wie mit einer normalen Nähnadel durchstochen.

Nicht selten kommt bei der Verarbeitung eine Überraschung zu Tage, beispielsweise eine kahle Stelle. «Wir gehen immer vom Fell aus», sagt die geübte Näherin. Heisst: Die Fellnäherinnen sehen sich erst das Material an und entscheiden dann, was sie daraus fertigen.

Yeti und Bärli: Die Fellnäherinnen fertigen aus dem Rohmaterial Felltiere.
Auch Maulwurf und Co. sind dabei.
Armstulpen aus Kaninchen- und aus Fuchsfell.
Bommel aus Kaninchenfell als Schlüsselanhänger oder für die Mütze.
Auch die Felle verkaufen die Frauen am Marktstand.

Das können beispielsweise Kissen sein, Tierchen wie Bären oder Hunde aus Fell, Armstulpen oder Fingerringe. Und: Bommel für die Mütze oder als Schlüsselanhänger. Gerade solche plüschigen kleinen Teile oder die Felle, die an gefühlt sämtlichen Kapuzen von Winterjacken zu sehen sind, sorgen weltweit immer wieder für Aufregung.

Sei es, weil als Kunstpelz verkauft wird, was tatsächlich von echten Tieren stammt, oder weil das Rohmaterial aus Qualzuchten stammt. Anders bei dem, was die Fellnäherinnen herstellen: Wie die Hasen gehalten wurden und woher das Material stammt, müssen sie auf Etiketten deklarieren.

Und doch: Immer wieder mal werden die Frauen angefeindet, wenn sie an Marktständen ihre Produkte verkaufen, sagt Gloor. Wie man das den armen Tierli nur antun könne, heisst es dann. Gerne kläre sie auf, was hinter der Produktion steckt. «Ich würde beispielsweise nie einen Nerzmantel tragen.» Das, was sie hingegen verarbeite, tue und trage sie mit gutem Gewissen.

Auch, wenn sie ein Fuchsfell unter den Fingern hat. Bei den Jägern habe sich herumgesprochen, dass die Frauen mit Fell umzugehen wissen. Immer wieder mal fertigt Gloor deshalb, nach Mass notabene, eine Trappermütze an oder Armstulpen und Bommel aus dem Fell der Tiere, die auf der Jagd geschossen werden.

Auch Männer sind willkommen

Mit dem, was die Gruppe beim Verkauf der Produkte einnimmt, machen die Mitglieder – so Corona will – einen Ausflug oder gönnen sich ein Essen in einem guten Restaurant. Sieben Frauen seien aktuell Mitglied in der Fellnähgruppe Kulm. «Wir würden uns über mehr freuen – auch Männer sind willkommen!», sagt Gloor. Mitbringen müsse man Freude am Material und am Nähen. Und vielleicht die eine oder andere Geschichte, denn bei allem Handwerk seien die 14-täglichen Treffen jeweils auch «Schnädderiöbig».

Aber jetzt, Frau Gloor, die Karten auf den Tisch: Sind Sie Tierliebhaberin? «Absolut», sagt sie, ohne zu zögern. Nebst den Chüngeln des Mannes halte das Ehepaar eine Katze, Laufenten, Hühner und sie kümmere sich gerne um die Tiere. Das Hasenfell am Arm trägt sie mit Stolz. «Wir verwerten das ganze Tier und das ist eine gute Sache.»