Sie sind hier: Home > Aargau > «Meilenstein für die Krebspatienten im Aargau»: Am PSI wird mit neuer Bestrahlung tödlichster Krebs bekämpft

«Meilenstein für die Krebspatienten im Aargau»: Am PSI wird mit neuer Bestrahlung tödlichster Krebs bekämpft

Schon seit 25 Jahren behandelt das Paul Scherrer Institut mit Protonentherapie erfolgreich Patienten mit Tumoren im Hals und Kopfbereich sowie am Körperstamm. Neu kommen jetzt – im Rahmen einer neuen Studie – auch inoperable Lungentumore dazu, der tödlichsten Krebsart in der Schweiz: Vor kurzem wurde eine 60-jährige, an Lungenkrebs erkrankte Patientin mit Protonen bestrahlt. Damit betritt das PSI in der Schweiz Neuland.

Vom Einsatz der besonders schonenden und präzisen Bestrahlungsart bei Lungenkrebs erhoffen sich die Ärzte weniger Nebenwirkungen am gesunden Lungengewebe und am Herz. Das PSI nimmt gemeinsam mit dem Radio-Onkologie-Zentrum der Kantonsspitäler Aarau (KSA) und Baden (KSB) an der Studie teil – als einzige Einrichtungen ausserhalb der USA, wie es in einer Mitteilung heisst.

Neue Therapie soll Nebenwirkungen reduzieren

Etwa 4500 Patienten erkranken in der Schweiz jährlich an Lungenkrebs. Die Krebsart ist somit nicht nur die tödlichste, sondern auch die häufigste im Land. Die gängige Behandlung besteht in einer Operation. Bei fortgeschrittenen Tumoren folgen darauf Chemotherapie und Bestrahlung mit Röntgenstrahlen, manchmal Immuntherapie. Doch nicht alle Tumore in der Lunge lassen sich durch eine Operation entfernen.

Forschende versuchen deshalb intensiv, die nicht-operativen Behandlungsmethoden zu verbessern. Für Patienten in der Schweiz ist am Paul Scherrer Institut PSI jetzt eine neue Option hinzugekommen: Bestrahlung mit Protonen. Damit wollen PSI-Forschende die Überlebenszeit für die Patienten auch ohne Tumorentfernung verlängern und strahlentherapiebedingte Nebenwirkungen am Herz sowie Lungenentzündungen vermindern.

Die im PSI nun behandelte Patientin habe einen Tumor im fortgeschrittenen Stadium, der nicht operiert werden könne, sagt Damien Weber, der Chefarzt und Leiter des Protonentherapiezentrums am PSI. Die Studie der amerikanischen Organisation für klinische Studien NRG Oncology vergleicht den Behandlungserfolg von herkömmlicher Strahlentherapie mit der von Protonentherapie beim nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom – der häufigsten Form von Lungenkrebs – im fortgeschrittenen, inoperablen Stadium.

«Dass unser Radio-Onkologie-Zentrum und das PSI an der Studie mitwirken dürfen, ist nur aufgrund der langjährigen Expertise unserer beiden Einrichtungen auf dem Gebiet der Strahlentherapie und unserer Mitgliedschaft bei NRG Oncology möglich», sagt Oliver Riesterer, der Chefarzt des Radio-Onkologie-Zentrums Aarau und Baden. «Wir können unseren Krebspatienten hier eine einzigartige Möglichkeit anbieten: die Teilnahme an der ersten Studie in der Schweiz, die Protonentherapie und herkömmliche Strahlentherapie randomisiert vergleicht.»

Für Studie entscheidet das Los, welcher Patient wie behandelt wird

Die Zuteilung der Patienten erfolgt per Losverfahren: Einige werden mit Protonen am PSI bestrahlt, andere wie bisher mit Röntgenstrahlen am Radio-Onkologie-Zentrum KSA-KSB. «Da wir die modernsten Geräte haben, die es derzeit für die klassische Strahlentherapie gibt, vergleichen wir das Beste mit dem Besten», freut sich Riesterer über den Studienstart.

Beide Bestrahlungsarten schädigen die Erbsubstanz in den Tumorzellen und töten sie damit ab – den Unterschied könnten ihre physikalischen Eigenschaften machen: Die klassische Strahlentherapie verwendet Röntgenstrahlen, also Photonen, die Protonentherapie dagegen geladene Teilchen. Die Röntgenstrahlen lassen sich zwar heutzutage sehr präzise auf den Tumor fokussieren, aber Photonen streuen auch in das umgebende, gesunde Gewebe und schädigen es – je höher die Strahlendosis ist, desto mehr.

Demgegenüber haben Protonenstrahlen eine viel höhere Präzision. Mit der am PSI entwickelten Spot-Scanning-Bestrahlungstechnik wird ein bleistiftdünner Teilchenstrahl aus Protonen auf den Tumor gerichtet und tastet ihn von hinten nach vorne in seinem ganzen Volumen ab. Dabei deponieren die Protonen fast ihre gesamte Energie direkt im Tumor und zerstören so die Krebszellen.

Im gesunden Gewebe vor dem Tumor kommt nur eine sehr geringe Dosis an, und das Gewebe hinter dem Tumor erhält keine mehr, weil die Strahlung – im Gegensatz zur Photonenstrahlung – durch das Tumorgewebe abgebremst wird. So ist die Strahlenbelastung des gesunden Gewebes viel geringer.

Bevor die Studie überhaupt starten durfte, musste sich das PSI – wie alle teilnehmenden Einrichtungen einschliesslich dem Radio-Onkologie-Zentrum der beiden Kantonsspitäler – aufwendig durch das von NRG Oncology beauftragte M.D. Anderson Cancer Center in Houston akkreditieren lassen. «So mussten wir unter anderem nachweisen, dass wir einen Tumor in einer Patienten-Attrappe bis auf zwei Millimeter genau treffen und dass dort auch genau die Dosis ankommt, die wir vorher berechnet haben», sagt der Radioonkologe Dominic Leiser vom PSI.

Insgesamt sollen in die Studie 330 Patienten eingeschlossen werden, etwa zehn davon in der Schweiz. «Die Zusammenarbeit unserer beiden Institutionen ist ein Meilenstein für die Krebspatienten im Kanton Aargau», sagt Weber. Auch in anderen Projekten wollen die beiden Einrichtungen künftig enger zusammenarbeiten. Riesterer betont: «Unser Ziel ist es, Photonen- und Protonentherapie bestmöglich zum Wohle unserer Patienten einzusetzen.»