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Archäologin Andrea Schaer: «Das neue Bad wird zu einer Ikone, davon bin ich überzeugt»

15 Jahre lang hat Andrea Schaer im Bäderquartier gegraben und geforscht, gehadert und gejubelt, zunächst als Mitarbeiterin, später im Auftrag der Kantonsarchäologie Aargau. Bevor das neue Thermalbad Fortyseven gebaut und nun eröffnet werden konnte, suchte sie im Badener Boden im Auftrag der Kantonsarchäologie Zeugen aus vergangenen Epochen. Sie versuchte die Funde zu retten – oder zumindest für die Nachwelt zu dokumentieren.

Schaer, die aus Bern stammt, ist in den vergangenen 15 Jahren zu einer Botschafterin der Stadt Baden geworden. «Ich kann historische Spuren lesen und in die heutige Zeit übersetzen. Mein Ziel war es, der Stadt Baden gewissermassen ihre Geschichte zurückzugeben. Und den Menschen die enorme kulturhistorische Bedeutung ihrer Stadt vor Augen zu führen», sagt sie.

Kesselbad im Untergeschoss des Thermalbads zu sehen

Neuerdings für die Öffentlichkeit zu sehen: Das 700 Jahre alte Kesselbad im Untergeschoss des «Fortyseven».

Schaer findet nach eineinhalb Jahrzehnten Forschung, dass die Bedeutung des Bäderquartiers nicht hoch genug eingestuft werden könne. Einer der Schätze, den sie ausfindig machte und der die Bedeutung Badens vor Augen führt, kann neuerdings im Untergeschoss des neuen Thermalbads hinter Glas bestaunt werden: Das eindrückliche, mittelalterliche Kesselbad.

Schaer erklärt: «Gefunden haben wir es im Herbst 2009, ausgegraben dann im Jahr 2010. Es handelt sich um ein mittelalterliches Gemeinschaftsbad. Wir zeigen es so, wie es zur Zeit der Habsburger bestand.»

Das Kesselbad war das grösste Bad im «Hinterhof», der vor rund 700 Jahren der bedeutendste Gasthof in den Bädern war. Es wurde danach wiederholt umgebaut: Erst kam eine Wand dazu, um Männer und Frauen zu trennen, ehe in den darauffolgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten die beiden Beckenteile sukzessive weiter unterteilt wurden. Bis das Bad in den 1870er-Jahren, als der Hinterhof abgebrochen wurde, fünf einzelne kleine Wannen umfasste.

Schaer und ihr Team haben die Zeit nun zurückgedreht und das Bad Stein für Stein zurückgebaut, so dass es den «Fortyseven»-Gästen nun im fast im ursprünglichen Zustand des 14. Jahrhundert gezeigt werden kann. «Den Anstoss, das Bad zu erhalten und nicht abzureissen, gaben Investor Benno Zehnder und Architekt Mario Botta», sagt Schaer. «Beide waren bei den Grabungen oft vor Ort. Ich zeigte ihnen das Kesselbad, erklärte es ihnen.»

Der nächste Schritt wäre gewesen, es weiter auszugraben und dabei ganz abzutragen, damit das Thermalbad wie geplant hätte gebaut werden können.

«Zehnder und Botta fanden dann aber, das Objekt müsse erhalten bleiben.»

Der Erhalt des Kesselbads habe Konsequenzen für den Thermalbad-Bau gehabt, gibt Schaer zu bedenken: «Zugunsten dieses Objekts wurde von der Bauherrschaft bewirtschaftbare Fläche aufgegeben».

Der Technikraum wurde angepasst. «Ursprünglich war die Idee, dort auch noch Parkplätze zu erstellen.»

Kesselbad ist ein Begriff aus dem Mittelalter – für Bäder, die sich unmittelbar über Quellen befinden. Auch dieses Bad hat in der Mitte ein rundes Loch, das aussieht wie eine Quellfassung. «Interessanterweise lag hier die Quelle allerdings 40 Meter entfernt ausserhalb des Gasthofs und das Wasser wurde in diesem Fall allerdings mittels einer Druckleitung ins Bad geleitet. Die Gasthaus-Betreiber errichteten dann eine Art «Fake-Quellfassung, um den Gästen das Erlebnis eines Kesselbads zu bieten», führt Schaer aus.

Im Bäderquartier gab es allerdings auch archäologische Funde, «die bedauerlicherweise nicht erhalten werden konnten und zerstört wurden». Nach wie vor sichtbar ist zwar eine Apsis eines Badebeckens aus römischer Zeit, dies im Untergeschoss des Wohnhauses neben dem Fortyseven. Die Apsis steht seit den 1970er-Jahren unter Schutz und musste darum auch im Neubau integriert werden. «Gut erhaltene Reste des Bades, zu welchem die Apsis gehörte, konnten beim Abbruch des Staadhofs vor einigen Jahren leider nicht erhalten werden. Im Nachhinein ist bedauerlich, dass man keine Lösung suchte.»

«Das neue Bad wird zu einer Ikone»

Für das Archäologie-Projekt in Baden gab Andrea Schaer einst eine Festanstellung auf.

«Dies, weil ich glaubte, etwas bewegen und mit Leuten arbeiten zu können, die ich sonst nie kennengelernt hätte.»

Bereut hat sie ihren Entscheid nie: «Die Dimensionen, welche dieses Projekt annahmen, konnte ich nicht erahnen, so wie niemand. Baden hat meine Perspektiven auf meinen Beruf verändert, darauf, was ein Kulturerbe ist.» Insbesondere im Jahr 2020 kamen noch Funde hinzu, die weltweit für Schlagzeilen sorgen, so die Freilegung des Verenabades aus Römerzeit.

Das neue Thermalbad aus der Luft. Zum Bau hat Andrea Schaer eine klare Meinung.

Ein Blick in die Zukunft: Wird auch das neue Botta-Thermalbad dereinst ein schützenswertes Bauwerk, das vor dem Abriss bewahrt werden wird? Schaer: «Das ist schwierig zu beurteilen. Es ist ein Bau von Mario Botta, alleine durch den Namen erhält der Bau eine Bedeutung. Aber wie die Menschen in fünfzig Jahren darauf reagieren, können wir nicht voraussagen.» Otto Glaus, der in den 1960er-Jahren das Vorgängerbad entwarf, «fand man einst brillant, dann galten seine Werke zwischenzeitlich als schreckliche Betonarchitektur, inzwischen werden solche Brutalismus-Bauten wieder unter Denkmalschutz gestellt».

Persönlich sei sie vom neuen Bad schlicht überwältigt:

«Es ist ein absoluter Gewaltsbau. Das Bad wird zu einer Ikone, davon bin ich überzeugt.»

Vor wenigen Tagen stand sie wieder beim Oederlin-Areal und blickte über den Fluss zum Bad hinüber. «Nur schon, wenn ich mir den Anblick vor Augen führe, habe ich Hühnerhaut.»