
Frost, Unwetter, Hagel: So trifft es die Aargauer Obstbauern – und das tun sie dagegen
Die Zahlen sind niederschmetternd. Bis zu 85 Prozent geringer soll die Aprikosenernte dieses Jahr ausfallen. So hört man es aus dem Wallis. Erst hat der Frost eine Mehrzahl der Blüten dahingerafft und dann haben Kälte und Regen die Früchte beschädigt. Aber auch in anderen Regionen der Schweiz leiden die Obstbauern. André Ziegler aus Brunnenthal im Solothurnischen Bucheggberg erzählt, wie ihm der Hagel in den letzten Wochen die gesamte Kirschenernte zerstörte. Trotz Plastikdächern. Die ganze Anlage sei futsch.
Ähnlich tönt es in vielen Regionen der Schweiz. Und darüber hinaus. Vom Aargauer Konfitüren-Hersteller Hero ist zu hören, dass die Rohstoffbeschaffung – und damit ist insbesondere auch das Obst gemeint – in ganz Europa schwierig ist. Der Frost, das schlechte Wetter, der Hagel – sie kennen keine Landesgrenzen. Die Frage ist also nicht: Hat es auch den Aargau getroffen? Sondern bloss: Wie hart hat es ihn getroffen?
Aprikosen: Im Folientunnel beginnt schon bald die Ernte, auf offenem Feld hat der Frost gewütet

Andy Steinacher ist Präsident der Aargauer Obstbauern.
Wir treffen Andy Steinacher auf dem Eichhof in Egliswil, dem Hof seines Berufskollegen Urs Baur. Wenn einer weiss, wie es um die Obstbauern im Aargau bestellt ist, dann Steinacher. Er ist Präsident des Verbandes Aargauer Obstproduzenten (VAOP) und damit oberster Obstbauer des Kantons. «Die Freiland-Aprikosen sind auch im Aargau samt und sonders erfroren», sagt Steinacher. Obwohl die ganze Schweiz immer von Walliser Aprikosen spricht, werden auch in anderen Kantonen Aprikosen angebaut. Allerdings kommen 95 Prozent ursprünglich aus dem Sonnen-Kanton.

Urs Baur aus Egliswil war der erste Bauer in der Schweiz, der Obstbäume im Folientunnel anbaute.
Den Grund, warum Steinacher von Freiland-Aprikosen spricht, kriegen wir wenig später zu sehen. Urs Baur, auf dessen Hof wir uns treffen, war der erste Obstbauer im Land, der Aprikosen in einem sogenannten Folientunnel anbaute. Der schützt die sensiblen Früchte vor Nässe und Kälte. Und während fast ausschliesslich alle Aprikosenanbauer im Aargau dieses Jahr leer ausgehen, sind die ersten Früchte in Baurs Tunnel reif und bereit zur Ernte.

Während im Wallis 85 Prozent der Aprikosenernte dem Frost zum Opfer fiel, kann Urs Baur aus Egliswil dank Folientunnel eine anständige Ernte verzeichnen.
Nun sind Aprikosen nicht das Aushängeschild des Aargau, des viertgrössten Obstkantons des Landes. Nur auf knapp 3,32 Hektaren wird das orange Steinobst im Kanton angebaut. Weit verbreiteter sind Äpfel (140,21 Hektaren), Kirschen (87,65 Hektaren), Zwetschgen (39,29 Hektaren) und Birnen (16,36 Hektaren), so die Zahlen des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) von 2020.
Die Bäume blühen immer früher, der Frost kommt unverändert spät
Nicht all diese Obstsorten wurden vom Frost nach Ostern gleich hart getroffen. Wie sehr der Frost die Ernte schädigte, hängt insbesondere von zwei Faktoren ab: der Blütezeit und der Schutzmassnahmen. Grob kann man sagen: Um Anfang April blüht zuerst das Steinobst (Aprikosen, Kirschen und Zwetschgen), dann folgt zwei bis vier Wochen später das Kernobst (Äpfel und Birnen).
Die Blütezeiten verschoben sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter nach vorn. Steinacher spricht von zwei bis drei Wochen im Vergleich zu seiner Kindheit. Wegen des Klimawandels, das heisst der milden Winter. Zugleich sind die Frostnächte unverändert spät oder tendenziell sogar nach hinten gerutscht. Die Gefahr eines Ernteausfalls ist damit klar angestiegen.
Doch die Bauern haben reagiert. Mit Plastikdächern, Netzen, Paraffinkerzen und seit jüngstem auch mit Folientunnels – wie Bauer Baur aus Egliswil. Dank der Überbauung hat er seine Aprikosen trotz später Frostnächte und schlechten Wetters zur Reife bringen können. Im Gegensatz zu all seinen Kollegen mit Freiland-Aprikosen. Aber wie sieht es bei den anderen Früchten aus?
Kirschen: Kaum Verluste bei Tafelkirschen – Knappheiten bei Konservenkirschen
In der Nordwestschweiz (Aargau, Baselland und Solothurn) wird knapp jede zweite Tafelkirsche geerntet, die in der Schweiz verspeist wird. Nur im Baselbiet werden auf mehr Fläche Kirschen angebaut als im Aargau. Rüebli-Kanton? Nein, Kirschen-Kanton. Im Gegensatz aber zu den Aprikosen, die grossmehrheitlich Freiland angebaut werden, sind die Tafelkirschen bei professionellen Obstbauern gedeckt.
Ein Plastikdach gegen den Regen, Netze zum Schutz vor Vögeln und Schadinsekten. Zudem waren die Anlagen während der Frostnächte nach Ostern meist beheizt. Steinacher selbst sagt: «Ich habe rund 10’000 Franken ausgegeben für Schutzmassnahmen.» Da geht es vor allem ums Heizen. Mit Paraffinkerzen, Pellet- oder Gasöfen. Wer das rechtzeitig gemacht habe, könne heute wohl mit einer normalen Ernte rechnen. Über den ganzen Kanton könnte es leichte Einbussen geben, von um die 15 Prozent. Maximal, meint Steinacher. Eine mittlere bis gute Ernte.
Etwas aber sei speziell, so Steincher: «Die Bäume blühten dieses Jahr fast einen ganzen Monat. Das ist aussergewöhnlich. Ich kann mich nicht erinnern, das schon einmal erlebt zu haben.» Folge davon ist, dass am gleichen Baum noch grüne und schon reife Kirschen hängen werden. «Obstbauern und Pflücker werden speziell gefordert sein», so Steinacher trocken. Der Aufwand ist entsprechend gross, was wiederum den Ertrag schmälert – trotz eher bescheidenen Frostausfällen.
Ganz anders sieht es dagegen bei den Konservenkirschen aus, die für Abnehmer wie die Hero in Lenzburg angebaut werden. Werfen die Tafelkirschen für den Bauern um die sechs Franken ab, sind es bei Industriekirschen knapp zwei Franken. Entsprechend geringer der Aufwand zum Schutz. «Da ist vieles erfroren und entsprechend knapp wird das Angebot auf dem Konservenmarkt», so Steinacher.
Zwetschgen: Frostschäden helfen, Arbeit zu sparen – und fördern Qualität

Die Zwetschgenernte dürfte unter dem Frost leiden. Erste Schätzungen fehlen aber noch.
Wie bei den Kirschen belegt der Aargau (39,29 Hektaren) auch bei den Zwetschgen Platz zwei bei den wichtigsten Anbaukantonen schweizweit. Erneut hinter Baselland (48,24) und nur knapp vor der Waadt (35,40), dem Thurgau (35,06) und dem Wallis (34,70). «Bei den Zwetschgen hat der Frost ziemlich eingeschenkt», sagt Steinacher. Wie schlimm genau es um die dunkelblaue Frucht bestellt ist, kann er nicht sagen. Noch fehlen erste Ernteschätzungen.
Zugleich aber beschwichtigt der oberste Obstbauer des Kantons: «In normalen Jahren müssen wir Schweizer Produzenten bis zu 80 Prozent der Früchte abreissen, damit die Qualität stimmt.» Das irritiert, hat aber seine ganz einfache Logik. Eine Zwetschge braucht etwa drei bis fünf Blätter, die sie mittels Fotosynthese mit Zucker versorgen. «Sonst wird sie sauer», erklärt Steinacher.
Ausdünnen nennt man das Herunterreissen überzähliger Früchte. Aufwendige Handarbeit. Oft teurer als die Ernte selbst. Eine Arbeit, die dieses Jahr wohl kaum anfällt. Steinacher: «Die Zwetschgenbauern werden wohl nicht gleich viel Geld einnehmen wie letztes Jahr. Aber der geringere Aufwand beim Ausdünnen mildert den Schaden durch den Frost.»

Letztes Jahr war ein Mostjahr, deshalb fällt 2021 die Ernte für gewöhnlich schmaler aus. Man spricht von einem Alternanzjahr.
Äpfel und Birnen: Geringere Ernte als 2020 – zum Glück
Hauptanbaugebiete von Äpfeln und Birnen sind der Thurgau und das Wallis. Weit abgeschlagen belegt der Aargau bei beiden Früchten den vierten Platz im schweizweiten Vergleich. «Das Kernobst hat nach dem letzten Frost geblüht, ich rechne mit einem ganz normalen Ertrag», sagt Steinacher. Nach dem letzten ertragsreichen Jahr fällt die Ernte 2021 ohnehin schmaler aus. Im Fachjargon spricht man von Most- und Alternanzjahren.

Birnen und Äpfel leiden in der Regel weniger unter Frost, weil sie später blühen.
Das ist auch durchaus in Ordnung, so Steinacher. «Wir haben Most für drei Jahre an Lager», sagt er. Würde die Ernte erneut so üppig ausfallen wie 2020, er wüsste gar nicht, was man mit all den Äpfeln machen würde. Wenigstens, solange die Leute nicht mehr Most trinken.
Schlussfazit: Ja, der Frost hat auch im Aargau Spuren hinterlassen. Aber sieht ganz so aus, als würden die meisten Obstbauern hier mit einem blauen Auge davonkommen. Weil sie Glück hatten. Vor allem aber, weil sie rechtzeitig reagiert und ihre Obstbäume geschützt haben.