
«Für solche Momente lebt man als Arzt» – Chefarzt über die Behandlung von Corona-Patienten
Herr Schwendinger, wie herausfordernd ist die momentane Situation für Sie und Ihr Team im Vergleich zum Alltag?
Das Notfallzentrum des Kantonsspitals Baden wird jährlich von rund 60’000 Patienten aufgesucht. Insbesondere über die Festtage an Weihnachten herrscht jeweils Hochbetrieb. Im Vergleich dazu ist es jetzt derzeit ziemlich ruhig. Die grösste Herausforderung stellt die Unberechenbarkeit der Pandemie dar. Es ist schwer, abzuschätzen, was auf uns zukommen wird.
Wie gehen Sie vor, wenn ein Patient im Notfall eingeliefert wird?
Wir haben im gesamten Spital die Wege von Covid- und Nicht-Covid-Patienten konsequent getrennt. Gerade im Notfall ist diese Einteilung aber nicht immer einfach, da die Diagnose ja oft noch nicht feststeht. Wenn wir bei der Triage Symptome wie Fieber, Husten oder Atemprobleme feststellen, gehen wir von einem möglichen «Coronafall» aus und behandeln den Patienten mit entsprechender Vorsicht. Das heisst, wir führen ihn in den isolierten Bereich.
Welche Fragen haben Coronapatienten an Sie?
Die Patienten sind verunsichert und angespannt. Die Angst vor einem möglichen schwerwiegenden Verlauf der Krankheit ist spürbar. Viel Fragen drehen sich um diesen Themenkomplex. Abhilfe schafft in der Regel eine nüchterne Analyse der Faktenlage. Wir nehmen die Sorgen sehr ernst, bagatellisieren nichts, analysieren die Ausgangslage und entscheiden dann über das weitere Vorgehen.
Was hat Sie überrascht im Zusammenhang mit Corona?
Wie rasch sich der Gesundheitszustand der Patienten verschlechtern kann.
Welches war der bislang emotionalste Moment?
Ein älterer Patient, der von sich aus eine Beatmung ablehnte mit der Begründung, er wolle seinen Platz einem jüngeren Patienten zur Verfügung stellen. Wir haben ihn darauf hingewiesen, dass wir ausreichend Beatmungsplätze hätten. Er wollte trotzdem nichts von einer künstlichen Beatmung wissen. Dies hatte er auch in seiner Patientenverfügung so festgehalten. Solche Entscheide gehen unter die Haut.
Ihr bisher schwierigster Fall?
Wir behandeln diverse Schwerstkranke. Jeder ist ein hochkomplexer, schwieriger Fall. Aus medizinischer Sicht besteht die grösste Schwierigkeit darin, dass man die Krankheit noch nicht kennt. Es gibt bisher keine validierte Covid-Therapie. Mangels Erfahrungswerten sind viele Therapieansätze experimentell.
Und der schönste Moment?
Wenn ein Patient die Intensivstation wieder verlassen kann. Für solche Momente lebt man als Arzt. Auch die zahlreichen Dankes- und Solidaritätsbekundungen aus der Bevölkerung freuen uns sehr. Und die enge und gute Zusammenarbeit im KSB hat mich positiv überrascht. Die gegenseitige Hilfsbereitschaft ist eindrücklich, die Krise schweisst uns zusammen.
Stimmt es, dass auf dem Notfall derzeit weniger Patienten mit Herzinfarkten und Hirnschlägen eintreffen?
Ja. Das Patientenaufkommen im Notfallzentrum hat sich in den vergangenen Tagen um rund 40 Prozent reduziert. Es gibt so gut wie keine Bagatellfälle mehr, und auch die Arbeits- und Sportunfälle sind stark rückläufig. Auch bei den Schlaganfällen, Herzinfarkten und Notoperationen haben wir einen bemerkenswerten Rückgang festgestellt. Wir versuchen derzeit, wissenschaftlich fundierte Erklärungen für diese Phänomene zu finden.
Haben Sie eine Vermutung?
Offenbar haben viele Leute Angst, das Spital zu belasten. Dazu kommt wohl die Tatsache, dass bei älteren Personen viele Leiden und Krankheiten unbemerkt geschehen, weil die Besuche der Angehörigen seltener geworden sind.
Gerade für Risikogruppen stellt das Coronavirus eine relevante Gefahr dar. Um eine weitere Ausbreitung zu verhindern, ist es wichtig, dass sich alle an die Vorgaben der Behörden halten. Gleichzeitig darf man aber auch andere Krankheiten nicht unterschätzen oder gar vergessen. Bei heftigen Schmerzen im Brust- oder Bauchbereich sowie bei Lähmungserscheinungen gilt es, keine Zeit zu verlieren und die Notrufnummer 144 zu wählen. Niemand soll aus Rücksicht vor einer vermeintlichen Überlastung der Spitäler mit schwerwiegenden Erkrankungen zu Hause auf Besserung warten. Im KSB sind wir trotz Coronakrise so aufgestellt, dass wir eine adäquate Behandlung gewährleisten können.