Gallati: «Die Intensivstationen im Aargau sind seit Ende August überlastet»

Am Mittwoch sind in den Aargauer Spitälern 75 Covid-Patientinnen und Covid-Patienten behandelt worden. 24 davon lagen auf der Intensivstation, drei auf der Überwachungsstation. Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati ist besorgt:

«Seit Ende August besteht eine Überlastung der Aargauer Spitäler im Bereich der Intensivpflegestationen.»

Einige Patienten aus dem Aargau mussten bereits in ausserkantonale Spitäler verlegt werden und die Spitäler müssen wieder nicht-dringende Operationen verschieben, damit sie mehr Personal auf den Intensivstationen für die Behandlung von Covid-Patienten einsetzen können.

 

Die aktuelle Situation stelle die Spitäler vor ein «ethisches Dilemma». Das berichtet das Online-Portal «watson» mit Verweis auf ein internes E-Mail der Leitung des Kantonsspitals Baden (KSB). Im KSB liegen gemäss dieser Mitteilung in acht von zehn Intensivbetten «meist ungeimpfte» Covid-Patientinnen.

«Da stellt sich unweigerlich die Frage, wie wir mit Patienten umgehen, die kein Covid haben, aber sich in einer lebensbedrohlichen Situation befinden.»

Zur Veranschaulichung wird im E-Mail das Beispiel einer Patientin mit einem Aneurysma geschildert, die verlegt werden musste. «Dies darf kein Dauerzustand werden, denn auch Nicht-Covid-Patienten haben ein Anrecht auf eine adäquate Behandlung respektive einen IPS-Platz.»

Das Kantonsspital Baden nimmt am Montag ein zusätzliches Bett auf der Intensivstation in Betrieb.

Das Kantonsspital Baden nimmt am Montag ein zusätzliches Bett auf der Intensivstation in Betrieb.

Alex Spichale

Das KSB, das bisher die Intensivbetten nicht aufgestockt hat, will deshalb ab kommendem Montag ein elftes Bett in Betrieb nehmen und dieses für «chirurgische Non-Covid-Patienten reservieren». Gegenüber «watson» bestätigte das Spital die Echtheit der Nachricht, äusserte sich aber nicht weiter dazu.

In jedem zweiten Intensivbett liegt ein Covid-19-Patient

Auch wenn nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, zeigt die interne Mitteilung aus dem KSB sehr deutlich die Auswirkungen der steigenden Infektionszahlen auf das Gesundheitswesen. Im Kanton Aargau liegt inzwischen in jedem zweiten der 48 verfügbaren Betten auf der Intensivstation ein Covid-Patient. Schweizweit ist der Anteil mit rund einem Drittel noch deutlich tiefer.

 

Die Situation wird sich noch verschärfen. In den kommenden Tagen repatriiert der Kanton Aargau «mehrere Personen, welche zusätzlich in Spitalpflege aufgenommen werden müssen», heisst es im Newsletter des kantonalen Covid-19-Programms.

Rekrutierung und Ausbildung von Personal ist ein langwieriger Prozess

Gleichzeitig lassen sich die Kapazitäten auf der Intensivstation nicht einfach beliebig ausbauen, wie dies die SVP Schweiz in der Vergangenheit mehrmals gefordert hatte. Im Aargau können die Spitäler wegen Personalmangel die Kapazitäten nicht einmal mehr so stark steigern, wie noch in der zweiten Welle vor einem Jahr.

Auch Gesundheitsdirektor Gallati sagt: «Die seit anderthalb Jahren andauernde starke Belastung macht den IPS-Pflegerinnen und IPS-Pflegern stark zu schaffen.» Die Rekrutierung und Ausbildung neuer IPS-Pflegekräfte sei für die Spitäler «ein sehr aufwendiger und langwieriger Prozess».

Viele intensiv Behandelte leiden an schweren Langzeitfolgen

Ausserdem lasse sich das Kernproblem einer Pandemie mit einem Ausbau der Intensivplätze oder Personalkapazitäten nicht lösen. Viele Covid-19-Patienten, die auf der Intensivstation behandelt wurden, leiden danach laut Gallati unter schweren Langzeitfolgen mit langen Aufenthalten in einer Reha-Klinik und nachhaltig eingeschränkter Arbeitsfähigkeit.

«Eine Durchseuchung kann deshalb keine Option sein.»

Es brauche eine hohe Impfquote, um aus der Pandemie zu kommen, findet der Gesundheitsdirektor. Müssten die Spitäler nämlich nur jene Covid-Patienten behandeln, die geimpft sind, wären sie nicht überlastet. Das zeigen die Zahlen, die der Kanton gestern in seinem Covid-19-Newsletter erstmals veröffentlicht hat.

Demnach wurden im Aargau seit dem 21. August drei einfach und eine vollständig geimpfte Person wegen Covid-19 auf der Intensivstation behandelt. Auf der Bettenstation wurden im selben Zeitraum zehn einfach und 18 vollständig geimpfte Personen behandelt.

Der Kanton versäumt es, Zahlen in Relation zu stellen

Der Kanton schreibt zwar, dass «fast alle» Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation ungeimpft sind, versäumt es aber, mitzuteilen, wie viele ungeimpfte Personen seit dem 21. August wegen Covid-19 in den Spitälern behandelt wurden und kann diese Zahl auf Anfrage auch nicht nennen. «Da wir per Stichzeit die Belegung der Spitäler und nicht die Neueintritte abfragen, haben wir diese Zahlen nicht in der kantonalen Statistik», schreibt das Gesundheitsdepartement und verweist ans Bundesamt für Gesundheit.

Dieses erhebt die Daten seit dem 27. Januar direkt bei den Spitälern, stellt die Zahlen aber «angesichts der geringen Zahl geimpfter Patientinnen und Patienten» nur für die ganze Schweiz und Liechtenstein und nicht für einzelne Kantone zur Verfügung. Dies auch, um den Datenschutz zu gewährleisten.

Spitaleintritte nach Impfstatus – Schweiz und Liechtenstein

Schweizweit mussten zwischen dem 27. Januar und dem 8. September 9147 Covid-Patientinnen und Covid-Patienten ins Spital. 181 waren doppelt geimpft. Das entspricht einem Anteil von knapp zwei Prozent und unterstreicht, dass die Impfung gegen Covid-19 zu über 90 Prozent vor einem schweren Krankheitsverlauf schützt.