
Gefährliches Manöver im Siegestaumel kommt Fahrer teuer zu stehen
Eigentlich ist Pietro (Name geändert) zurückhaltend. Er sei viel zu Hause, sagte er vor dem Bezirksgericht Bremgarten. Am 13. Juni 2016 gab er sich einen Ruck. Zusammen mit Kollegen geht er in die «Zanzibar» in Wohlen. Es ist EM. Italien spielt gegen Belgien. Die Italiener gewinnen das Spiel 2:0. Die Freude ist riesig. Autos, geschmückt mit grün-weiss-roten Fähnchen, stehen bereit. Auch Pietro, damals 19, will das einmal erleben. Mit einem Autokorso den Sieg feiern. «Ich wollte anständig durchfahren, mit der Fahne am Auto, ein bisschen geniessen und Freude haben», sagt er. Sein Plan: um den Azag-Kreisel, an der «Zanzibar» vorbei, zum Bären-Kreisel, nochmals an der «Zanzibar» vorbei. Dann nach Hause.
Es kommt anders
Auf dem Trottoir vor der «Zanzibar» sind Fans weiterhin am Feiern, als sich Pietro mit seinem Lexus das zweite Mal nähert. Er beschleunigt, fährt hochtourig. Plötzlich lenkt er abrupt nach links und später nach rechts, um das Ausschwenken zu korrigieren. Das Heck bricht aus, das Auto kommt ins Rutschen, dreht sich um die eigene Achse, driftet in Richtung Trottoir und kollidiert schliesslich mit einem Betonsockel mit Blumen. Mehrere Personen können sich noch mit einem Sprung zur Seite retten. Einige filmen, was sich vor der Bar abspielt. Am nächsten Tag titelt der Blick: «Drift-Depp rast in Wohlen fast in Menschenmenge».
Die Staatsanwaltschaft eröffnet ein Verfahren. Sie wirft Pietro vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln sowie versuchte, mehrfache schwere Körperverletzung vor. Es sei ein reiner Zufall, dass es nicht zur effektiven Kollision gekommen sei. Hätten sich die Menschen nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht, wäre mindestens mit komplizierten Beinbrüchen zu rechnen gewesen, heisst es in der Anklage.
Vor Gericht sagte Pietro gestern Mittwoch, er sei erschrocken, habe einer Person ausweichen müssen, deshalb das Manöver. Er habe niemandem verletzen wollen. Als sein Auto endlich stillstand, sei er geschockt gewesen. Er habe das noch nie erlebt, habe seinen Führerausweis erst seit etwa einem halben Jahr gehabt, den Schleuderkurs noch nicht absolviert. Er sei ausgestiegen, ein Mann sei auf ihn zugekommen, habe gefragt, wie es gehe, und er habe gefragt, wie es den Leuten gehe. Im Hintergrund habe er Geschrei gehört, Leute, die aggressiv waren. Auf ihn.
Und dann fuhr er davon
Gerichtspräsident Lukas Trost will von Pietro wissen, warum er damals nicht der Polizei Bescheid gesagt habe. So habe er verhindert, dass seine Fahrfähigkeit überprüft werden konnte. Ausserdem sei er seiner Pflicht, einen möglichen Sachschaden zu melden, nicht nachgekommen. Auch das wirft ihm der Staatsanwalt vor. «Ich habe Angst gehabt, dass mir die anderen etwas machen», sagt Pietro. Zu Hause habe er seinen Eltern erzählt, was passiert war. Dann habe er sich ins Bett gelegt, unruhig geschlafen. Was genau geschah, realisierte er am nächsten Morgen, als er die ersten Zeitungsartikel las. Gemeinsam mit seinem Anwalt sei er dann zur Polizei gegangen.
Der Staatsanwalt forderte eine teil-bedingte Gefängnisstrafe von 32 Monaten und 1000 Franken Busse. Sechs Monate hätte Pietro absitzen müssen. Sein Anwalt verlangte eine bedingte Geldstrafe von 13 500 Franken und eine Busse von 1500 Franken wegen fahrlässiger Verletzung der Verkehrsregeln. Es sei nicht wegzudiskutieren, dass Personen gefährdet wurden. Aber sein Mandant habe niemanden verletzen wollen.
Das Gericht folgte dem Verteidiger und verurteilte Pietro wegen vorsätzlicher Verletzung der Verkehrsregeln zu einer bedingten Geldstrafe von 28 800 Franken und 1000 Franken Busse. Ausserdem muss er die entstandenen Kosten von fast 20 000 Franken übernehmen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Gerichtspräsident Trost zitierte in der Urteilsbegründung aus dem psychologischen Gutachten. Darin sei von einem «besonnenen, risikobewussten, jungen Mann, der alle notwendigen Voraussetzungen zum Autofahren mitbringt» die Rede. «Aber an diesem Abend waren Sie ein ganz schlechter Autofahrer», so Trost. Pietro habe sich ganz bewusst für eine nicht angepasste Geschwindigkeit entschieden. «Das ist total daneben», so Trost. Er habe wahnsinnig Glück gehabt. «Ein paar Meter und es wären Leute im Rollstuhl gelandet oder gestorben.» Wenn er heute mit dem Auto in heikle Situationen gerate und ihn die Erinnerungen von damals einholten, solle er daran denken, dass es nun wohl Fussballfans gebe, die sich wegen ihm nicht mehr aufs Trottoir vor der «Zanzibar» trauen.