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Fricktaler verhandelte an Klimakonferenz mit: «Jedes Land hat knallhart versucht, seine Interessen durchzusetzen.»

Es war eine intensive Zeit. Zwei Wochen lang war Gunthard Niederbäumer im November in Glasgow – er war Teil der 21-köpfigen Schweizer Delegation an der Klimakonferenz. Der Fricker Gemeinderat, der ab Januar Vizeammann sein wird, lacht. Nein, sagt er, für Eindrücke neben der Konferenz sei wenig Zeit geblieben. Gut, der Sonntag sei frei gewesen und ab und an sei er, wenn es die Sitzungen zugelassen hätten, auch zwischendurch mal raus, um den Kopf durchzulüften.

Gunthard Niederbäumer, Teilnehmer der Klimakonferenz.

Doch solche Ausgänge mussten gut überlegt sein, denn an den Eingängen herrschte eine rigorose Kontrolle. Zum einen wegen der Sicherheit, zum anderen wegen Corona. Niederbäumer:

«Ich wurde in den 14 Tagen 16-mal auf Corona getestet.»

Gleichzeitig galt auf dem ganzen Areal Maskenpflicht. Die Konferenz unter Coronabedingungen zu erleben, war für den studierten Klimatologen neu; das Gipfel-Feeling dagegen nicht. Niederbäumer war bereits das vierte Mal Teil der Schweizer Delegation; das erste Mal war er 2017 in Bonn dabei.

Niederbäumer vertritt die Economiesuisse

Wie kam er dazu? «Es ist Tradition, dass einige Mitglieder der Delegation aus der Zivilgesellschaft kommen», erzählt Niederbäumer. Angefragt würden NGO und Wirtschaftsvertreter. Und Economiesuisse, der Dachverband der Schweizer Wirtschaft, fragte Niederbäumer an.

Der Klimatologe, der den Bereich Nichtleben- und Rückversicherungen beim Schweizerischen Versicherungsverband leitet, musste damals nicht lange überlegen. «Es war mir sofort klar, dass ich das machen will.» Das erste Mal sei er von den Eindrücken fast erschlagen gewesen, erzählt der Fricker Gemeinderat, fügt schmunzelnd an: «Inzwischen ist es fast schon Routine.»

Soweit es Routine sein kann, denn die Verhandlungen sind immer neu – und werde auch hart geführt. Niederbäumer vertrat die Schweiz in den Verhandlungen zur Frage, wie man Klimaschädigungen finanziell regelt, die bereits vorhanden sind. Er sagt:

«Das Pariser Abkommen schaut nur in die Zukunft.»

Doch insbesondere betroffene Staaten aus dem Süden drängten darauf, dass man auch in die Vergangenheit zurückschaut – und bereits entstandene Schäden vergütet. Die Schweiz und viele andere Länder sehen andere Mittel – etwa über die Entwicklungshilfe – für geeigneter an, um auf diese Schäden zu reagieren als das Pariser Abkommen.

«Durchzogene Bilanz» nach den zwei Verhandlungswochen

Inzwischen ist das Thema der Rückvergütung zwar im Abkommen drin, aber ohne Gelder. Man sei in Glasgow «einen kleinen Schritt» weitergekommen, bilanziert Niederbäumer. «Allerdings nicht aus Schweizer Sicht.»

Er zieht nach der Konferenz «eine durchzogene Bilanz». Beim Emissionshandel, einem für die Schweiz wichtigen Thema, sei man einen Schritt weiter gekommen. «Das ist positiv.» Schade findet er, dass der Kohleausstieg am Schluss am Widerstand aus China und Indien gescheitert ist. «Eine verpasste Chance.»

Stimmung in der Schweizer ­Delegation war sehr positiv

Die Verhandlungen hat Niederbäumer hart und auf die eigenen Interessen fokussiert erlebt. «Jedes Land hat knallhart versucht, seine eigenen Interessen durchzusetzen.» Das sei zwar verständlich, aber zugleich für ein Weiterkommen hinderlich.

Sehr positiv hat er, wie auch an den Konferenzen zuvor, die Schweizer Delegation erlebt. «Die Stimmung war gut und es war auch sehr angenehm und unkompliziert, mit den drei anwesenden Bundesräten zusammenzuarbeiten.» Neben Bundesrätin Simonetta Sommaruga nahmen Bundespräsident Guy Parmelin und Bundesrat Ueli Maurer teil.

Die Schweizer Delegation, die auf zwei Hotels verteilt war, traf sich jeden Morgen um 8 Uhr zur Delegationssitzung. «Jeder erzählte, wo er in den Verhandlungen steht, und wir diskutierten die weitere Strategie.» Dieser Erfahrungsaustausch sei wichtig gewesen, blickt Niederbäumer zurück, verhehlt aber nicht:

«In den Verhandlungen selber war man dann schon sehr einsam.»

Als besonders eindrücklich hat er den Tag im Plenarsaal erlebt, als mit Boris Johnson, dem Premierminister Englands, US-Präsident Joe Biden, Prinz Charles und Amazon-Boss Jeff Bezos gleich vier Cracks am gleichen Tag auftraten. «Sie zu erleben, war schon sehr eindrücklich», so Niederbäumer.

Klimakonferenz ist ein wichtiges Gefäss

Seit der Rückkehr in die Schweiz sind nun zehn Tage verstrichen. Welche Gesamtbilanz zieht Niederbäumer heute? «Die Klimakonferenz ist trotz schleppendem Vorwärtskommen ein wichtiges Gefäss», sagt er. «Es ist wichtig, als Weltgemeinschaft dranzubleiben.» Niederbäumer macht sich aber nichts vor: «Wir bekommen das Klimaproblem jedoch nur in den Griff, wenn auch die Wirtschaft und die Bevölkerung mitziehen.» Hier sieht er eine Aufbruchstimmung. «Das stimmt mich zuversichtlich.»

Wird er auch an der 27. Klimakonferenz, die 2022 in Ägypten stattfinden wird, dabei sein? «Das ist noch völlig offen», sagt Niederbäumer. Das entscheide der Bundesrat jeweils im Sommer vor der Konferenz. Lust darauf, das spürt man im Gespräch, hätte der Klimatologe. Denn das Klima ist ihm alles andere als egal.