Hasskommentare: Warum sich Gemeindeschreiber Daniel Wicki nicht strafbar machte

Der Fall im Überblick

6. Dezember 2018 Der «Blick» macht publik, dass der Boswiler Gemeindeschreiber Daniel Wicki im Internet gegen Flüchtlinge und Sozialhilfebezüger hetzt.

10. Dezember 2018 Reto Karich, Parteipräsident der SP Boswil, zeigt Daniel Wicki an. Der Gemeinderat beurlaubt den Gemeindeschreiber per sofort. 

15. Januar 2019 Wicki kehrt an seinen Arbeitsplatz zurück, weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen ihn einstellen wird.

18. Januar 2019 Der «Blick» macht publik, dass der Gemeindeschreiber zahlreiche Einbürgerungsgesuche verschlampt hatte. Der Gemeinderat hat Daniel Wicki daraufhin gekündigt und per sofort freigestellt.

Am 10. Dezember 2018 hatte Reto Karich, Parteipräsident der SP Boswil, den Boswiler Gemeindeschreiber Daniel Wicki bei der Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten angezeigt. Der Grund für die Anzeige waren Online-Kommentare, in denen Wicki zum Beispiel verlangte, kriminelle Asylsuchende «an die Wand zu stellen und ihnen eine saubere 9mm-Impfung zu verpassen».

Die Staatsanwaltschaft hat geprüft, ob die vier Online-Kommentare, die Anfang Dezember im «Blick» abgedruckt wurden, strafrechtlich relevant sind. Das heisst in diesem Fall, ob sie den Straftatbestand der Rassendiskriminierung oder der öffentlichen Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit erfüllen. Mitte Januar teilte die Staatsanwaltschaft dem Gemeindeschreiber mit, dass das Verfahren gegen ihn eingestellt werde (die AZ berichtete). Inzwischen liegt auch die schriftliche Einstellungsverfügung vor. Sie zeigt, was die Staatsanwaltschaft im Fall Wicki alles unternommen hatte und warum sie zum Schluss kam, dass sich der Gemeindeschreiber nicht strafbar gemacht hatte.

Zwei Einvernahmen
Am 14. Dezember 2018 beauftragte die Staatsanwaltschaft die Kantonspolizei, Wickis Facebook-Account – den er in der Zwischenzeit gelöscht hatte – wiederherzustellen und die Daten nach den Kommentaren zu durchsuchen. Die Spezialisten bei der Polizei konnten den Account zwar wiederherstellen, fanden aber nur noch zwei Kommentare. Am gleichen Tag wurde Wicki polizeilich einvernommen. Die Polizei befragte ihn zu den vier Kommentaren, die er in Boswil oder an seinem Wohnort zwischen dem 1. Januar 2016 und dem 30. November 2018 verfasst hatte.

In der Einvernahme bestritt Wicki die Vorwürfe, er hätte mit seinem Kommentar zur öffentlichen Erschiessung von Flüchtlingen aufgerufen. Das würde so nicht stimmen. Als er am 9. Januar 2019 von der Staatsanwaltschaft einvernommen wurde, sagte er, dass er mit seinem Kommentar «lediglich seinen Unmut über die Vergewaltigungen kundtun wollte», heisst es in der Einstellungsverfügung. Für seine Wortwahl hätte er sich aber in aller Form entschuldigt.

«Persönliche Unmutsäusserung»
Im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Rassendiskriminierung schreibt die Staatsanwaltschaft allgemein, dass der Meinungsäusserungsfreiheit Rechnung getragen werden müsse. Das Bundesgericht halte fest, dass es «in einer Demokratie von zentraler Bedeutung ist, dass auch Standpunkte vertreten werden können, die einer Mehrheit missfallen oder für viele schockierend wirken».

Beim Straftatbestand der öffentlichen Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit müsse die Person «die Beeinflussung anderer Menschen anstreben und ihre Äusserung muss in der konkreten Situation auch entsprechend verstanden werden». Ausserdem müsse sie so eindringlich sein, dass sie geeignet ist, «Stimmungen und Triebe der Masse zu beeinflussen».

Im Fall Wicki erfüllt laut Staatsanwaltschaft keiner der Kommentare die Voraussetzung, um unter einen oder beide Straftatbestände zu fallen. Zum Kommentar, in dem Wicki die Todesstrafe für kriminelle Asylsuchende verlangte, heisst es in der Einstellungsverfügung: «Es handelt sich nicht um eine eigentliche Propaganda-Aktion, sondern war im Gesamtkontext eindeutig als persönliche Unmutsäusserung zu verstehen.» Ausserdem weise der Kommentar keine besondere Eindringlichkeit auf und sei nicht geeignet, bei einer Vielzahl von Personen den Vorsatz zur Begehung von Gewalttätigkeiten zu wecken.

Was den Straftatbestand der Rassendiskriminierung betrifft, hält die Staatsanwaltschaft an mehreren Stellen fest, es werde weder zu Hass oder Diskriminierung aufgerufen, noch würden Flüchtlinge in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabgesetzt oder diskriminiert.

Obwohl Wickis Kommentare strafrechtlich nicht relevant sind, wurde die Einstellungsverfügung – wie das bei solchen Verfahren üblich ist – auch dem Bundesamt für Polizei zugestellt.