Impfskepsis unter Migrantinnen und Migranten: Kanton versucht, zumindest Sprachbarrieren zu überwinden

Um die Herdenimmunität zu erreichen, müssen sich mindestens 70 Prozent der Bevölkerung für die Covid-19-Impfung entscheiden. Dabei sollte die Impfrate in der Bevölkerung gleichmässig verteilt sein, sagte Christoph Fux, Chef-Infektiologe am Kantonsspital Aarau (KSA), gegenüber der AZ. Es sei deshalb wichtig, die Bevölkerung durch «ehrliche Aufklärung» für die Impfung zu gewinnen. «Ziel muss es sein, auch die Gruppen zu erreichen, welche durch viele Falschmeldungen verunsichert zu Impfskeptikern geworden sind», sagt Fux.

Zu den eher skeptisch eingestellten Gruppen gehören laut Fux auch Menschen mit Migrationshintergrund, welche aufgrund sprachlicher oder kultureller Barrieren bisher ungenügend aufgeklärt werden konnten.

Kanton informiert in mehreren Sprachen

Das Gesundheitsdepartement erhebt keine Statistik zur Nationalität der geimpften Personen. «Die Nationalität spielt keine Rolle und wird auch nicht erhoben», teilt die Kommunikationsstelle auf Anfrage mit.

Die Verantwortlichen der Aargauer Impfkampagne würden sich aber bemühen, auch Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen. «Wir haben die relevanten Informationen in viele Sprachen übersetzt», teilt das Gesundheitsdepartement mit. Diese sind auf der Website des Kantons abrufbar. Ausserdem werde innerhalb der Kantonsverwaltung mit verschiedenen Stellen zusammengearbeitet, um diese Informationen an die «richtigen Personengruppen» zu bringen.

Bildungsstand hat einen grösseren Einfluss als Migrationshintergrund

Das bestätigt Michele Puleo, Geschäftsleiter der Anlaufstelle Integration Aargau. Die Information in verschiedensten Sprachen habe – vor allem während des ersten Lockdowns, als es laufend neue Regeln gab – gut funktioniert.

Michele Puleo, Geschäftsführer Anlaufstelle Integration Aargau.

Michele Puleo, Geschäftsführer Anlaufstelle Integration Aargau.

zvg

Gegen die Verallgemeinerung, dass Menschen mit Migrationshintergrund eher impfskeptisch seien, wehrt sich Puleo. «Ob jemand impfskeptisch ist, ist nicht einfach vom Migrationshintergrund abhängig. Einen viel grösseren Einfluss haben Bildungsstand, Einkommen oder das Alter einer Person.»

Gleichzeitig weist er darauf hin, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund Medien aus ihrem Herkunftsland konsumierten. «Dabei kann es vorkommen, dass sie in Bezug aufs Impfen etwas hören, was zwar auf ihr Herkunftsland zutrifft, nicht aber auf die Schweiz», sagt Puleo. In italienischen Medien sei beispielsweise viel über die Nebenwirkungen des Impfstoffes von AstraZeneca berichtet worden – ein Impfstoff, der in der Schweiz bisher gar nicht zugelassen ist.

Apotheken helfen bei der Anmeldung

In der Anlaufstelle sei das Impfen bisher aber kein grosses Thema gewesen, sagt Puleo. Es gebe kaum Anfragen. Hier spielten aber wohl Hausärztinnen und Hausärzte oder Apothekerinnen und Apotheker eine wichtigere Rolle, sagt er. Sie seien auch für viele Menschen mit Migrationshintergrund Vertrauenspersonen. «Wenn sie der Hausarzt fragt, ob sie sich impfen lassen wollen, und ihnen erklärt, wie sie sich anmelden können oder dass sie dafür in die Apotheke gehen können, machen das viele», ist Puleo überzeugt.

Dass die Anmeldemöglichkeit in Apotheken Menschen mit Migrationshintergrund geholfen hat, stellt auch der Kanton fest. «Dabei nutzen die Leute ihr Netzwerk und suchen zum Beispiel Apotheken auf, in denen jemand arbeitet, der ihre Sprache spricht», so das Gesundheitsdepartement.

Asylsuchende werden in Impfzentren geimpft

Die Asylsuchenden, die in kantonalen Unterkünften im Aargau leben, werden durch den Kantonalen Sozialdienst über die Impfung informiert. «Dies geschieht mündlich im persönlichen Gespräch sowie mit Hilfe von übersetzten Merkblättern», teilt das Gesundheitsdepartement mit. Das Interesse an einer Impfung steige kontinuierlich an.

Obwohl die Asylsuchenden in Gemeinschaftsunterkünften leben und in Mehrbettzimmern schlafen, wurden sie nicht priorisiert geimpft, wie zum Beispiel Gefängnisinsassen oder Menschen, die in betreuten Wohngruppe leben. Einzig Asylsuchende über 65 oder solche mit Vorerkrankungen seien früher geimpft worden.

Seit dem 7. Mai haben alle über 16-Jährigen im Aargau Zugang zur Impfung. Seither würden auch Asylsuchende in den Impfzentren geimpft. «Die Betreuung vor Ort meldet alle Impfwilligen über das bekannte Webtool an, koordiniert das weitere Vorgehen und dokumentiert die Impfdaten», so das Gesundheitsdepartement.

Impfung soll auch für Sans-Papiers möglich sein

Der Zugang zur Covid-Impfung beschäftigt auch die Politik. Mehrere SP-Grossratsmitglieder haben Ende März ein Postulat eingereicht. Sie fordern den Regierungsrat auf, zu prüfen, welche Massnahmen erforderlich sind, damit auch Personen auf der schwarzen Liste sowie Sans-Papiers Zugang zur Impfung haben.

Diese seien potenziell gefährdet, weil sie keinen Zugang zu Tests und Impfungen hätten. «Die Vernachlässigung einer gesamten Bevölkerungsgruppe gefährdet jedoch nicht nur die entsprechenden Personen, sondern auch die Pandemiebekämpfung und ist deshalb eine Gefahr für die gesamte Bevölkerung», begründen sie ihre Forderung weiter.

Der Regierungsrat hat noch keine Stellung zur Forderung genommen.