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Der Regierungsrat geht auf Einkaufstour:  Im Fricktal will er für 20 Millionen Industrieland kaufen – das passt nicht allen

Der Regierungsrat geht auf Einkaufstour:  Im Fricktal will er für 20 Millionen Industrieland kaufen – das passt nicht allen

Im Sisslerfeld will der Regierungsrat sechs Hektaren Land kaufen, es zur Marktreife bringen und dann an Firmen weiterverkaufen. So will er weitere Firmen ins Fricktal locken, die qualifizierte Arbeitsplätze schaffen. Der Hintergedanke: Der Kanton profitiert so von höheren Steuereinnahmen – von Firmen und Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern. 

Thomas Wehrli

Im Sisslerfeld arbeiten mehrere tausend Personen im Life-Science-Bereich. Dieser soll weiter gestärkt werden.

Der Regierungsrat macht ernst: Er will im Sisslerfeld sechs Hektaren Industrieland für knapp 20 Millionen Franken kaufen und es für weitere rund sechs Millionen Franken zur Marktreife bringen. Danach soll das Land «zu Marktpreisen» verkauft werden. Dies geht aus der am Freitag veröffentlichten Botschaft an den Grossen Rat hervor.

Die Ankündigung kommt nicht überraschend, denn bereits im Frühsommer machte der Regierungsrat seine Pläne publik und startete eine Anhörung zum «strategischen Landkauf» im Sisslerfeld.

Damals ging der Regierungsrat noch von einer grösseren Landfläche aus. Ein Grundeigentümer hat sein Verkaufsangebot inzwischen allerdings «aufgrund einer strategischen Neubeurteilung» zurückgezogen, wie der Regierungsrat schreibt. In der Anhörungsvorlage war noch von einem Kaufpreis von 21,5 Millionen Franken die Rede.

Mehrheit der Parteien ist für einen Kauf – allerdings unter Bedingungen

An der Anhörung haben sich acht Parteien sowie mehrere Verbände beteiligt. Die SVP, der Aargauische Gewerbeverband und die Aargauische Industrie- und Handelskammer lehnten den Kauf ab, die anderen Parteien und Verbände sagten Ja oder zumindest Ja, aber.

Für den Landerwerb im Sisslerfeld sprachen sich in der Anhörung die SP, die FDP, Die Mitte, die GLP und die EVP aus. Ebenfalls stimmten die Gemeindeammänner-Vereinigung des Kantons Aargau, der Gemeinderat Münchwilen, die Regionalplanungsverbände Fricktal Regio und Zurzibiet Regio zu. Mit Vorbehalt sprachen sich die Grünen, die EDU und der Gemeinderat Sisseln für den Kauf aus. Abgelehnt wird der Landerwerb von der SVP, dem Aargauischen Gewerbeverband und der Aargauischen Industrie- und Handelskammer.

Wobei dann die Vorstellung, was mit dem Land geschehen soll, doch weit auseinander lagen. Die SP beispielsweise will es nur im Baurecht abgeben, die Grünen möchten lieber Familiengärten oder Forschungsflächen für biologischen Landbau statt Fabriken auf dem Land sehen.

Gemüse statt Pillen – das ist ganz und gar nicht im Sinne der Regierung. Ihr schweben im Sisslerfeld vielmehr mehrere tausend Arbeitsplätze vor, vorab im wertschöpfungs- und damit auch steuersubstratträchtigen Life-Science-Bereich vor. So soll die heutige Erfolgsgeschichte des Sisslerfelds fortgeschrieben und zusätzlich zu DSM, Novartis, Syngenta, Lonza und Celonic weitere Topplayer ins Fricktal gelockt werden.

In der Botschaft spart der Regierungsrat denn auch nicht mit Superlativen zum Sisslerfeld, das als wirtschaftlicher Entwicklungsschwerpunkt von kantonaler Bedeutung ausgewiesen ist. Das Areal «vor den Toren Basels» weise «ein einzigartiges Potenzial» auf, heisst es da etwa und es müsse «sorgfältig und zum Nutzen aller Beteiligten nachhaltig entwickelt werden».

Potenzial ausnutzen und Prozess beschleunigen

Dass dieses Potenzial – von den rund 200 Hektaren sind 80 noch nicht überbaut – bislang nicht genutzt wird, hat verschiedene Ursachen. Eine ist, dass die einzelnen Parzellen zum Teil klein und zersplittert sind und dass viele Landeigentümerinnen und Landeigentümer mitreden wollen.

Hier will der Kanton aktiv werden und so den Prozess beschleunigen. Dazu schreibt die Regierung in der Botschaft:

«Eigenes Land ermöglicht, nicht nur als Planungskoordinator aufzutreten, son-dern auch als Grundeigentümer, was bei der Arrondierung zur Herstellung marktfähiger und baureifer Baufelder entscheidend helfen kann.»

Damit will der Kanton letztlich erreichen, dass im Sisslerfeld qualifizierte Arbeitsplätze entstehen, dass das Steuersubstrat gestärkt wird und dass damit die «Attraktivität des Kantons als Wirtschaftsstandort und seine Wettbewerbsfähigkeit insgesamt gestärkt» werden.

Novartis produziert in Stein Stoffe für die Zell- und Gentherapien.

Das mittlere Fricktal ist aktuell stark auf den Pharma- und Chemiecluster fokussiert. Allein die Firmen im Sisslerfeld beschäftigen rund 5000 Arbeitnehmende, im ganzen Fricktal arbeiten rund 8000 Personen im Life-Science-Bereich. In den letzten zehn Jahren investierten die Firmen an die drei Milliarden Franken in die Erweiterung der Anlagen. Für die Regierung ist klar:

«Dies darf als klares und längerfristiges Bekenntnis zum Standort Aargau gewertet werden.»

Diese Clusterbildung ist Chance und Risiko zugleich. Chance, weil jeder Cluster immer auch artverwandte Firmen und Zulieferer anzieht. Risiko, weil die Baisse eines Sektors ausreicht, um die ganze Region in eine Arbeitsplatzkrise zu stürzen.

Stellenabbau sorgte im Sommer 2018 für einen Schock

Wie schnell es gehen kann, zeigte sich im Sommer 2018, als Novartis ankündigte, bis Ende 2022 schweizweit 2150 Arbeitsplätze abzubauen – 700 davon in Stein. Im Gegenzug entstanden allerdings mehrere hundert Arbeitsplätze im Bereich der Zell- und Gentherapie. Weitere kamen in diesem Jahr hinzu, weil Novartis in Stein für Biontech/Pfizer den Coronaimpfstoff abfüllt.

Generell ist das Risiko beim Life-Science-Bereich als nicht allzu hoch einzuschätzen. Denn zum einen werden die Einwohnerinnen und Einwohner immer älter, zum anderen wachsen auch die Ansprüche stark. Dennoch sollen bei der Weiterentwicklung des Areals, und das macht Sinn, Alternativen geprüft werden. Die Regierung schreibt dazu:

«Im Rahmen der laufenden Gebietsplanung soll zudem überprüft werden, wie auch andere Branchen zu einem gesamthaft zukunftsträchtigen Wirtschaftsstandort beitragen können.»

Unternehmen aus verschiedenen Branchen könnten, so die Regierung, die Stärke eines solchen Gebiets erhöhen und Abhängigkeiten durch eine Verbreiterung der Branchenpalette reduzieren.

Allerdings soll auch eine solche Weitung des Branchenmixes koordiniert erfolgen. Denn eines will die Regierung verhindern – und formuliert es als Risiko, wenn der Kanton das Land nicht kauft: Dass sich wertschöpfungsschwächere Unternehmen mit geringeren Anforderungen an Erschliessungsstand und Umfeld das Land sichern.

Risiko, dass Bauland günstiger verkauft werden muss

Als Risiko bei einem Kauf sieht der Kanton, dass «nicht völlig ausgeschlossen werden kann, dass der Kanton das Bauland aus irgendwelchen Gründen zu einem deutlich tieferen Preis verkaufen muss».

Theoretisch müsste der Regierungsrat den Grossen Rat nicht derart breit einbeziehen. Dass er es dennoch tut, hat einen Grund: die Erstmaligkeit und die finanzielle Dimension eines strategischen Landkaufes. Die Regierung schreibt dazu:

«Angesichts der Bedeutung des Vorhabens für die wirtschaftliche Entwicklung des Kantons Aargau soll eine parlamentarische Beratung stattfinden und ein entsprechend fundierter politischer Entscheid erwirkt werden.»

Im Grossen Rat wird denn auch nicht nur über den konkreten Fall Sisslerfeld diskutiert, sondern auch über die grundsätzliche Möglichkeit solcher strategischen Landkäufe – und da sind viele Parteien doch sehr skeptisch. Man darf gespannt sein.