Inkompetenz, unfaire Personalpolitik: Angestellte des Contact Tracing Centers erheben schwere Vorwürfe

Die offizielle Version des Departementes Gesundheit und Soziales (DGS) ist schnell erzählt: Die Fallzahlen sind einigermassen tief. Beim Contact Tracing Center (Conti) – dort werden Kontaktpersonen von Infizierten über ihre Quarantäne informiert und Ansteckungsketten zurückverfolgt – werden deshalb nicht mehr alle Mitarbeitenden benötigt. Einige müssen entlassen werden, die meisten erhalten aber Verträge auf Abruf, um bei steigenden Zahlen wieder eingesetzt werden zu können.

Die Version von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus dem Conti klingt anders. Die AZ hat mit mehreren vom Abbau Betroffenen geredet und Einsicht in interne Mails erhalten. Von Fehlplanung ist die Rede, von Inkompetenz, von unfairer Personalpolitik. Die AZ hat die wichtigsten Kritikpunkte herausgeschält und das DGS dazu Stellung nehmen lassen.

1. Kritikpunkt: Die meisten machen nicht mit bei Vertrag auf Abruf

15 Tracerinnen und Tracern wird per Ende Monat offiziell gekündigt. 59 weitere erhalten sogenannte unechte Verträge auf Abruf. Das heisst: Sie sind zwar auf Abruf angestellt, haben aber keine Garantie auf Arbeit und Einkommen.

Kaum jemand könne es sich leisten, solche Anstellungsbedingungen zu akzeptieren, sagen Betroffene. Alle drei, mit denen die AZ gesprochen hat, wollen einen solchen Vertrag nicht unterschreiben. Sie sind überzeugt: Viele andere werden das auch nicht tun. Damit sei nicht sichergestellt, dass das Conti funktionieren würde, sollten die Fallzahlen wieder steigen. Diese Bedenken hat auch die Konferenz der Aargauischen Staatspersonalverbände geäussert.

Das sagt das DGS:

Bis zum Kündigungsdatum wären noch die bisherigen Verträge gültig. Die neuen Verträge seien noch gar nicht zugestellt worden. Nebst der Sicherstellung eines Pools von Mitarbeitenden auf Abruf würden auch andere Massnahmen ergriffen, um das Funktionieren des Conti sicherzustellen: So soll die IT weiterentwickelt und Prozesse optimiert werden.

2. Kritikpunkt: Unfaire Personalpolitik

Bis zu 150 Mitarbeitende beschäftigte das Conti zwischenzeitlich. Mittlerweile sind es etwas weniger, trotzdem musste das DGS eine Auswahl treffen. Wer landet in Pool 1 (Festanstellung, 41 Plätze), wer in Pool 2 (unechter Vertrag auf Abruf, 59 Plätze) und wer in Pool 3 (Kündigung)? Gemäss Mitarbeitenden gab es drei Kriterien für diesen Entscheid: Einsatzbereitschaft, Flexibilität und Erfahrung/Fachwissen.

Mehrere Mitarbeitende, die nicht in Pool 1 gelandet sind, kritisieren nun: Das DGS habe sich nicht an diese Kriterien gehalten. So seien Personen, die sämtliche Kriterien erfüllen, die in der zweiten Welle im Winter 2020 enormen Einsatz gezeigt hätten und hervorragende Arbeitszeugnisse erhalten hätten, nicht für Pool 1 berücksichtigt worden. Hingegen seien Personen, die erst im Frühling 2021 eingestellt worden seien – also weder Erfahrung noch einen Leistungsausweis mitbrächten – in Pool 1 gelandet.

Eine Mitarbeiterin sagt:

«Das Ganze hat einen bitteren Nachgeschmack. Das hat auch damit zu tun, dass vom DGS alles geheim gehalten wird.»

Weiter sagen mehrere Betroffene, dass auch Härtefällen gekündigt wurde. Konkret: Einem Mitarbeiter, dem noch rund zwei Wochen Arbeitszeit fehlen, damit er sich beim RAV melden könnte, um nicht in der Sozialhilfe zu landen.

Das sagt das DGS:

«Über die Kriterien wurde intern an der Mitarbeitendenveranstaltung informiert.» Ohne Kenntnisse der Einzelfälle könne man zu diesen Vorwürfen nichts sagen. Ausserdem würde sämtlichen Betroffenen das rechtliche Gehör gewährt. In diesem Rahmen würden auch Härtefälle geprüft. Die Frist dafür sei noch nicht abgelaufen.

3. Kritikpunkt: DGS lässt Contact Tracerinnen im Stich

Um vier Uhr in der früh sei sie in der zweiten Welle mit dem Taxi zur Arbeit gefahren, erzählt eine Contact Tracerin. Züge fuhren zu dieser Zeit noch keine. Und oftmals sei sie erst um 19 Uhr wieder nach Hause gegangen. Sie sagt:

«Aber ich habe das gerne gemacht. Ich wusste, worauf ich mich einliess und habe die Arbeit als sinnvoll empfunden.»

Und nun, als Dank dafür, gebe es die Kündigung: «Das ist eine Ohrfeige für uns alle.»

Andere schildern eine ähnliche Arbeitsbelastung in der zweiten Welle: 16-Stunden-Tage, zum Teil habe man 13 Tage am Stück gearbeitet, 250 Stunden im Monat. Ferien: Fehlanzeige. Von den Chefs seien Überstunden angeordnet worden. Interne Arbeitspläne zeigen, dass mindestens mit 9-Stunden-Schichten geplant wurde. Mehrere Mitarbeitende seien krankheitsbedingt ausgefallen.

In dieser Zeit habe es kaum Unterstützung aus dem DGS gegeben. Einzig Kantonsärztin Yvonne Hummel sei in dieser Zeit vorbeigekommen, um mit den Mitarbeitenden zu sprechen. Von der Personalabteilung habe sich nie jemand blicken lassen. Auch seien Arbeitsverträge immer wieder zu spät und fehlerhaft ausgestellt worden. Eine Mitarbeiterin sagt:

«Es war unglaublich unprofessionell, wie das DGS gearbeitet hat.»

Das sagt das DGS:

Die Arbeitsbelastung während der zweiten Welle sei insgesamt extrem hoch gewesen. «Viele Beteiligte haben in dieser Zeit einen ausserordentlichen Einsatz geleistet, durchaus auch auf eigene Initiative.» Das DGS habe sichergestellt, dass die Persönlichkeit der Mitarbeitenden geschützt werde. Ausserdem seien Mehrstunden kompensiert oder ausbezahlt worden.

Zudem: «Während der zweiten Infektionswelle haben sich trotz teilweise grossem Zeitdruck keine Mitarbeitenden wegen gesundheitlicher Probleme, die im Zusammenhang mit einer Überbeanspruchung standen, an die Leitung des Contact Tracing Center gewandt.»

Man habe in dieser Zeit versucht, den Personalbestand des Conti möglichst schnell auszubauen, um für Entlastung zu sorgen. «Diese ausserordentliche Situation erhöhte leider die Fehlerquote.» Die Fehler bei den Verträgen seien jedoch umgehend korrigiert worden.

4. Kritikpunkt: Die Entlassungen wären vermeidbar gewesen

Als im Frühling die Fallzahlen sanken, wurde das Conti weiter ausgebaut. Den Lead hatte damals noch Kantonsärztin Yvonne Hummel, die sich stets für ein starkes Conti eingesetzt hatte. Sie hatte Anfang Jahr noch gesagt, ein Abbau sei nicht sinnvoll, für den Fall, dass die Fallzahlen wieder steigen würden. Noch im Mai seien deshalb 15 bis 20 Personen beim Conti angestellt worden, darunter auch Tracerinnen und Tracer, sagen nun alle Betroffenen, mit denen die AZ geredet hat. Auch interne Mail des Conti unterstreichen diese Tatsache.

Dann kam es im DGS zu einer Neuausrichtung. Liefen die Fäden bisher bei Kantonsärztin Yvonne Hummel zusammen, wurde im Juni neu das Covid-Programm geschaffen, dessen Leitung der bisherige Impfchef Andreas Obrecht übernahm. Im Juli gab das DGS bekannt, dass Yvonne Hummel ihre Stelle als Kantonsärztin gekündigt hatte.

Hätte man nicht im Frühling noch so viele neue Tracerinnen und Tracer angestellt, wären die Entlassungen nun gar nicht nötig gewesen, kritisieren mehrere Betroffene.

Das sagt das DGS:

«Im Mai wurden diverse Rekrutierungen für Ausbruchsuntersuchungen (mobile Testteams), Hotline und Contact Tracing getätigt.» Teilweise habe es sich auch um Ersatzanstellungen im Rahmen der natürlichen Fluktuation gehandelt. Dabei seien auch Personen rekrutiert worden, die auch als Contact Tracer eingesetzt wurden, im Bedarfsfall aber auch in anderen Bereichen hätten eingesetzt werden können.

Die Reorganisation des Conti sei aber so oder so geplant gewesen und hätte auch ohne die Rekrutierungen im Mai bewerkstelligt werden müssen.