
Ist die Kesb ein Fehlkonstrukt, zu bürokratisch und realitätsfremd? Das sagt der Regierungsrat
Kaum eine Behörde polarisiert so stark wie die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb). Das neue Kindes- und Erwachsenenschutzrecht löste 2013 das Vormundschaftsrecht ab. Seit rund sieben Jahren ordnen nun nicht mehr Gemeinderätinnen und Gemeinderäte Schutzmassnahmen an, sondern Fachpersonen. Im Aargau ist die Kesb den Familiengerichten angegliedert.
Die Kesb sei immer wieder «heftigster Kritik» ausgesetzt, schreibt die FDP-Fraktion in einem Vorstoss. Kritisiert werde, die Behörde sei «ein Fehlkonstrukt, die Verfahren zu bürokratisch und ihre Entscheide realitätsfremd».
Zudem seien die Gemeinden immer wieder mit Entscheiden konfrontiert, «die viel Geld kosten und gegen welche kein Rekurs eingelegt werden kann». Die Verantwortlichkeiten zwischen den Sozialbehörden und den Familiengerichten seien ebenfalls nicht klar geregelt, so die FDP-Fraktion.
Teure Massnahmen auf dem Buckel der Gemeinden
Zu den Kritikern der Kesb gehört Adrian Schoop, FDP-Grossrat und Gemeindeammann in Turgi. Bereits 2019 störte er sich an den teuren «Sondersettings», welche die Behörde anordne. Ein «besonders gravierender Fall» habe die Gemeinde mehr als 100’000 Franken pro Jahr gekostet, sagt er damals zur AZ. Die Gemeinde wehrte sich mit einem Anwalt. Ohne Erfolg.

FDP-Grossrat und Turgemer Gemeindeammann Adrian Schoop
Um die Kosten geht es auch im neusten Vorstoss der FDP-Fraktion. Sie wollte wissen, wie die Gemeinden vor «ausufernden Kosten» geschützt werden. Die Regierung führt aus, der Kostentragung der Gemeinden seien «im Regelfall» Obergrenzen gesetzt.
Das Betreuungsgesetz sehe für stationäre Kindesschutzmassnahmen in anerkannten Einrichtungen vor, dass die Heimkosten von der Wohngemeinde und den Eltern getragen werden. Die Restkosten übernehmen zu 60 Prozent der Kanton und zu 40 Prozent die Gemeinden nach Massgabe ihrer Einwohnerzahl.
Schoop: «Obergrenze wirkt nur kurzfristig betrachtet»
Adrian Schoop sagt, das mit den Kosten stimme nicht in jedem Fall. «Wenn etwa ein ‹Sondersetting› nicht an einer staatlich anerkannten Schule möglich ist, bleiben die Gemeinden auf den Kosten sitzen.» Das sei in Turgi der Fall gewesen.
Zudem wirke die erwähnte Obergrenze nur kurzfristig betrachtet. «Steigen die Fälle und deren Dauer und Intensität, steigen auch die Restkosten, die sich die Gemeinden und der Kanton aufteilen müssen», sagt er.
Aargauer Lösung ist «effizient und überzeugend»
Der Regierungsrat hält fest, dass der Aargau mit der Eingliederung der Kesb in die Bezirksgerichte eine «überzeugende und effiziente Lösung» geschaffen habe. Die Verantwortlichkeiten seien geregelt.
Der Einfluss der Gemeinden wäre auch mit einem anderen Organisationsmodell nicht grösser. Die Mitglieder der Kesb seien an keine Weisungen gebunden, schreibt die Regierung. Entsprechend bestehe für Gemeinden kein Spielraum, auf die Entscheide einzuwirken.
Adrian Schoop hingegen bleibt dabei:
«Beispiele verschiedener Gemeinden zeigen, dass in der Praxis nicht alles reibungslos funktioniert.»
Auf der anderen Seite sei die Antwort auch nicht ganz erstaunlich, denn mit der «Gerichtslösung» könne sich der Regierungsrat «einfach aus der Affäre ziehen und lediglich auf die Gerichte verweisen», so Schoop.
Wäre die Behördenlösung besser gewesen?
Er frage sich «immer wieder, ob eine Behördenlösung, welche direkt dem Regierungsrat unterstellt ist, allenfalls doch besser gewesen wäre». So könnten die betroffenen Gemeinden direkter Einfluss nehmen, vermutet er.
Schoop schliesst nicht aus, einen weiteren Vorstoss zum Thema einzureichen und die Regierung zu beauftragen, eine Umfrage bei den Gemeinden zur Befindlichkeit zu machen.
Für fast 4000 Kinder und 7000 Erwachsene besteht eine Schutzmassnahme
Der Aargau liege mit der Anzahl durch die Kesb angeordneten Erwachsenen- und Kindesschutzmassnahmen im schweizerischen Durchschnitt, schreibt der Regierungsrat weiter und verweist auf eine Statistik der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz.
Demnach bestand am 31. Dezember 2020 für 3866 Kinder aus dem Aargau eine Schutzmassnahme. Das entspricht einer Quote von 30,41 Fällen auf 1000 Kinder und liegt leicht über dem Schweizer Durchschnitt mit einer Quote von 28,01.
Am gleichen Stichtag gab es im Aargau 6994 Erwachsene mit einer Schutzmassnahme der Kesb. Das sind 12,34 Fälle auf 1000 Erwachsene. Anders als bei den Kindern liegt die Quote bei den Erwachsenen leicht unter dem Schweizer Durchschnitt mit einer Quote von 13,79.