Jean-Pierre Gallati: Der Mann, der die Aargauer SVP auf den Kopf stellt

Es ist ein Satz wie ein Faustschlag. «Man kann von einem Sieg der vernünftigen Argumente gegen die Argumente des Herrn Glarner sprechen.» Der dies sagt, ist Aargauer Gesundheitsdirektor. Jean-Pierre Gallati brachte am Mittwochabend die kantonalen SVP-Delegierten dazu, dass sie dem Covid-Gesetz zustimmen: 48 Ja, 47 Nein. Die Aargauer Sektion legt sich quer zur nationalen Partei. Das geschieht selten.

Regierungsrat Gallati blamiert damit den Präsidenten der Aargauer SVP, Nationalrat Andreas Glarner. Er ist im ganzen Land bekannt als politischer Provokateur. In seinem Kanton steht er zunehmend unter Druck. Die Parteigänger der SVP tun sich schwer mit seinem konfrontativen Stil.

Folgenschwerer Besuch im Kantonsspital Baden

Der Gesundheitsdirektor sprach ruhig an die Delegierten, aber er wählte markige Worte. Die Pandemie zu bekämpfen mit mehr Freiheit, mit Kräutertee trinken und Vitamin D essen, das funktioniere nicht. Es brauche «gesamtgesellschaftliche Massnahmen, die für alle gelten.» Das sei in jedem einzelnen Land der Welt so. Die Schweiz sei auf einem massvollen Weg. Die Alternative sei es, möglichst schnell die ganze Bevölkerung zu durchseuchen. Das führe zu einer Überlastung der Spitäler – und zu deren Crash.

Der drohende Zusammenbruch der Aargauer Spitäler, er beschäftigte Gallati im Dezember 2020. Zuvor war der Kanton eher zurückhaltend gewesen beim Verhängen von Corona-Massnahmen. Zürcher Autofahrer, die an Aargauer Tankstellen billigeres Benzin tankten, wunderten sich: In den Shops trug niemand eine Maske. Gallati war nicht überzeugt vom Nutzen der Maskenpflicht in den Läden.

Dann besuchte der Gesundheitsdirektor Anfang Dezember das Kantonsspital Baden. Für einen 25-jährigen Patienten fand sich dort kein Platz auf der Intensivstationen. Auch andere Spitäler bis hin nach Zürich winkten ab. Nach langer Suche wurde der junge Mann nach Genf gebracht. Gallati sagt:

«Spätestens im Januar wären unsere Spitäler komplett am Limit gewesen».

Der Kanton Aargau ging dann in den zweiten Lockdown, noch bevor der Bundesrat diese Massnahme beschloss.

Es gibt Leute im Aargau, die sagen, dass die Tochter Gallatis zu dieser Wendung beigetragen habe. Sie arbeite in Baden auf der Coronastation. «Ja, sie ist dort tätig. Aber meine Ansprechpartner sind die Spitaldirektoren», meint der Regierungsrat zu diesem Punkt.

Früher waren sie beide SVP-Hardliner

Auch im vergangenen August warnte Gallati wieder vor einer Überlastung der Spitäler. Er befürwortete die ausgeweitete Zertifikatspflicht und war dagegen, dass die Coronatests weiterhin gratis angeboten werden. Damit wuchsen die Differenzen zum Aargauer SVP-Präsidenten Glarner, der vor einer Diskriminierung der Ungeimpften warnt.

Zunehmend unter Druck: Andreas Glarner, Präsident der Aargauer SVP.

Zunehmend unter Druck: Andreas Glarner, Präsident der Aargauer SVP.

Alex Spichale / AGR

Glarner und Gallati stammen beide aus dem Freiamt, und sie gehörten beide zur Stahlhelm-Fraktion – einer Gruppe von Hardlinern, welche die Parteisektion prägten. Glarner machte Wahlkampf mit Plakaten, auf denen man «Aarau oder Ankara?» und «Maria statt Scharia» las. Gallati bezeichnete als SVP-Fraktionschef im Kantonsparlament eine Gesetzesvorlage, die ihm nicht passte, als «Totgeburt».

Dann trat Regierungsrätin Franziska Roth 2019 vorzeitig ab – und Gallati bewarb sich um ihre Nachfolge. Knapp setzte er sich gegen die Konkurrentin der SP, Nationalrätin Yvonne Feri, durch. Kurz darauf wurde Glarner kantonaler SVP-Präsident.

Die Beziehung kühlt sich ab

Gallati vertiefte sich als neuer Gesundheitsdirektor in seine Dossiers. Aus seinem Umfeld ist zu hören, dass er sich wundere. Und zwar darüber, dass Glarner als Mitglied der nationalrätlichen Gesundheitskommission nicht bewanderter sei auf einigen Gebieten. Die Beziehung zu Glarner hat sich abgekühlt. Dass dieser den Gesamtregierungsrat mehrmals als «Höseler» bezeichnete, war nicht hilfreich.

Als Gesundheitsdirektor ist Gallati unbestritten. Über die Parteigrenzen attestieren ihm die Politiker gründliche Arbeit und eine klare Linie. Wäre er nicht respektiert als Regierungsrat, hätte er es nicht geschafft, der Aargauer SVP die Zustimmung zum Covid-Gesetz abzuringen. Glarner kündigte derweil an, dass er sich mässigen werde. Die Frage ist, wie lange er sich an den Vorsatz halten wird.