Jede sechste Firma baute im Jahr 2020 wegen Corona Stellen ab: So trifft die Krise die Aargauer Wirtschaft

513 Unternehmen mit rund 47’000 Vollzeitbeschäftigten haben sich an der Umfrage der Aargauischen Industrie- und Handelskammer (AIHK) beteiligt. Die Umfrage fand zwischen dem 7. und 25. Januar statt. «Die Umfrageresultate dürften damit noch nicht die vollen Auswirkungen der Covid-19-Verschärfungen ab Mitte Januar 2021 spiegeln», schreibt die Handelskammer in einer Mitteilung.

An einer Medienkonferenz am Mittwoch stellten AIHK-Direktor Beat Bechtold und Ökonom Christoph Vonwiller die Resultate der Umfrage im Detail vor. Die AZ fasst hier die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.

Wie stark waren die Aargauer Firmen von der Coronakrise betroffen?

«Die schlimmsten Befürchtungen sind nicht eingetroffen», sagt AIHK-Direktor Bechtold. Die Mehrheit der Firmenverantwortlichen berichte im Rückblick trotz Corona von einem befriedigenden bis guten Geschäftsjahr 2020. «Es scheint, als hätten die Unternehmen ihre Einschätzungen in Anbetracht der widrigen Umstände relativiert und noch zur Jahresmitte 2020 weitaus Schlimmeres befürchtet», sagt Ökonom Christoph Vonwiller. Tendenziell sei der Industriesektor in der ersten Welle stärker betroffen gewesen, der Dienstleistungssektor hingegen während der zweiten Welle.

Wie hat sich die Coronapandemie in den einzelnen Branchen auf die Geschäftstätigkeit ausgewirkt?

Die Firmen konnten die Folgen der Pandemie für ihre Geschäftstätigkeit von -2 (stark negativ) bis +2 (stark positiv) beurteilen. Über alle Branchen liegt der Durchschnittswert bei -0,3 (siehe Grafik).

Am meisten zu schaffen machte die Krise dem Gesundheits- und Sozialwesen, den Informations- und Kommunikationsfirmen sowie den Transport- und Lagerunternehmen. Am stärksten von der Krise profitierte laut der Umfrage der Detailhandel. Der relativ gute Mittelwert von -0,3 kommt zustande, weil in den einzelnen Branchen unterschiedlich viele Firmen an der Umfrage teilnahmen und die Resultate gewichtet sind.

Wie haben sich Umsatz und Ertrag im Coronajahr entwickelt?

Bei beiden Werten zeigt sich ein ähnliches Bild in der Umfrage: Der Detailhandel machte deutlich mehr Umsatz (+1,8 auf einer Skala von -2 bis +2) und auch mehr Gewinn (+0,8).

Unternehmen aus den Branchen Verkehr und Lagerei verzeichneten massiv weniger Umsatz (-1,9) und auch einen tieferen Gewinn (-1,4) als im Vorjahr. Auch die Gesundheitsbranche weist schlechte Umsatz- und Gewinnzahlen aus.

Wie kommen die guten Zahlen im Detailhandel zustande, obwohl die Läden im Lockdown wochen- und monatelang geschlossen waren?

In der Sparte Detailhandel werden auch Grossverteiler und Anbieter von Gütern des täglichen Bedarfs abgebildet, die nicht geschlossen waren. Integriert ist dort auch der Onlinehandel, der 2020 massiv zulegte, während der stationäre Detailhandel unter Lockdowns und Verkaufsverboten litt. Die grössten Gewinner sind Anbieter von Nahrungsmitteln, IT- und Elektronikhändler, Haushalts- und Einrichtungsmärkte sowie Sport- und Freizeitgeschäfte.

Wie lassen sich die negativen Werte bei Verkehr und Lagerei erklären – gerade die Logistikanbieter profitierten doch von der Coronakrise?

In der Kategorie Verkehr und Lagerei werden auch Transportunternehmen wie Busse und Bahnen geführt. Diese verzeichneten im vergangenen Jahr zum Teil massiv weniger Passagiere und damit geringere Einnahmen aus dem Verkauf von Billetten und Abonnementen. Zugleich mussten die Bahn- und Busbetriebe ein gewisses Angebot aufrechterhalten, um die Grundversorgung sicherzustellen.

Speditionsunternehmen mit Sitz im Aargau, die international tätig sind, verzeichneten im Frühling 2020 einen Einbruch, als die weltweiten Warenströme ins Stocken gerieten. Logistikfirmen profitierten zwar vom Boom des Onlinehandels, die negativen Effekte bei Bahnen und Bussen, sowie den internationalen Transporteuren, wiegen aber schwerer.

Warum ist die Gesundheitsbranche bei den Verlierern der Krise, in den letzten Monaten war doch immer wieder von der drohenden Überlastung von Spitälern die Rede?

Tatsächlich waren die Spitäler stark mit Covid-Patienten ausgelastet, das wirkt sich finanziell aber negativ aus. Damit genügend Ressourcen für die Behandlung von Coronafällen zur Verfügung standen, wurden im Frühling nicht dringliche Operationen verboten. Dadurch fehlen den Spitälern im Vergleich zum Vorjahr hohe Einnahmen, wie der Abschluss des Kantonsspitals Aarau mit einem Minus von 38 Millionen Franken zeigte.

Welche Folgen hatte Corona für die Exporte der Aargauer Firmen?

Nur in zwei Branchen – Pharma und Chemie – sind die Exporte im vergangenen Jahr gestiegen (siehe Grafik).

In allen anderen Branchen sind die Exportzahlen eingebrochen, am stärksten bei Nahrungsmittelproduzenten, Maschinenbaufirmen und in der Metallindustrie. Für das laufende Jahr 2021 erwarten mit Ausnahme der Chemie alle Branchen wieder steigende Exportzahlen.

Wie viele Arbeitsplätze haben die Firmen im Aargau wegen Corona im vergangenen Jahr abgebaut?

Über alle Branchen gesehen, bauten die Firmen, die an der Umfrage teilnahmen, im letzten Jahr rund 0,65 Prozent ihrer Stellen ab. Dies entspricht rund 300 Jobs (alle Aargauer Unternehmen, die sich an der Befragung beteiligten, haben zusammen knapp 47’000 Angestellte). Für das laufende Jahr rechnen die Verantwortlichen mit einem Aufschwung. Sie gehen für 2021 von einem Plus von 0,25 Prozent aus – damit würden knapp 120 neue Jobs geschaffen.

Wie beurteilen die Aargauer Firmen ihre Aussichten im laufenden Jahr?

Detailhandel, Pharma und Papierhersteller rechnen für 2021 mit positiven Folgen von Corona für ihre Geschäftstätigkeit, die anderen Branchen gehen indes von negativen Auswirkungen aus. Wenn es um den Umsatz geht, rechnen Detailhändler und Chemie mit einem Rückgang, während Unternehmen im Gesundheitswesen, aber auch Banken und Versicherungen sowie die MEM-Branche (Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie) von steigenden Werten ausgehen. Mit höheren Erträgen 2021 rechnen Informations- und Kommunikationsfirmen, Spitäler, Architektur- und Ingenieurbüros sowie Metall- und Maschinenbauer. Von tieferen Gewinnen gehen Detailhändler, Chemiefirmen, Transportunternehmen sowie Finanzdienstleister aus.

Mit welchen Folgen der Coronapandemie hatten die Aargauer Firmen am stärksten zu kämpfen?

Gut jedes zweite Industrieunternehmen verzeichnete eine geringere Nachfrage der Kundschaft. Besonders ausgeprägt war dies in der Textilbranche (78 Prozent der Firmen betroffen), im Chemiesektor (71 Prozent) sowie im Maschinenbau (67 Prozent) und in der Metallbranche (58 Prozent). In der Pharmabranche meldet derweil keine einzige Firma eine tiefere Nachfrage. Und im ganzen Dienstleistungssektor waren nur 32 Prozent der Firmen mit diesem Problem konfrontiert.

War der Ausfall von Angestellten, die an Covid-19 erkrankten oder in Quarantäne geschickt wurden, für die Aargauer Firmen ein Problem?

Ja, und zwar in sämtlichen Branchen, allerdings mit beträchtlichen Unterschieden. Alle teilnehmenden Pharmaunternehmen gaben an, sie hätten Ausfälle von Mitarbeitern gehabt, im Baugewerbe nannten noch 80 Prozent der Firmen dieses Problem, im Textilsektor waren es 78 Prozent, bei Chemieunternehmen und in der Nahrungsmittelproduktion waren 71 Prozent betroffen.

Mit welchen Massnahmen reagierten die Aargauer Firmen letztes Jahr auf die Coronapandemie?

In der ersten Welle schickten 79 Prozent der Firmen, die an der Umfrage teilnahmen, ihr Personal ins Homeoffice, in der zweiten Welle trafen noch 68 Prozent der Unternehmen diese Massnahme. Der Bedarf an Büroflächen reduzierte sich dabei aber kaum, über beide Wellen gesehen ging er nur um 10 Prozent zurück. Eine verstärkte Digitalisierung wegen Corona war bei knapp 60 Prozent der Aargauer Firmen zu verzeichnen. Zu einem Personalabbau kam es bei 16 Prozent der Unternehmen, wobei die Werte in der ersten Welle höher sind als in der zweiten.

Wie viele Firmen im Aargau bezogen Kurzarbeitsentschädigung?

Während der ersten Welle nutzten knapp 40 Prozent der Unternehmen dieses Instrument, um Entlassungen zu vermeiden, in der zweiten Welle waren es noch gut 20 Prozent. Am meisten Kurzarbeit gab es im Detailhandel mit fast 90 Prozent in der ersten Welle, während die Pharmafirmen, die bei der Umfrage mitmachten, gar keine Kurzarbeitsentschädigung bezogen.

Welche Branchen nahmen Covid-Kredite des Bundes in Anspruch, um die Liquidität in der Krise zu sichern?

Fast 60 Prozent der Textilfirmen bezogen Überbrückungskredite des Bundes, bei Verkehrs- und Logistikunternehmen jedes zweite, im Detailhandel rund 40 Prozent. Zwischen 20 und 30 Prozent der Energieversorger, Chemiefirmen, Maschinenbauer und Metallunternehmen nahmen solche Kredite in Anspruch. Der kantonsweite Durchschnitt liegt bei knapp 20 Prozent, gar keine Überbrückungskredite bezogen Unternehmen im Gesundheitswesen und in der Pharmabranche.