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Soldatengrab, Hochwasser, Kanal: Die bewegte Geschichte der Bünz bis zu ihrer Korrektion

Soldatengrab, Hochwasser, Kanal: Die bewegte Geschichte der Bünz bis zu ihrer Korrektion

Die Bünz trat häufig über die Ufer und richtete vielerorts Schäden an. Im Zweiten Villmergerkrieg sollen 1000 Menschen im Bach und angrenzenden Moor ertrunken sein. Auch später forderte sie immer wieder Opfer. Dann ging die Entsumpfungskommission ans Werk. Vor 100 Jahren begann man mit der Korrektion des Bachs. Bis die Natur zurückfand, dauerte es lange.

Jörg Baumann

Die Korrektionsarbeiten machen Fortschritte: Der Bünzkanal hat Anglikon erreicht.

Die Bünz ist kein unbedeutendes Bächlein. Schon der Zürcher Schriftsteller, Verleger, Kunstsammler und Politiker Heinrich Heidegger (1738–1823) entdeckte sie auf seiner Reise. In seinem Handbuch für Reisende durch die Schweiz von 1970 erwähnte er sie. Zum Zweiten Villmergerkrieg von 1712 notierte er, dass die unterlegenen fünf Orte 2000 Tote zu beklagen gehabt hätten, «bis 1000 in dem Bünzbach Ertrunkene».

Das ist nur die halbe Wahrheit: Der Aarauer Historiker Dominik Sauerländer wies in seinem Aufsatz «Schauplätze von Krieg und Gedenken in Villmergen. Besichtigung eines Erinnerungsortes» darauf hin, dass sich noch im 19. Jahrhundert an der Bünz, deren Name vermutlich einen keltischen Ursprung hat, und unterhalb der Anhöhe Hembrunn grosse feuchte Flächen befunden hätten, die mit Bewässerungsgräben durchzogen waren.

Solche Gebiete seien bei anhaltendem Regen und Hochwasser rasch überflutet worden, schreibt Sauerländer. Auf der Michaeliskarte von 1843 findet sich am nördlichen Ende der Rütmatten am linken Bünzufer, gegenüber der regionalen Kläranlage Wohlen-Villmergen-Waltenschwil, der Eintrag: aufgefundene Gebeine vom J. 1712.

Fazit: Die gefallenen Krieger ertranken nicht alle in der Bünz. Vielmehr fanden wohl die meisten in der sumpfigen und gefährlichen Bünzebene ihr kühles Grab.

Die Entsumpfungskommission – der erste Schritt zur Bünzkorrektion

Die Gemeinde Waltenschwil hatte 1852 die schlimmste von der überlaufenden Bünz verursachte Wassernot erlebt. So wurde 1863 die Entsumpfungskommission Boswil-Bünzen gegründet. Sie führte die ersten Schritte zur Bünzkorrektion aus.

Das Bauvorhaben der Entsumpfungskommission bestand aus zwei Teilen: Man wollte im Gebiet zwischen Boswil und Bünzen den Torfabbau fördern, aber der Landwirtschaft auch gute, entwässerte Böden zur Verfügung stellen. Boswil bezahlte laut dem Historiker Franz Kretz, Verfasser der Geschichte von Boswil, am meisten an das Entsumpfungswerk. Man legte nicht nur die Bünz tiefer, sondern baute auch einen hundert Meter langen Tunnel durch die Ortschaft Bünzen, um den Wasserstau zu beseitigen. Weiter erstellte man ein System mit fünf Abwasserkanälen und baute neue Brücken und Strassen.

Geografieprofessor war entsetzt über den Umgang mit dem Moor

Am 22. Juni 1882 meldete die Kommission dem Regierungsrat «die totale Vollendung des Moosentstumpfungsunternehmens». Die dicke Post folgte später: Das Bauvorhaben war um fünf Jahre verspätet. Der Kostenvoranschlag wurde um 130 Prozent überschritten. Die Gemeinden und Grundeigentümer, die sich an den Kosten beteiligen mussten, waren «not amused».

1894, also nur acht Jahre später, zeigte sich der an der ETH Zürich lehrende Geografieprofessor Johann Jakob Früh entsetzt über «die ungeheure schwarze Fläche», die beim Torfabbau entstanden war. «Das peripherische Rasenmoor zu beiden Seiten des Bünzkanals ist in Kulturrasen, Kartoffel- und Getreideäcker auf torfigem Grund umgewandelt, mit sporadischen Resten der Sumpfflora. Das übrige zentrale Moos zeigt überall Zeichen der Senkung des Grundwassers und des Eintrocknens.»

Das Hochwasser von 1909 in Anglikon

Dann war es einige Jahre ruhig im Bünztal. Erst das Hochwasser von 1909 zwischen Wohlen und Anglikon brachte die Gemüter in Wallung. Josef Steinmann (1909–1977) aus Anglikon brachte es im Buch «100 Jahre Wohlen-Anglikon» des Bezirkslehrers Heini Stäger aus Wohlen auf den Punkt, wie die Jugend die Überschwemmung erlebte: Die Bünz sei derzeit ein Spielplatz und Bad für die Buben gewesen. Weiter unten, beim Trümmel, sei das Bad der Grossen, der Schwimmer gewesen. Hier hätten die Buben schwimmen gelernt. Die Nichtschwimmer warf man einfach ins Wasser. Sie mussten sich selber helfen.

Das Hochwasser am Tambourenmättli in Wohlen 1909.

Das Hochwasser überflutete das anstossende Land auf einer Breite, wenn es arg wurde, bis zum Restaurant Vergissmeinnicht. Dann musste Peter Vock die Notbrücke schlagen. In den Lokalzeitungen hiess es: «Anglikon am See». Schon ein Jahr später, 1910, trat die Bünz wieder über die Ufer. Die grössten Schäden entstanden in Muri. Der Landwirt Josef Waltenspühl ertrank in der Bünz, als er damit beschäftigt war, das Hochwasser einzudämmen.

Wohler Politiker fordert Korrektion

Der freisinnige Wohler Rechtsanwalt, Gemeindeammann und Grossrat Adolf Furter (1878–1922) forderte vor dem Ersten Weltkrieg in einer Motion mit 27 Mitunterzeichnern im Aargauer Grossen Rat die Bünzkorrektion von Muri bis zur Einmündung in die Aare.

Daran erinnerte Rico Kessler, heute Mitarbeiter der Pro Natura Schweiz, 1990 in seiner historischen Lizenziatsarbeit an der Universität Zürich mit dem Titel: «Fahlende, stinkende Sümpfe! Gründe, Hintergründe und Folgen von Gewässerkorrektionen in der Schweiz am Beispiel der Bünz».

Zwei Jahre später informierte der Aargauer Baudirektor darüber, dass die finanzielle Situation des Kantons Aargau angespannt sei. Über den weiteren Gang der Planung in Sachen Bünz werde man informieren.

Der Bünzabschnitt zwischen Waltenschwil und Wohlen ist bereits wieder renaturiert worden.

In diesem Sinn wurde die Motion Furter überwiesen – ohne den geringsten Protest im Grossen Rat. Immerhin schätzte man allein die Projektierungskosten auf 2 Mio. Franken. Auch die Gemeinden wehrten sich nicht, obwohl ihnen grosse Kosten drohten. Umweltschäden waren kein Thema. Nicht vergessen dürfe man dabei das historische Umfeld, führte Rico Kessler aus: Die Versorgung im Land war durch den Ersten Weltkrieg zumindest bedroht. Die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion war von grösster Bedeutung.

Der Bund sichert Subventionen gegen das «Wildwasser» zu

Doch wie stellte sich der Bund zur Bünzkorrektion? Am 2. Juli 1918 erliess der Bundesrat die Botschaft zur Bewilligung eines Bundesbeitrages an die Korrektion. Der Aargauer Regierungsrat hatte beim Bund ein Projekt eingereicht, das die Verbauung der Bünz von Muri bis Wildegg vorsah.

Der Bundesrat bezeichnete die Bünz in seiner Subventionsbotschaft als «Wildwasser». Der bei trockenem Wetter friedliche Bach könne bei heftigen Gewitterregen innert einiger Stunden zum Wildbach anschwellen und das anliegende Gelände überschwemmen.

Die Folgen seien deutlich zu spüren: Grosse Flächen, die eigentlich für den Ackerbau vorgesehen seien, würden vernichtet. Mit dem Projekt sei es möglich, dass das Hochwasser glatt und ungefährlich abgeleitet werden könne. Der Bund bewilligte einen Beitrag von 1,272 Mio. Franken, 40 Prozent der Baukosten. Für die Ausführung der Arbeiten räumte er 15 Jahre ein.

Der Kanton Aargau schätzte die Baukosten auf 4,5 Mio. Franken. In der vorberatenden Kommission kam auch die Fischerei zur Sprache. Diese würde durch die Korrektion in ihrer Existenz bedroht. Man müsse von ihr noch retten, was ohne Schädigung der stärkeren landwirtschaftlichen Interessen möglich sei. Das war nicht viel. Tatsächlich wurde die Bünz als Fischereigewässer praktisch wertlos.

1923 war der Abschnitt Bünzen–Wohlen fertig

Die Bauarbeiten wurden sogleich aufgenommen. 1922 erschwerten starke Regenfälle den Baufortschritt. An einen Marschhalt war trotzdem nicht zu denken, es wurde «mit Rücksicht auf die Notstandsarbeiter» weiter gearbeitet. 1923 war der Abschnitt Bünzen–Wohlen fertig, 1930 jener von Wohlen bis Dottikon.

Zwischen Anglikon und Dottikon ist die Bünz noch immer kanalisiert.

Im Aargauer Grossen Rat wurde gefordert, die Bünz auch in Othmarsingen und Hendschiken zu kanalisieren. 1936 war die Korrektion auch im Abschnitt Dottikon–Othmarsingen vollendet. Die Arbeiten im Raum Muri liessen auf sich warten. Erst 1952 war die Bünzkorrektion fertig erstellt.

Die Arbeiten an der Bünz waren gefährlich. Der Arbeiter Hildebrand, der in der Polizeimeldung nicht einmal mit seinem Vornamen genannt wurde, verstarb 1929 nach einem Unfall mit einem Rollwagen. Der Vater von sechs Kindern erlitt einen Starrkrampfanfall. Er verschied noch auf der Unfallstelle.

Der Weg zur Renaturierung

Die Kulturingenieure machten an der Bünz Tabula rasa. Viele Tier- und Pflanzenarten verschwanden aus der umgebauten Landschaft. Die Hoffnungen, dass das Bünztal künftig von Überschwemmungen verschont werde, erfüllten sich nicht. Jahrzehntelang gab man sich mit dem langweiligen, biologisch geschwächten Bünzkanal zufrieden.

Um 1990 schlug das Pendel um. Die Bünz solle renaturiert werden. Die ersten Schritte wurden 2004 ausgeführt. Die renaturierte Bünz zog nun Wanderer an, die am Bach ihren Erholungsraum fanden. Selbst der Biber eroberte wieder die Bünzufer. Bei Möriken entstand nach dem Hochwasser von 1999 eine 51 Hektaren messende Auenlandschaft.

Südlich des Hochwasserschutzdamms zwischen Wohlen und Waltenschwil wurde die Bünz renaturiert, der einstige langweilige Kanal ist nur noch zu erahnen.

Dabei profitierte man davon, dass die Bünz in diesem Gebiet nie kanalisiert worden war. Die Renaturierungsmassnahmen sind noch nicht abgeschlossen. Jüngst forderte die Grüne Partei Wohlen, dass die Bünz auch innerhalb der Gemeindegrenzen von Wohlen aufgewertet werden müsse. Zug um Zug verabschiedet man sich also vom öden Bünzkanal.