Kein Unterricht, aber Betreuung: Vorgabe des Kantons sorgt bei Aargauer Schulen für Wirrwarr

Seit Freitagnachmittag ist klar: In den Aargauer Schulen fällt der Unterricht wegen der Corona-Krise ab heute Montag aus. Frühestens am 20. April, also nach den Frühlingsferien, sollen sich die Klassenzimmer dann wieder füllen. Zugleich ordnete der Kanton jedoch an, dass die Schulen im Aargau ein Betreuungsangebot für Kinder und Jugendliche anbieten müssen.

Dies führt bei Politikerinnen mehrerer Parteien zu Unverständnis: «Schulen ab Montag geschlossen – aber der Kanton verlangt, dass die Schulen eine Betreuung für die Kinder sicherstellen? Wird so die vom Bundesrat angestrebte Wirkung nicht wieder ausgehebelt?», fragte die Aarauer FDP-Stadträtin und Grossrätin Suzanne Marclay-Merz auf Twitter. «Diesen Punkt habe ich auch nicht ganz verstanden», twitterte CVP-Nationalrätin Marianne Binder.

50 Prozent aller Kinder zur Betreuung in den Schulhäusern?

Dominic Zschokke, der ehemalige Präsident der Aargauer Piratenpartei, schrieb: «Am Ende haben wir dann im Aargau ein sogenanntes Betreuungsangebot mit der Hälfte aller Schülerinnen und Schüler.» Tatsächlich hat der Kanton Tessin die Erfahrung gemacht, dass rund 50 Prozent der Kinder die schulische Betreuung in Anspruch nehmen.

Elisabeth Abbassi, Präsidentin des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes, sagte in der Samstagsausgabe der AZ: «Bevor sie für die Betreuung auf Grosseltern zurückgreifen, die besonders gefährdet sind, oder die Kinder allein zu Hause wären und stundenlang vor dem Fernseher sitzen oder am PC gamen, ist es sicher besser, sie in die Schule zu schicken.»

Die Schulen im Aargau informieren die Eltern seit Freitag mit Mails oder auf ihren Webseiten über die Regelungen, die ab heute Montag gelten. Dabei zeigt sich: Praktisch jede Schule interpretiert die Weisung, dass kein Unterricht stattfindet, aber ein Betreuungsangebot sichergestellt sein muss, ein bisschen anders. An der Kreisschule Aarau-Buchs wurde das Elternschreiben am Samstag sogar geändert.

«Schulschliessung nur sinnvoll, wenn Kinder zu Hause bleiben»

Eine sehr klare Aussage findet sich auf der Webseite der Schule Wettingen: «Eine Schulschliessung macht nur Sinn, wenn die Schülerinnen und Schüler zu Hause bleiben.» Nur für extreme Notsituationen bestehe in der Schule ein eingeschränkter Hütedienst. Wer diesen in Anspruch nehmen will, muss der Klassenlehrperson bis Sonntagabend verbindlich melden, «in welcher Zeit das Kind gehütet werden muss».

Die Schule Baden macht klar, das Betreuungsangebot sei für Schülerinnen und Schüler gedacht, deren Eltern arbeiten, «z.B. im Gesundheitswesen, Logistik und Grundversorgung», und deshalb die Betreuung der Kinder nicht übernehmen können oder diese einer Person einer Risikogruppe übertragen müssten. Um den Zielen des Bundesrats gerecht zu werden, sollten Eltern vom Betreuungsangebot nur dann Gebrauch machen, wenn dies absolut nötig sei.

Auch die Schule Brugg weist darauf hin, dass Massnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus nichts bringen, «wenn man sich nicht daran hält». Aus diesem Grund bitten die Schulbehörden die Eltern, ihre Kinder zu Hause zu behalten und nicht in den Kindergarten oder in die Schule zu schicken. Wer aus zwingenden Gründen trotzdem auf die Betreuung angewiesen ist, muss sein Kind mit einem Online-Formular bis Sonntagabend anmelden.

Die Schule Windisch hält derweil fest: «Bitte beachten Sie, dass die Kinder grundsätzlich zu Hause bleiben und nur angemeldet werden sollten, wenn Sie keine andere Betreuungsmöglichkeit finden.» Nur so könnten Schulen und Eltern mithelfen, die Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen.

Bildungsdepartement machte weniger klare Aussagen

Im Schreiben des kantonalen Bildungsdepartements, das am Freitag an alle Eltern ging, wird weniger klar, dass das Betreuungsangebot in den Schulen nur für Notfälle gedacht ist. Die Schulen stünden in der Pflicht, ab Montag die Betreuung zu gewährleisten, heisst es dort. «Sie als Eltern entscheiden darüber, ob Ihr Kind von diesem Angebot Gebrauch macht beziehungsweise Ihr Kind in die Schule geht oder zu Hause bleibt», ist im Brief weiter nachzulesen. Nur für den Fall, dass ein Kind erkranken sollte, seien die Eltern aufgefordert, «wie üblich Ihr Kind bis zur vollständigen Genesung zu Hause zu betreuen».

An dieser Information des Kantons mit der Wahlfreiheit der Eltern orientiert sich offenbar die Schule Menziken. Sie schreibt, der Entscheid, ein Kind zu Hause zu behalten oder in die Betreuung zu schicken, liege ausschliesslich bei den Eltern. «Sollten Sie vom Montag, 16. März bis zum Mittwochmittag, 18. März, eine Betreuung Ihres Kinder benötigen, dann schicken Sie es zu Schulbeginn ins angestammte Schulhaus», heisst es im Elternbrief weiter.

Die Regionalschule Lenzburg weist die Eltern auf der Website indes darauf hin, dass die vom Bundesrat angeordneten Massnahmen nur dann Sinn machten, «wenn das Betreuungsangebot nur in absolut notwendigen Fällen genutzt wird und sich wenige Kinder und Jugendliche vor Ort versammeln».

Nochmals anders klingt die Information in Rheinfelden – die Schule weist darauf hin, dass das Betreuungsangebot «freiwillig genutzt werden kann». An den Schulen Rheinfelden gilt die Krankheitsregelung, das heisst: «Kinder, die zu Hause nicht betreut werden können, kommen gemäss Stundenplan in die Schule.» Weitere Informationen verspricht die Schule Rheinfelden für Anfang nächste Woche.

Dasselbe gilt in Frick, wo die Schule darauf hinweist, das Betreuungsangebot könne freiwillig besucht werden. Die Eltern müssen die gewünschten Zeiten oder Halbtage im Voraus definieren und per Mail melden. Die Schule Frick weist weiter darauf hin, dass Kinder, die nicht betreut werden, sich nicht auf dem Schulareal aufhalten dürften.

Philipp Grolimund, der Präsident des kantonalen Schulleiterverbandes, ist Schulleiter in Laufenburg. In seinem Schreiben heisst es relativ neutral: «Für die Eltern, die keine Möglichkeit haben, ihre Kinder zu betreuen, gewährleistet die Schule die Betreuung.»

Schulen im Freiamt rufen auf: Betreuung nur in Notfällen

In Wohlen stellen die einzelnen Schulzentren für alle Kinder, die nicht zu Hause betreut werden können, folgendes Betreuungsangebot zur Verfügung: Montag bis Freitag, 8.00 Uhr bis 11.50 Uhr und 13.30 Uhr bis 15.05 Uhr. Eltern müssen ihre Kinder spätestens am Vortag bis 12 Uhr bei der Klassenlehrperson für die Betreuung anmelden, kranke Kinder müssen zu Hause bleiben.

Die Schule Muri hält fest, dass das Corona-Virus nur eingedämmt werden könne, wenn möglichst wenig Personen auf engem Raum zusammenkämen. «Grundsätzlich bleiben die Kinder zu Hause», die Betreuung in der Schule sei als Notfallangebot für Eltern zu verstehen, «die keine Möglichkeit haben Ihr Kind zu Hause zu betreuen.»

Die Schulbehörden in Bremgarten richten folgenden Aufruf an die Eltern: «Nach Möglichkeit behalten Sie Ihr Kind ab Montag zu Hause und schicken es nicht in die Schule oder den Kindergarten.» Die Eltern werden ausdrücklich gebeten, «vom Betreuungsangebot nur im Notfall Gebrauch zu machen».

Noch nicht alle Schulen im Aargau sind für die Betreuung bereit

Die Schule Aarburg erfasst derzeit den Betreuungsbedarf für die Schüler, welche nicht zu Hause von ihren Eltern betreut werden können. «Bitte setzen Sie sich direkt mit der zuständigen Klassenlehrperson in Verbindung und melden Sie den Bedarf für Betreuung oder auch, wenn Sie keinen Betreuungsbedarf haben», heisst es auf der Website.

Die benachbarte Schule Zofingen hält fest, die bundesrätliche Anordnung bezwecke, «dass die Kinder zu Hause bleiben». Schülerinnen und Schüler, deren Eltern arbeiten müssen oder von Personen der Risikogruppe betreut werden müssten, könnten zur Betreuung in die Schule geschickt werden.

Die Schule Suhr betont, die Eltern seien nun gefordert, ein Betreuungsangebot für ihre Kinder auf die Beine zu stellen. Für Familien, die keine solche Möglichkeit hätten, habe die Schule vom Kindergarten bis zur 6. Klasse ein Angebot zusammengestellt. Für sämtliche Eltern gibt die Schule Suhr darüber hinaus konkrete Anweisungen: «Bitte lassen Sie Ihre Kinder nicht durch die Grosseltern oder Personen über 60 Jahre betreuen. Halten Sie Ihre Kinder dazu an, sich nicht in grösseren Gruppen (ab fünf Personen) aufzuhalten. Organisieren Sie sich mit Nachbarn/Nachbarinnen und Freunden/Freundinnen für die Tagesbetreuung.»