Kesb-Präsident zum Suizid nach Sorgerechtsstreit: «Man entscheidet nicht aus dem Bauch»

Im Dezember verlor eine fünffache Mutter im Fricktal einen Sorgerechtsstreit gegen ihren Mann vor dem Familiengericht Laufenburg. Wenige Tage darauf nahm sie sich das Leben.

Der tragische Todesfall bewegt die Gemüter in der kleinen Gemeinde auch nach zwei Monaten noch. Vor dem Landgasthof Ochsen, wo das Trauermahl stattfand, an dem der Vater und die fünf Kinder nicht teilnahmen, redet sich eine Frau in Rage. Es sei eine «Sauerei» gewesen, dass der Vater die Kinder mitgenommen und ihnen damit die Teilnahme am Trauermahl der eigenen Mutter verwehrt habe.

Ein Mann, der beim Brunnen auf dem Dorfplatz steht, sagt, das Thema gebe im Dorf noch immer zu reden. «Man hört viel, wer was falsch gemacht haben soll.» Er schüttelt den Kopf. «Im Endeffekt ist es egal. Was passiert ist, ist einfach nur tragisch. Am schlimmsten ist der Fall für die Kinder.»

Eine Frau erzählt, dass sie die Mutter ab und zu im Dorf angetroffen habe. Man habe ihr damals angemerkt, dass es ihr nicht gut ging. «Dass es aber so ausging, ist einfach unvorstellbar.» Beim Volg-Laden meint eine ältere Dame: «Das, was passiert ist, ist eine Riesen-Bürde für alle Angehörigen.» Auch die Frau Gemeindeammann des Dorfes kennt die Familie der Verstorbenen. «Sie wohnen seit Urzeiten hier», sagt sie. Die genauen Umstände des Falles kenne sie nicht. «Seit der Einführung des neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrechts sind die Gemeinden nicht mehr zuständig.»

Mitgefühl für die Hinterbliebenen

Dennoch gehe ein solches Ereignis nicht spurlos an einem vorbei. «So etwas erschüttert ein Dorf und beschäftigt einem.» Die Anteilnahme sei sehr gross gewesen. Viele Leute seien an die Trauerfeier kurz vor Weihnachten gekommen. «Als Gemeinde können wir nicht viel für die Hinterbliebenen tun, wir können einfach mitfühlen», sagt sie.

Die Eltern der Verstorbenen wollten sich am Sonntag gegenüber dieser Zeitung nicht äussern. Der «NZZ am Sonntag» sagte die Mutter, ihre Tochter sei gegangen, «weil man ihr die Kinder weggenommen hat».

Was mit Kindern passiert, wenn sich ihre Eltern trennen, entscheidet die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb). Im Aargau ist die Kesb ein Teil der Familiengerichte. Diese entscheiden im Rahmen von Scheidungs- und Eheschutzverfahren unter anderem über Unterhaltsansprüche, Besuchsrechte und Kindesschutzmassnahmen.

Guido Marbet ist Präsident der nationalen Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz. Zum konkreten Fall im Fricktal kann er sich nicht äussern, gegenüber «Tele M1» erklärt er, wie eine Behörde vorgeht, wenn sie in Sorgerechtsfällen einen Entscheid fällen muss.

Gemeinsam eine Lösung finden

Guido Marbet sagt, man müsse zwei Situationen unterscheiden. «Bei einer unmittelbaren Gefährdung der Kinder, geht es darum, sie möglichst sicher zu platzieren und sie aus der Gefährdungssituation herauszunehmen.» Wenn sich hingegen zwei Elternteile trennen, die zuvor einen gemeinsamen Haushalt führten, müsse man überlegen, «bei welchem Elternteil die Kinder die idealeren Voraussetzungen haben».

In den allermeisten Fällen könnten sich die Eltern über die Obhutsregelung einigen. «Wir versuchen, die Eltern dazu zu bringen, dass sie gemeinsam eine Lösung finden», sagt Guido Marbet. Das sei immer die beste Lösung, weil sie von beiden getragen werde.

Doch eine ideale Lösung findet sich nicht immer: «Wenn die Eltern zu stark zerstritten oder die Verhältnisse zu schwierig sind, ist man in der Situation, in der man einen Entscheid fällen muss», sagt Marbet. Das könne «unendlich schwer sein. «Da entscheidet man nicht aus dem hohlen Bauch.» Einem solchen Entscheid würden lange Abklärungen vorausgehen. «Wir sind dabei auch auf die Unterstützung durch Fachpersonen, zum Beispiel Psychologen, angewiesen», sagt er. Diese würden beispielsweise Interviews mit beiden Elternteilen führen und ihre Erziehungsfähigkeit prüfen.

Letztlich gehe es in erster Linie darum, «welcher Elternteil den Kindern stabile Verhältnisse und die Obhut gewährleisten kann». Die Eltern müssten das auch nicht alleine schaffen: «Es gibt viele Hilfsangebote. Personen, welche die Eltern unterstützen und ihnen helfen, alltägliche Aufgaben zu bewältigen.» Es gelte das Gebot, «dass jener Elternteil, der eine harmonische Entwicklung der Kinder besser gewährleisten kann – mit oder ohne Hilfe – die Obhut bekommen soll» Erst wenn es nicht anders gehe, weil die Erziehungsfähigkeit der Eltern nicht gewährleistet oder zu tief sei, zum Beispiel aus Krankheits- oder Suchtgründen, sei eine Fremdplatzierung der Kinder «das letzte Mittel», sagt Marbet.

Wie die Eltern nach dem Entscheid unterstützt werden, komme sehr auf den konkreten Fall an. Wenn beide Eltern- teile schon betreut seien, beispielsweise von einem Beistand, stünden ihnen diese Personen zur Verfügung. Ansonsten hätten sie mindestens ihre Anwälte, die sie im Verfahren vertreten, «die ihnen erklären können, was entschieden wurde und was das bedeutet», sagt Guido Marbet.