
Kleine Kasse, grosses Honorar: So hoch sind die Bezüge der Chefs und Präsidenten bei den Aargauer Krankenkassen
Die hierzulande anerkannten Regeln einer guten Geschäftsführung haben die Verantwortlichen des Badener Krankenversicherers Aquilana nie vollumfänglich eingehalten. So ist Dieter Boesch, der Geschäftsführer der ehemaligen ABB-Betriebskasse, erst seit dem vergangenen Jahr nicht gleichzeitig auch noch Präsident des Verwaltungsrats.
Zuvor hatte Boesch während knapp 30 Jahren das mittlerweile verpönte Doppelamt ausgeübt. Dafür liess er sich rund 300000 Franken auszahlen, Spesen inbegriffen. Nicht ausgewiesen waren Vorsorgebeiträge des Arbeitgebers. Nach der Pensionierung per Ende 2019 behielt Boesch das Amt des Verwaltungsratspräsidenten.
Der Krankenversicherer verlor in den letzten fünf Jahren stetig Kunden. So hatte die Aquilana Ende 2020 noch 40’600 Grundversicherte. Auch wenn die Kasse damit nach wie vor knapp die grösste der 20 kleinen ist: Die Vergütungen der Führungskräfte sind äusserst grosszügig, wie ein Vergleich mit den zwei anderen Aargauer Krankenversicherern sowie ähnlich grossen Konkurrenten zeigt:

Gesamtbezüge mit Mandaten liegen bei über 170000 Franken
99’000 Franken bezog Boesch nun im vergangenen Jahr, als er nur noch Verwaltungsratspräsident war. Er rechtfertigt dies damit, dass ihm als Präsident nicht nur der Geschäftsführer, sondern auch der Compliance Officer unterstellt ist, also der für die Einhaltung der rechtskonformen Unternehmensführung zuständige Experte der Aquilana.
Dies bedeute, so Dieter Boesch, «vermehrte, direkte Führungsarbeit und Koordination zwischen der strategischen und operativen Ebene». Obendrein sei er neben anderen Aufgaben auch noch Vorsitzender der beiden Fachausschüsse des Verwaltungsrats der Aquilana. Dazu bezeichnet sich Boesch als «Aussenminister» der Kasse, weil er im Verwaltungsrat des Branchenverbands Santésuisse und im RVK-Vorstand sitzt, dem Dienstleister der kleineren und mittleren Krankenversicherer. Bei beiden Verbänden ist Boesch als Vizepräsident tätig.
Bei der überwiegenden Mehrzahl der Anbieter mit mehr als 100’000 Grundversicherten gilt: Wer sein Unternehmen in solchen Gremien vertritt, muss die Honorare an den Arbeitgeber abgeben. Bei kleineren Kassen ist das eher unüblich. Daher darf Boesch wie bisher die Honorare behalten. Gemäss Recherchen der AZ belaufen sich diese Einnahmen auf mehr als 70’000 Franken. Daher summieren sich die Vergütungen auf über 170’000 Franken. Das Arbeitspensum betrage rund 60 Prozent, sagte Boesch vor zwei Jahren in einem Interview.
Agrisano-Präsident bezieht eine deutlich geringere Entschädigung
Bescheidener sind die Vergütungen bei der in Brugg domizilierten rund vier Mal grösseren Agrisano mit 155’000 Grundversicherten. Sie bietet Bauern ein umfassendes Versicherungspaket an, zu dem auch die obligatorische Krankenversicherung gehört. Deren Präsident, Francis Egger, bezieht 71’154 Franken. Boesch sagt dazu, dass die Agrisano kein eigenes Zusatzversicherungsgeschäft führe: «Das erschwert einen direkten und fairen Vergleich bei den Entschädigungen, da sehr unterschiedliche gesetzliche Anforderungen erfüllt werden müssen.»
Boeschs Honorar von 99’000 Franken bei der Aquilana übersteigt aber nicht nur das von Verwaltungsratspräsidenten grösserer Konkurrenten mit Zusatzversicherungsgeschäft. Es ist die mit Abstand höchste Vergütung aller 20 Kassen mit weniger als 50’000 Grundversicherten.
Vergleichsweise hoch sind auch die 47’186 Franken, die der Präsident der Küntener KK Birchmeier bezieht. Im Hauptberuf ist Thomas Naef Generalagent eines Versicherungsunternehmens. Er sagt, er lege wirklich seine gesamte Vergütung offen: «Ich beziehe daneben auch keine Spesen, keine Boni oder andere Nebenleistungen.»
Kleine Krankenkassen mit hohen Vergütungen meist wenig effizient
Selbst wenn die Entschädigungen der Topleute kleinerer Kassen nicht durchwegs vergleichbar sind: Aquilana und Birchmeier bieten ihren Verwaltungsratspräsidenten hohe Honorare. Mit 233’000 Franken ist auch Aquilana- Geschäftsführer Werner Stoller sehr gut bezahlt, zumal in diesem Betrag die Vorsorgebeiträge nicht inbegriffen sind.
Kleinere Kassen, die ihre Topleute mit hohen Vergütungen verwöhnen, zählen meist nicht zum Viertel der effizientesten Anbieter. Deren Verwaltungsaufwand pro Versicherten liegt laut einem Ranking des Vergleichsdiensts comparis.ch bei höchstens 140 Franken. Das unterschreitet Agrisano mit 139 knapp. Bei der Aquilana sind es 182, bei der Klug 244, bei der KK Birchmeier gar 279 Franken.
Schlank arbeitet die in Brig domizilierte Sodalis, die auf 109 Franken pro Grundversicherten kommt. Sie ist fast gleich gross wie die Aquilana in Baden und führt auch ein Zusatzversicherungsgeschäft. Dessen Geschäftsführer, Matteo Kalbermatten, ist seit Anfang 2020 im Amt, er erhält eine Vergütung von 147’701 Franken. Dazu kommt noch das Honorar für Kalbermattens Mandat im RVK-Vorstand von geschätzten 20’000 Franken. Christoph Imsand, Präsident der Sodalis, kassiert 10820 Franken – das ist massiv weniger als die Präsidenten der Aargauer Krankenkassen.
Wie lange Boesch seine Mandate behält, ist derzeit noch offen
Offen ist, ob und ab wann Aquilana-Chef Stoller auch von Mandatshonoraren profitieren darf. Verwaltungsratspräsident Boesch tönt an, geplant sei ein «sukzessiver Abbau» seiner Tätigkeiten. Die Amtsperiode als Vizepräsident bei der RVK läuft 2022 aus. Wie es danach weitergeht, ist unklar.
So weisen Krankenkassen die Entschädigungen aus
Die Aargauer Krankenkassen veröffentlichen die Entschädigungen ihrer Führungsgremien zwar nicht auf die gleiche Art und Weise. Aber sie tun dies transparenter als andere Konkurrenten. So publiziert unter anderen die Lehrerkasse SLKK lediglich die Zahlungen für das Grundversicherungsgeschäft. Nur das verlangt der Gesetzgeber. Daher bleiben die Bezüge, die dem Zusatzversicherungsgeschäft verrechnet werden, unter dem Deckel. Bei der KK Visperterminen und der KK Stoffel Mels erhält man einen Geschäftsbericht nur dann, wenn man auf deren Büros vorspricht.