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Die Kunst des Ghostings: ein Meisterstück

Wie alle grossen Liebesgeschichten dieses Jahrhunderts hat es mit dem sexy Feuerwehrmann – nennen wir ihn mal Sämi – und mir auf Tinder angefangen. Er war witzig, charmant, frech. Wir konnten gemeinsam anstössige Witze reissen, die Schweizer Gleichstellungspolitik diskutieren und über das Wesen der Liebe philosophieren.

Fiona Wiedemeiers Kolumne «Irrfahrten einer Tinderella» lesen Sie hier.

Fünf Tage haben wir praktisch ununterbrochen miteinander geschrieben und sind uns innert kürzester Zeit ziemlich ans Herz gewachsen – wir fanden das beide absurd. Er sei am Räupli züchten, befand er, weil Schmetterlinge im Bauch doch verrückt wären. Am Vorabend unseres ersten Treffens rechnete er mir vor, in wie vielen Minuten wir uns sehen würden und schickte mir ein Liebeslied. Mit diesem in den Ohren bin ich eingeschlafen – unterdessen waren’s bei mir definitiv Schmetterlinge.

*Fiona Wiedemeier (27) ist Aarauerin, Europäerin, Feministin, Libera, foraus-Denkerin und Geschäftsführerin der GLP Kanton Zürich.

Nach dem Aufwachen wollte ich seine tägliche Gute-Morgen-Nachricht checken – während ich mir in allen Farben unsere romantische erste Begegnung ausmalte –, aber der Tinder-Match war weg. Feuerwehrmann Sämi war verschwunden! Keine Erklärung, nichts.

Meine erste Reaktion: Leugnen. Ein technischer Fehler – er würde gleich wieder auftauchen –, ein Versehen – er wollte nur seine anderen Matches löschen, weil er ja jetzt die EINE gefunden hatte –, sein Handy wurde bei einem Einsatz zerstört, als er ein Kind aus einem brennenden Haus gerettet hat. Da er aber meinen vollen Namen kannte, konnte ich mich an diesen Illusionen nicht allzu lange festklammern. Ich wurde geghostet.

Also kam die Wut. Stunden habe ich damit zugebracht, ihn zu googeln – erfolglos, bin einfach nicht zur Ermittlerin geboren. Hab mir die abstrusesten Strategien ausgedacht, ihn wiederzusehen: Auf einen Baum klettern und mich retten lassen, weil er als Feuerwehrmann ja ständig Büsis von Bäumen holt. Ich habe sogar erwogen, an seinem Wohnort Bülach Plakate mit einer Botschaft an ihn aufzuhängen – ich pendelte im Minutentakt zwischen «Ich glaub, ich will dich und hoffe, du willst mich auch», ein Zitat von ihm, und «F*** you, Sämi». Ich weiss, batshit crazy.

Ich habe meinen Tinder-Account gelöscht – sorry, liebe Matches da draussen, es lag nicht an euch, es lag an mir – und neu installiert. Radius und Alter so eingestellt, dass ich ihn möglichst schnell wieder finden würde. Nach fünf Swipes wurde er mir wieder angezeigt – Schicksal. Die Unterstellung, ich hätte Tinder Plus gekauft und mich digital an seinen Wohnort platziert, ist natürlich haltlos. Hab alle seine Bilder für eine Bilderrückwärtssuche gescreenshoted, mein Bumble-Match aus seiner Heimatstadt um Hilfe gebeten – alles erfolglos. Am nächsten Morgen war sein Profil gelöscht.

Den Tiefpunkt erreichte ich eine Woche nach unserem Match, heulend auf dem Klo meiner Lieblingsbar – ja, das passiert nicht nur in schlechten Hollywoodfilmen. Gutes Zureden meiner Freundinnen hat genauso wenig geholfen wie Ablenkung im Club. Ständig geisterte in meinem Kopf das «Warum» herum. Hat er sich dank meiner tiefsinnigen Analyse über das Wesen der Liebe doch noch für die Liebe zu seiner Ex entscheiden? Viel wahrscheinlicher: Ich wurde gecatfished. Ich werde es wohl nie wissen. Meine einzige Hoffnung: Man kann ja nicht länger brauchen, um über einen Menschen hinwegzukommen, als man ihn überhaupt gekannt hat – schreibe das hier zwei Wochen später, also …

Irgendwann werde ich froh sein, diesen Menschen nicht in meinem Leben zu haben – die weisen Worte meines Papas –, aber bis dahin bin ich jetzt mal noch eine Weile abwechselnd wütend, traurig und batshit crazy.