Immer mit der Ruhe?
Bern, Winterthur und Aarau sind die Schweizer Städte mit der geringsten Lärmbeschallung im Wohnsegment. Das ging kürzlich aus einer Studie der Zürcher Kantonalbank (ZKB) hervor. Ha – da haben wir schon wieder einen Grund, auf unsere lässige Stadt stolz zu sein! Denke ich mir und überlege, wie leise oder laut ich denn Aarau empfinde.
Seit eineinhalb Jahren wohnen wir nun im Scheibenschachen. An mein erstes Aufwachen nach dem Umzug kann ich mich noch gut erinnern. Mir ist nämlich aufgefallen, wie laut all die Vögelchen sein können, die rund um unser Mehrfamilienhaus den Tag vorbesprechen. Rund 50 Dezibel dürfte die Lautstärke gemäss ZKB-Studie betragen haben. Natürlich ist es in einem urbanen Gebiet ein gutes Zeichen, wenn die lauteste Ruhestörung der Fauna geschuldet ist.
*Fabio Mazzara ist Grafiker, Beizer und Einwohnerrat (Pro Aarau).
Und ungewohnt für mich, weil wir zuvor zwischen Tellistrasse und KIFF gewohnt haben. Einerseits verirren sich – ausgenommen von humanen Nachteulen – sehr wenige Vögel in das ehemalige, zubetonierte Gewerbeareal, andererseits kann man sich den Lärm aussuchen. Im Norden die stark befahrene Tellistrasse, die wie eine unerschöpfliche Quelle Krach produziert. Im Süden das KIFF mit den wummernden Bässen und den fröhlichen Gästen. Zweiteres hat mich nie gestört. Weil mir die eher laute Nachbarschaft bewusst war. Und es war ein positiver Lärm. Lebensbejahend, die Gäste hatten Freude, es wurde gefeiert, es wurde getanzt. Wieso sollte ich darüber verärgert sein in einer Welt, in der Glückseligkeit ein knappes Gut ist? Der Strassenlärm dagegen war destruktiv und dumpf.
Einen Lebenswohnabschnitt früher lebten wir im Dammquartier. Recht weit vorne. Natürlich war die Zugstrecke präsent, wobei die modernen Personenzüge, in Kombination mit der Lärmschutzwand, so leise sind, dass die Vögelchen sich daneben locker unterhalten konnten. Jedoch waren spätabends die langen, alten Güterzüge eher unfreundlich laut, daran hatte ich mich aber schnell gewöhnt. Die Nachbarschaft war recht divers. Es gab einen Hund, der gerne bellte, ein Vereinslokal mit unregelmässigen Festivitäten bis tief in die Nacht und eine Nachbarin, die ihrem Nachbarn – nicht mir – auch mal in grösstmöglicher Lautstärke ihren Unmut kundtat. Leben und leben lassen, das kann man hinter dem Damm.
Ist Aarau nun leise oder laut?
Ich habe auch mal in der Altstadt gewohnt. Im Adelbändli, in einer Dachwohnung. Logischerweise hat man da, im Zentrum der Stadt, den altstädtischen Betrieb, besonders an Wochenenden. Mein lärmtechnisches Highlight kam weder vom Verkehr, von den Personen, der Kultur noch Fauna. Es waren die Glocken! So schön die Aussicht von meinen Dachfenstern auf den greifbar nahen und hübschen Kirchturm der Stadtkirche auch war, so unwirklich laut war es, wenn die Glocken so richtig losgelassen wurden. Zum Beispiel am Sonntagmorgen, das war eine körperliche Erfahrung. Heiliger Bimbam!
Aufgewachsen bin ich in der Goldern. Gleich beim Wald und nahe der Entfelderstrasse, damals noch ohne Lärmschutzwand. Ein toller Ort, um aufzuwachsen! Weil unsere Wohnung erhöht lag, konnte ich an Heimspielen des FC Aaraus, die ich als Kind unter der Woche nicht besuchen durfte, das Fenster öffnen und mithören. Wenn die Windverhältnisse gut waren, fühlte ich mich mitten im Geschehen – der Lärm war mein Vergnügen! Und das Radio lieferte, in regelmässigen Schaltungen ins Brügglifeld, die Details, die ich akustisch nicht mitbekommen habe oder zuordnen konnte.
Ja, ist denn Aarau für mich nun leise oder laut? Persönlich hat mich bislang der Verkehrslärm am meisten gestört. Die Idee des Kantons, auf der Bahnhofstrasse testweise Tempo 30 einzuführen, geht diesbezüglich genau in die richtige Richtung. Ich bin überzeugt, dass diese Massnahme nicht nur lärmtechnisch eine verbesserte Lebensqualität bringt, sondern hoffentlich Vorbild für viele weitere Strassenabschnitte auf unserem Stadtgebiet wird.