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Die Kultur braucht mehr als nur Applaus – denn genug Wertschätzung ist damit noch nicht da

Die Kultur braucht mehr als nur Applaus – denn genug Wertschätzung ist damit noch nicht da

Nach dem Auftakt im Pandemiemodus stellt sich der Aargauische Kulturverband (AGKV) neu auf.

Anna Raymann

In der neuen Alten Reithalle gibt es Applaus für Argovia Philharmonic.

Neue Theaterbauten in Baden und Aarau, Orchester mit internationalen Stars, das Stapferhaus gewinnt gar den «Oscar» der Museen. Der Aargau feiert sich mit dergleichen Erfolgen gerne als «Kulturkanton». Dabei ist schnell übersehen, dass die Kultur im Kanton nicht den leichtesten Stand hat. Was die kantonale Finanzierung betrifft, bewegt sich der Aargau im nationalen Vergleich in den letzten Jahren um den 20. Rang herum – je nach Berechnung etwas darüber oder darunter. Der viertgrösste Kanton steht neben seinen urbanen Nachbarn wie Zürich oder Basel mager da. Die fehlenden finanziellen Mittel machen die Arbeit für Kulturschaffende zu einem Kraftakt. Michael Schneider, Geschäftsführer des Aargauischen Kulturverbands (AGKV):

«Es braucht mehr Wertschätzung für die Kultur.»

Der im Corona-Winter 2019/2020 gegründete Branchenverband will ihre Lobby sein. Dass an dieser Stelle ein Vakuum herrschte, zeigte sich spätestens als während der Pandemie die Türen der Konzertsäle, Theater und Museen geschlossen blieben und es vielen Kulturschaffenden ans Existenzielle ging.

Ein Geschäftsführer mit gutem Netzwerk

Der AGKV fand sich als Vermittler wieder zwischen kantonalen und nationalen Verbänden und den Kulturschaffenden, bündelte Vorgaben und orientierte über Entschädigungen. Nachdem in den letzten Monaten so etwas wie Routine eingekehrt ist, hat sich der Verband, seit September mit Schneider als Geschäftsführer neu aufgestellt.

Michael Schneider ist seit September Geschäftsführer beim Aargauischen Kulturverband.

Michael Schneider ist in der Aargauer Kulturlandschaft kein Unbekannter. «Ich bringe viel Erfahrung, ein Netzwerk und einen Überblick über den Kanton mit in diese Arbeit», sagt Schneider. Von 2006 bis 2019 hat er das Künstlerhaus Boswil geführt und zum «Ort für Musik» gemacht. Im Stapferhaus in Lenzburg war er Projektleiter, engagierte sich bei Argovia Philharmonic und Pro Argovia. Zurzeit leitet der 57-Jährige die Basler Bildungsinitiative «Zuhören Schweiz».

Das Kulturschaffen im Kanton stärker vernetzen

Bisher hat die Pandemie die Agenda zumindest mitgeschrieben. Der AGKV scheute sich nicht davor, die Gesuchsprozesse für Entschädigungen wegen ihrer Langwierigkeit öffentlich zu kritisieren. Dennoch ist Schneider zuversichtlich: «Ich will die Pandemie als Chance verstehen, weil sie allen die Bedeutung von Kultur bewusst gemacht hat. Kultur mag von einigen als Luxus empfunden werden, aber sie ist doch die DNA unserer Gesellschaft.»

Aber auch beim Austausch in der Branche selbst gibt es Aufholbedarf. Die einzelnen Sparten und die historisch starken Regionen wissen wenig voneinander. Aktuell verzeichnet der Verband rund 50 Mitglieder, darunter auch Leuchttürme wie Argovia Philharmonic und Fantoche. «Wir wollen noch breiter vernetzt sein, unser Ziel für das nächste Jahr sind 150 Mitglieder», so Schneider. Die Website, die zurzeit noch rudimentär ist, soll zu einer Informationsplattform für Kultur im Kanton werden.

Ein Auftritt mit selbstbewussten Forderungen

Das Kulturbudget ist über die letzten Spar-Jahre tendenziell zurückgegangen, der Swisslos-Fonds musste ausgleichen. Es wird keine leichte Aufgabe für den neu gegründeten Verein, an dieser Ausgangslage etwas zu verändern. Michael Schneider zeigt sich ehrgeizig:

«Fördergelder erhöht man nicht von heute auf morgen, wir arbeiten mit einem längerfristigen Plan, um den Stellenwert der Kultur im Kanton sichtbar zu machen. Schon in diesem ersten, turbulenten Jahr, ist es uns gelungen, die Anliegen der Kulturschaffenden in die Politik zu tragen.»

Die Kulturkommission des Grossen Rates ist ebenso in Kontakt mit dem neuen Kulturverband wie eine überfraktionelle Gruppe Kultur aus 33 Grossräten. Es mag an der Euphorie über die neu eröffneten Kulturhäuser liegen, der Eröffnungstanz in der Alten Reithalle hat so manchen beflügelt. Tatsächlich scheint die Politik wohlwollender als auch schon auf das kulturelle Geschehen zu blicken.

Der AGKV fühlt den Kulturschaffenden für das Kulturkonzept den Puls

Zurzeit schreibt der Kanton sein neues Kulturkonzept für die Jahre 2023 bis 2028. Der AGKV fühlte den Kulturschaffenden dafür inmitten des Krisenjahres den Puls. «Es geht nicht allen gleich schlecht», sagt Michael Schneider trocken. Optimierungsbedarf gebe es vor allem in drei Punkten: «Es fehlt schlicht an Räumen für Produktion, Proben und Vernetzung, die man günstig oder gar gratis nutzen kann. Darüber hinaus müssen Förderinstrumente den neuen, öfters spartenübergreifenden Schaffensweisen angepasst werden, etwa indem Prozesse stärker als Produkte gefördert werden. Und drittens geht es klar um Existenzsicherung. Die Pandemie hat einmal mehr gezeigt, dass Kunstschaffende mehr als andere Branchen armutsgefährdet sind.»

Der AGKV steigt mit selbstbewussten Forderungen ein. Nun muss er aber seine Aufgaben über den Krisenmodus hinaus festigen.