
«Läden so bald wie möglich wieder öffnen»: Politik und Wirtschaft machen Druck auf Aargauer Regierung
Benjamin Giezendanner, Präsident des Aargauischen Gewerbeverbandes, spricht von einem «völlig überstürzten Vorgehen» der Regierung. Die zusätzlichen Massnahmen seien «unbestimmt und führen damit zu vielen offenen Fragen und Wettbewerbsverzerrungen», schreibt er in einem offenen Brief an die Regierung.
Mitunterzeichnet haben den Brief die Aargauische Industrie- und Handelskammer sowie die Partei- und Fraktionspräsidentinnen von SVP, FDP und CVP Aargau. Giezendanner hat also viel politische Power hinter sich geschart. Mit zwei klaren Forderun- gen: Erstens sollen Verkaufsläden des Detailhandels so bald wie möglich wieder öffnen dürfen. Zweitens müssten die Regeln «einfach, klar und verständlich» sein und sollen Grossverteiler wie KMU gleich treffen. Kurz: Sie sollen nicht wettbewerbsverzerrend sein.
Kein Verständnis für Vollbremsung vor Weihnachten
Weil die Wirtschaft wichtiger ist als Menschenleben? «Nein», sagt Giezendanner. «Wir anerkennen die Situation im Gesundheitsbereich. Aber wir verstehen nicht, warum man vor Weihnachten eine Vollbremsung machen muss.» Dass er damit Parteikollege und Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati attackiere, will Giezendanner nicht gelten lassen. «Die Gesamtregierung ist verantwortlich für die Situation, wie wir sie jetzt haben», sagt er.
Badener Gewerbeverband rät: «Im Zweifelsfall aufmachen»
Mails an den Kanton blieben unbeantwortet, Telefonleitungen seien überlastet – so schreibt es Michael Wicki, In- terimspräsident des Badener Gewerbeverbandes, in einem Mail an die Mit- glieder. Er rät ihnen: «Im Zweifelsfall aufmachen.» Klar sei einzig, dass Geschäfte, die nur Schmuck und Uhren, Schuhe, Bücher, Spielwaren oder Teppiche verkaufen, geschlossen bleiben müssen. Vieles aber sei unklar und die Unterscheidungen völlig willkürlich. Wer aufmacht und das nicht darf, der riskiert freilich eine Busse. Aber wie soll ein Polizist die Situation besser beurteilen können als Gewerbler?
Kantonspolizei hat noch keine Bussen verteilt
Auf Anfrage heisst es bei der Kantonspolizei bloss: Man sei in ständigem Austausch mit den involvierten Stellen des Kantons. Man kenne die Bestimmungen und sei über die Massnahmen informiert. Und: Bussen habe man in Zusammenhang mit den seit Sonntagabend geltenden Massnahmen noch keine ausgesprochen.
Kritisch, aber weniger hart äussert sich auch Marianne Binder, Präsidentin der CVP Aargau: «Wir nehmen die Gesundheitslage sehr ernst, waren aber überrascht, dass der Kanton die bereits einschneidenden Massnahmen des Bundesrates übersteuert hat.» Damit habe er vielen Gewerblern das Weihnachtsgeschäft vermiest. Sie habe in diesen Tagen zahlreiche sehr bewegende Telefonate mit Gewerbetreibenden geführt, sagt Binder. Und: «Ich rufe gerne dazu auf, die Weihnachtsgeschenke nicht jetzt in einem anderen Kanton, sondern erst im Januar, dafür im Aargau zu kaufen.» Sie fordert von Bund und Kanton, aber auch zwischen den Kantonen mehr Koordination.
Regierungsrat informiert heute über Härtefallmassnahmen
Forderungen hat auch Benjamin Giezendanner. Man solle die Läden nicht bis 22. Januar fix schliessen, es brauche eine rollende Neubeurteilung. Er hofft, dass schon am 4. Januar erste Lockerungen kommen könnten. Und er fordert Abfederungsmassnahmen, Anpassungen bei den Härtefallmassnahmen, aber auch Massnahmen bei den Mieten.
Der Regierungsrat hat heute am späten Nachmittag nach seiner Sitzung eine Medienkonferenz angesetzt. Landammann und Finanzdirektor Markus Dieth und Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati informieren über die vom Regierungsrat geplanten Anpassungen der kantonalen Härtefallmassnahmen, mit denen die von der zweiten Welle besonders stark betroffenen Aargauer Unternehmen unterstützt werden sollen.