Leere Betten: Der Aargau betreibt ein Drittel weniger Asylzentren als noch vor zwei Jahren

Voll belegte, wenn nicht sogar überbelegte Asylunterkünfte waren im Sommer 2015 Realität. Vorübergehend mussten 140 Asylsuchende in Militärzelten in Aarau, Buchs und Villmergen untergebracht werden. Die unterirdischen Notspitäler wurden geöffnet. Hunderte protestierten mit Fackeln und Kuhglocken gegen Unterkünfte in ihrem Dorf. Mindestens so viele überlegten, wie sie die Flüchtlinge beim Ankommen im Aargau unterstützen können.

Gut drei Jahre sind seither vergangen. Es ist ruhiger geworden. Die Asylgesuche sind rückläufig. Deshalb werden dem Kanton auch weniger Asylsuchende vom Bund zugewiesen. Unterkünfte leeren sich. Betten werden nicht mehr gebraucht. Letztes Jahr hat der Kanton die beiden letzten unterirdischen Unterkünfte in Baden, mit 200 Plätzen, und Aarau, mit 350 Plätzen, geschlossen. Im Winterhalbjahr 2017/18 wurden weitere kleinere kantonale Unterkünfte aufgehoben, mit insgesamt 200 Plätzen. Sie befanden sich in Kirchleerau, Kölliken, Murgenthal, Reitnau, Vordemwald, Aarau, Asp, Bettwil, Burg, Büttikon, Leutwil, Oberkulm, Waltenschwil, Spreitenbach und Wohlen. Das teilt das Departement Gesundheit und Soziales (DGS) auf Anfrage mit.

«La Cappella» schliesst im April
Auf Ende April 2019 wird ausserdem die Unterkunft im Badener Hotel «La Cappella» mit 100 Plätzen geschlossen. «Die Schliessung einer kantonalen Unterkunft wird situativ aufgrund der Zuweisungen von Asylsuchenden, dem Wegzug von Personen sowie dem Betriebskonzept beurteilt», sagt DGS-Sprecherin Karin Müller.

Wird eine Unterkunft geschlossen, werden die Flüchtlinge an einem anderen Ort einquartiert. Oft ist es nicht ihr erster Umzug. Patrizia Bertschi ist Präsidentin des Vereins Netzwerk Asyl Aargau. Sie kennt viele Asylsuchende, die häufig umziehen mussten. «Ich weiss von jemandem, der innerhalb von zwei Jahren sechsmal die Unterkunft wechseln musste.» Müsse jemand wieder weg, kaum habe er Wurzeln schlagen können, erschwere dies das Ankommen in der Schweiz, sagt sie. Ausserdem kritisiert sie, dass die Asylsuchenden sehr kurzfristig über einen bevorstehenden Wechsel informiert werden. Es heisse am Montag: «Am Mittwoch ist Transfer.» Wohin, werde nicht gesagt.

 

Nicht immer ist ein Wechsel der Unterkunft ein Gewinn. «Es kann sein, dass jemand plötzlich abgelegener wohnt und deshalb ein teures Bus- oder Zugbillett braucht, um zum Beispiel weiterhin an einem Deutschkurs teilnehmen zu können oder um einzukaufen. Bei den kleinen Asyltaggeldern spielt es eine Rolle, ob ich im Volg oder im Denner einkaufe», sagt Patrizia Bertschi. Sie findet deshalb, dass es im Aargau Orte gebe, an denen keine Asylsuchenden wohnen sollten.

Liste der Standorte bleibt geheim
Gerne hätte die AZ die Standorte der kantonalen Unterkünfte auf ihre Erreichbarkeit analysiert und untersucht, wie sich die Situation seit 2015 verändert hat. Doch das Departement von Regierungsrätin Franziska Roth möchte nicht offenlegen, in welchen Ortschaften sich die Unterkünfte befinden. «Wir möchten keiner Gruppierung in irgendeiner Form Hand bieten, vielleicht mal in unruhigeren Zeiten plötzlich auf eine detaillierte Liste zurückgreifen zu können, die in einer Zeitung erschien», begründet Mediensprecherin Karin Müller den Entscheid.

In dieser Antwort schwingt die Erinnerung an die Jahre 2015/16 mit. Während sich im Aargau der Protest gegen das Fremde auf Mahnwachen, Kundgebungen und Fackelzüge beschränkte, gab es in Deutschland Brandanschläge auf Asylunterkünfte. Auch im Aargau wird es wohl erneut zu Protesten kommen. Spätestens wenn der Regierungsrat bekannt gibt, wo die kantonale Grossunterkunft für 150 bis 300 Personen zu stehen kommt, ist Widerstand programmiert.

 

Die genauen Standorte der kantonalen Unterkünfte gibt der Kanton zwar nicht bekannt. Die Zahlen zeigen aber, dass es heute weniger kantonale Unterkünfte gibt. Waren es 2015 noch 74 Unterkünfte, sind es heute 52 (Stand 31. August 2018). Am meisten kantonale Unterkünfte, nämlich 77, gab es 2016. Die Unterkünfte sind aber nicht einfach grösser geworden, auch die Anzahl Plätze ist zurückgegangen: 2016 stellte der Kanton in seinen Unterkünften Plätze für 2924 Asylsuchende zur Verfügung. Ende August waren es noch 2100 Plätze.

In die Jahre gekommene Asylunterkünfte
Wie viele Betten es in den einzelnen Unterkünften gibt und wie diese auf die Zimmer verteilt sind, sagt der Kanton nicht. Fest steht: Es gibt grosse Unterschiede. In Frick teilen sich vier Asylsuchende einen Container mit einer Fläche von drei auf acht Meter. Insgesamt stehen 41 solche Container in der ehemaligen Werkhofhalle. Im «La Cappella» in Baden hingegen schlafen sie in Zweierzimmern.

Diese Unterschiede kritisiert Patrizia Bertschi vom Verein Netzwerk Asyl seit Jahren. «Viele Asylunterkünfte sind sehr in die Jahre gekommen und sollten geschlossen oder saniert werden», sagt sie. Zivilschutzanlagen müssten ihrer Meinung nach verboten werden und nur in Notsituationen genutzt werden. «Der Kanton müsste endlich Standards einführen und diese nicht nur bei den kantonalen Unterkünften durchsetzen, sondern auch in den Gemeinden», sagt sie.

Sie wünscht sich etwa, dass festgelegt wird, wie viele Personen sich ein Zimmer teilen sollen und wie viel Platz einer Person zur Verfügung stehen soll. Ausserdem müsse sich der Kanton überlegen, wie er mit älteren Flüchtlingen umgeht oder ob es wirklich angebracht ist, dass ein Sohn im Teenageralter das Zimmer mit seiner Mutter teilt. «Es geht nicht um Luxus», betont Patrizia Bertschi.

Es gehe darum, an gewisse menschliche Bedürfnisse zu denken. Nebst der Qualität der Unterkunft gehöre auch eine gute Betreuung dazu. Der Präsidentin des Vereins Netzwerk Asyl ist wichtig, dass der Kanton auch bei der Planung der ersten Grossunterkunft an die verschiedenen Bedürfnisse denkt. Angefangen bei der Lage, bis hin zum Einrichten von Lern- und Spielbereichen für die Asylsuchenden. Ganz wichtig sei auch die Schaffung von Rückzugsmöglichkeiten und Privatsphäre.