
Lieber am Offiziersball in Wien als an der Regierungsklausur
Anfang Jahr lädt der Regierungsrat die Führungspersonen der Kantonsverwaltung jeweils zum Kaderseminar ein – eine jahrzehntelange Tradition. Diese Woche war es wieder so weit. Rund 80 Aargauer Kaderleute zogen sich Donnerstag und Freitag an den Thunersee zurück. Zentrales Thema der zweitägigen Klausur: die Digitalisierung und deren Auswirkungen auf die Arbeit der Kantonsangestellten.
Das «Kaderseminar des Regierungsrates für die Kantonsverwaltung» hatte einen grossen Makel: Von den fünf Regierungsräten waren am zweiten Tag nur noch deren zwei dabei – Landammann Alex Hürzeler und Finanzdirektor Markus Dieth. Als die Klausur gestern Nachmittag offiziell um 15.30 Uhr mit der Rückfahrt nach Aarau endete, waren die anderen drei Regierungsräte längst abgereist oder haben sich entschuldigt.
Stephan Attiger (Bau, Verkehr und Umwelt) lag mit Grippe im Bett und reiste gar nicht erst nach Thun. Sicherheitsdirektor Urs Hofmann wiederum besuchte gestern mit Bundesrat Johann Schneider-Ammann eine internationale Wirtschaftsmesse in Berlin. Auch Franziska Roth reiste vorzeitig ab. Die Vorsteherin des Departements Gesundheit und Soziales flog am Freitagmorgen nach Wien. Sie begleitete ihren Mann Rolf André Siegenthaler, Chef Armeeplanung, an den «Ball der Offiziere» in der geschichtsträchtigen Hofburg, zu dem die Offiziere des österreichischen Bundesheeres einladen. Roth und Siegenthaler waren zwei von 3200 Gästen, die in Wien erwartet wurden. Begrüsst wurden sie von einer Eröffnungsfanfare und der österreichischen Hymne. Dresscode für Damen: Grosses bodenlanges Abendkleid oder Uniform. Getanzt wurde bis in die frühen Morgenstunden, Zapfenstreich war um 4 Uhr.
«Kann mich nicht zweiteilen»
Angesprochen auf ihre Absenz am Regierungsrats-Seminar sagte Franziska Roth am Telefon aus Wien, wo sie am Freitagvormittag gelandet war: Ihr Mann habe die Einladung zum Offiziersball schon vor vielen Monaten erhalten. «Das ist eine einmalige Gelegenheit.» Weil der Anlass in Wien am späten Freitagnachmittag beginne, habe sie entschieden, das Kaderseminar bereits am Donnerstagabend zu verlassen. «Ich kann mich nicht zweiteilen», so Roth. Sie werde aber die Unterlagen zu den am Freitag behandelten Themen studieren, um über den gleichen Informationsstand wie die Kollegen zu verfügen. Am Freitag standen ein Fachreferat zur Digitalisierungsstrategie des Bundes, Workshops sowie Demonstrationen zu Digitalisierungsbeispielen aus der Praxis auf dem Programm.
Gallati: «Das ist ein Affront»
Die Teilnahme am Seminar sei für die Regierungsräte nicht Pflicht, sagt Regierungssprecher Peter Buri auf Anfrage. Wer nicht teilnehmen könne, brauche keine Entschuldigung. Buri: «Die Regierungsmitglieder nehmen wenn immer möglich am Kaderseminar teil, wenn sie nicht anderweitige Verpflichtungen wahrzunehmen haben.» Der Termin für das Seminar wurde ein Jahr im Voraus bekannt gegeben.
Gar kein Verständnis für die Absenzen von Roth und Hofmann zeigt Jean-Pierre Gallati, SVP-Fraktionschef und Parteikollege von Franziska Roth. «Die Teilnahme an der Klausur ist Pflicht für ein Regierungsmitglied. Diese ‹Mannschaftsleistung› des Regierungsrats ist – sogar im Vergleich zum FC Aarau – inakzeptabel und ein Affront gegenüber dem Kaderpersonal.» Nur ein Krisenfall oder eine Krankheit sei eine akzeptable Entschuldigung für das Fernbleiben.
Von Manuel Bühlmann und Rolf Cavalli/az