
Lockerungen: Die SVP Aargau macht Druck auf den Regierungsrat – bürgerlicher Schulterschluss kam nicht zustande
Heute Mittwoch entscheidet der Bundesrat über allfällige weitere Lockerungen der Coronamassnahmen. Geht es nach der SVP Aargau, sollten diese umfassend ausfallen: «Es ist nun dringend an der Zeit, rasch zu einem einigermassen normalen Leben zurück zu kehren», schreibt die Kantonalpartei Anfang Woche in einer Medienmitteilung.
Einschränkungen in der Gastronomie, bei Veranstaltungen, in der Bildung und im Sport seien nun rasch zu lockern. Für Veranstaltungen sei «umgehend» eine Perspektive ab spätestens Juli aufzuzeigen – um zu verhindern, dass auch noch die letzten geplanten Events abgesagt werden.
Die Bevölkerung habe genug, sagt Parteipräsident Andreas Glarner. Täglich meldeten sich Betroffene, etwa Unternehmer, die ihr Geschäft aufgeben müssten, da auch die Hilfsgelder den Konkurs nicht mehr abwenden könnten. Wie die nationale Partei will darum auch die kantonale SVP beim Bundesrat Druck aufsetzen – und zwar über den Regierungsrat.
Dieser wird in der Mitteilung aufgefordert, umgehend beim Bundesrat zu intervenieren, um rasche Lockerungen und Perspektiven zu erwirken. «Wir machen uns extrem Sorgen», sagt Glarner. Und gleich wie SVP-Schweiz-Präsident Marco Chiesa kritisiert Glarner dabei auch die beiden FDP-Vertretungen im Bundesrat: «Die helfen uns überhaupt nicht.»
Ursprünglich gemeinsames bürgerliches Vorgehen geplant
Im Aargau hat die SVP die FDP eigentlich auf ihrer Seite. «Wir unterstützen diese Aufforderung an den Regierungsrat», sagt Fraktionspräsidentin Sabina Freiermuth auf Anfrage. Ende Februar forderte die Aargauer FDP «mutigere Entscheide von Bundesrat und Kantonsregierungen», daran habe sich nichts geändert.
Vom Regierungsrat forderte die FDP vor zwei Wochen eine Test- und Impfoffensive – würde diese in Angriff genommen, wären Lockerungen vertretbar, ist Freiermuth überzeugt: «Das allerwichtigste ist, dass die Spitäler nicht überlastet werden.» Aber weder beim Impfen noch beim Testen sei im Aargau die Offensive spürbar. Sie sagt:
«Man impft und testet zu Bürozeiten, klärt wochenlang ab und macht Pilotprojekte, wo andere Kantone längst umsetzen. Mensch und Wirtschaft hätten beileibe entschlosseneres Handeln verdient.»
Trotz der Einigkeit mit der FDP hat die SVP ihre Forderung an den Regierungsrat alleine formuliert. Dabei wollten dem Vernehmen nach ursprünglich die bürgerlichen Fraktionen des Grossen Rats sowie die Industrie- und Handelskammer gemeinsam per Brief an den Regierungsrat gelangen.
Mit der Stossrichtung einverstanden, mit der Formulierung nicht
Zustande gekommen ist das nicht, aber es habe entsprechende Diskussionen gegeben, bestätigt Die-Mitte-Kantonalpräsidentin Marianne Binder das Gerücht auf Anfrage. Mit der Stossrichtung, Perspektiven zu schaffen, seien wohl alle einverstanden, meint sie. Die Mitte war aber der Meinung, dass man mit einer Forderung an den Bundesrat direkt bei diesem intervenieren soll «und den Regierungsrat nicht als Briefträger braucht».
Des Weiteren habe die Fraktion auch Anpassungen am Text und den Formulierungen gewünscht. «Dass die SVP auf ihrem eigenen Text bestand, ist natürlich ihre Sache», so Binder.
Die Mitte erwarte vom Bundesrat, dass er Perspektiven aufzeigt, wie es weitergehen soll. Es brauche jetzt eine solide und transparente Kommunikation, wie mit den bereits gemachten Erfahrungen und Schutzkonzepten weitere Öffnungen möglich sind. Die Wirtschaft brauche Planungssicherheit. Und wie die FDP drängt auch die Mitte auf effizientes Impfen.
SVP sieht kein anderes Druckmittel
Für Andreas Glarner ist es keine Katastrophe, dass die SVP die Forderung jetzt alleine aufgestellt hat, das nehme ihr nicht die Dringlichkeit. «Wir erwarten wirklich, dass der Regierungsrat interveniert», sagt er, das sei keine einfache Bitte. Der Lockdown koste jede Woche Millionen. «Das sind Steuergelder, die Bevölkerung zahlt das», ruft der Parteipräsident in Erinnerung. Ein anderes Druckmittel als die Aufforderung an den Regierungsrat sieht er nicht, Glarner sagt:
«Uns sind die Hände gebunden, wir können aber nicht weiter tatenlos zusehen. Darum muss sich jetzt der Regierungsrat einsetzen.»
Die allfällige Quittung komme ansonsten bei den nächsten Wahlen, deutet Glarner an, «dann gibt es den Klapf», meint er.
SP appelliert an Solidarität der Bevölkerung
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums sind die Forderungen nach sofortigen, vollständigen Öffnungen kein Thema. Dies blende die aktuelle, heikle Pandemiesituation aus und stehe im Widerspruch zu den Empfehlungen der Wissenschaft, sagt SP-Kantonalpräsidentin Gabriela Suter. «Wir müssen den vorsichtigen Weg weitergehen und dürfen keinesfalls vorschnell öffnen, sonst setzen wir das, was wir in den letzten Monaten erarbeitet haben, aufs Spiel.»
Die SP appelliert an die Solidarität der Bevölkerung, die Devise «Bevölkerung schützen, betroffene Branchen unterstützen, Impfungen vorantreiben» habe sich bewährt.