Markus Dieth zum Finanzausgleich: «Um gleich schnell zu sein, bräuchten wir 40 zusätzliche Motoren»

Was ist der Finanzausgleich?

Der nationale Finanzausgleich macht wirtschaftlich starke Kantone wie Zug, Zürich, Basel und andere zu Geberkantonen. Das heisst, sie zahlen zusammen mit dem Bund in den Finanzausgleichstopf ein. Davon profitieren ressourcenschwache Kantone wie Uri oder der Jura. Sie sind Nehmerkantone. Die Gründe liegen zum Teil in der Topografie. Uri hat da ein Handicap. Umgekehrt ist Zürich bestens erschlossen. Weil Kantone wie Uri ihre Aufgaben mit den selbst erwirtschafteten Mitteln nicht genügend erfüllen könnten, profitieren sie vom Ausgleichssystem. So sollen alle ein Minimum an Mitteln haben. Basis für die Verteilung bzw. für Zahlungen ist der Ressourcenindex. Da fiel der Aargau in den letzten Jahren zurück, wie die nebenstehende Grafik zeigt. (mku)

Lange freute man sich im Aargau über sinkende Finanzausgleichsbeträge aus Bern. Die nebenstehende Grafik zeigt die einst gute Entwicklung mit den Bemessungsjahren 2009–2011. Es war ein Zeichen, dass der Aargau rascher wuchs als andere Kantone (nicht nur bevölkerungsmässig). Doch dann kippte es. Der Aargau schrieb plötzlich Defizite. Er musste ein Haushaltsanierungspaket nach dem anderen schnüren. Seither verdoppelten sich die Zahlungen aus dem nationalen Finanzausgleich (NFA). Für 2021 erhält der Aargau vom Bund und von ressourcenstarken Kantonen wie ­Zürich und Zug nahezu eine halbe Milliarde Franken. Die AZ wollte von Landammann und Finanzdirektor Markus Dieth wissen, warum die Ausgleichszahlungen weiter nach oben gehen, obwohl der Aargau für 2019 einen sehr guten Abschluss vorweisen kann.

Der Ressourcenindex zeigt: Die wirtschaftliche Stärke des Kantons Zug ist unerreicht. Der Aargau steht derzeit auf Rang 16. 2015 glänzte er noch auf Rang 11.

Der Ressourcenindex zeigt: Die wirtschaftliche Stärke des Kantons Zug ist unerreicht. Der Aargau steht derzeit auf Rang 16. 2015 glänzte er noch auf Rang 11.

© lsi

 

Herr Landammann, 2010 bis 2015 galt der Aargau als Tigerkanton, weil er sich beim Finanzausgleich ständig verbesserte. Warum kam es zum Bruch, der bis heute anhält?

Markus Dieth: Der Kanton Aargau gehört seit der Einführung des Nationalen Finanzausgleichs (NFA) 2008 zu den Kantonen, die Geld aus dem Finanzausgleich erhalten. Die steigenden Ausgleichszahlungen in den letzten Jahren bedeuten, dass das Steuersubstrat in den anderen Kantonen schneller wächst als in unserem Kanton, obwohl auch wir ein ansehnliches Wachstum haben. Grundlage für die aktuellen Ausgleichszahlungen 2021 bilden die Bemessungsjahre 2015, 2016 und 2017. Die Bilanz dieser drei Jahre ist für den Kanton Aargau durchzogen. In den angesprochenen Jahren 2010–2015 waren als Bemessungsjahre die hervorragenden Jahre 2009–2011 massgebend.

Einige Jahre sanken die Ausgleichszahlungen für den Aargau, weil er stärker wurde. Doch seit 2016 steigen sie wieder. 2021 gibt es pro Einwohner(in) 741 Franken.

Einige Jahre sanken die Ausgleichszahlungen für den Aargau, weil er stärker wurde. Doch seit 2016 steigen sie wieder. 2021 gibt es pro Einwohner(in) 741 Franken.

© lsi

Aber warum das?

Diese Entwicklung ist nicht auf einen einzigen Faktor zurückzuführen. Wenn wir uns die Zahlen im Detail anschauen, dann sehen wir auf der einen Sei­- te ein überdurchschnittliches Bevöl­kerungswachstum im Kanton Aargau, aber ein unterdurchschnittliches Wachstum des Steuersubstrats sowohl bei den natürlichen als auch bei den juristischen Personen.

Warum öffnet sich diese Schere derart?

Die Einkommen und Vermögen der natürlichen Personen werden im Kanton Aargau insgesamt unterdurchschnittlich stark besteuert. Die steuerliche Wettbewerbsfähigkeit nimmt aber mit zunehmenden Einkommen und Vermögen ab. Im Vergleich mit den anderen Kantonen zeigen sich denn auch klare Unterschiede in der Struktur der Steuerpflichtigen.

 
2014 versuchte Schwyz, mittelstarken Kantonen wie dem Aargau den Finanzausgleich abzustellen. Es misslang. Das Ansinnen beträfe den Aargau heute nicht mehr.

2014 versuchte Schwyz, mittelstarken Kantonen wie dem Aargau den Finanzausgleich abzustellen. Es misslang. Das Ansinnen beträfe den Aargau heute nicht mehr.

© lsi

Inwiefern?

Der Kanton Aargau hat eine geringere Dichte an Personen mit hohen Einkommen und Vermögen, einen tieferen Anteil der hohen Einkommensklassen sowie insgesamt einen eher tiefen Beitrag der hohen Einkommen und Vermögen am Gesamtwachstum des Ressourcenpotenzials.

Besteht auch ein Zusammenhang damit, dass viele junge Familien zuziehen, die noch vergleichsweise wenig Steuern zahlen?

Es ist tatsächlich so, dass der Aargau viele junge Familien anzieht. Das trägt dazu bei, dass der Aargau ein vergleichsweise junger Kanton ist. Diese Familien bedeuten mehr Investitionen zum Beispiel in den Ausbau der Schulinfrastruktur. Später wird dieses Geld aber in Form von zusätzlichen Steuern zurückkommen. Familien sind eine Investition in die Zukunft.

Aber auch Firmen zahlen im Aargau vergleichsweise unterdurchschnittlich Steuern, obwohl der Aargau bei der Steuerbelastung bis zur jüngsten Steuerreform im Mittelfeld lag.

Bei den juristischen Personen lag die Steuerbelastung bei der ordentlichen Besteuerung zwischen 2010 und 2019 sogar unterhalb des Schweizer Durchschnitts. Auch nach der Unternehmenssteuerreform (STAF) ist der Aargau im interkantonalen Vergleich mit der vollumfänglichen Ausschöpfung der neuen Sonderregelungen (Patentbox und zusätzlicher Abzug für Forschungs- und Entwicklungsaufwand) für innovative Firmen attraktiv. Zudem hat er die Kapitalsteuer reduziert. Und er führt bisherige Standortvorteile weiter.

Aber die tiefen Einnahmen liegen ja nicht nur an der bisher unterdurchschnittlichen Belastung?

Im Vergleich mit dem Schweizer Durchschnitt weist der Aargau eine tiefe Firmendichte auf; er ist also in erster Linie ein Wohnkanton. Aus fiskalischer Sicht gibt es aber, weitere Aspekte zu beachten. So ist der Beschäftigungsanteil der KMU an der gesamten Privatwirtschaft im Kanton Aargau stärker ausgeprägt als im Durchschnitt der Kantone. Dies hat ein tendenziell tieferes Gewinnsteuerpotenzial zur Folge.

Der Kanton Aargau und seine Gemeinden haben tiefe Einnahmen, dafür pro Kopf sogar die tiefsten Ausgaben aller Kantone.

Der Kanton Aargau und seine Gemeinden haben tiefe Einnahmen, dafür pro Kopf sogar die tiefsten Ausgaben aller Kantone.

© lsi

Warum?

Daten auf nationaler Ebene zeigen, dass Grossunternehmen oftmals eine höhere Produktivität aufweisen, da sie über Skalenvorteile verfügen und häufig in der Lage sind, höhere Margen durchzusetzen.

Der Aargau brilliert sowohl beim Standortqualitätsindex der CS als auch beim Wettbewerbsfähigkeitsranking der UBS. Da müsste er doch auch im Finanzausgleich beim Ressourcenindex viel weiter vorn stehen?

Beim Wettbewerbsrating spielen neben den steuerlichen Aspekten viele weitere Faktoren eine wichtige Rolle. Es ist heute eine Tatsache, dass trotz der hohen Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr gewinnstarke Unternehmungen mit attraktiven Arbeitsplätzen in unseren Kanton ziehen. Dies hat nicht nur mit der hiesigen Steuerbelastung zu tun. Es geht hier auch um Themen wie Urba­nität, Kulturangebot oder attraktive Wohnlagen etc.

Was machen andere Kantone besser, dass sie den Aargau überholen?

Das ist schwierig zu sagen, denn der Finanzausgleich ist letztlich ja immer das Ergebnis der Entwicklung in allen 26 Kantonen, und diese Entwicklungen können sehr unterschiedlich sein. Zudem sind auch nicht alle Kantone gleich gross und damit gleich relevant für den Finanzausgleich.

Liegt es auch daran, dass der Kanton Aargau besonders stark ist im traditionellen Industriesektor, dessen Margen heute tief sind?

Die Aargauer Wirtschaft verfügt über einen guten Branchenmix mit einem starken industriellen Kern. Die erzielten Unternehmensgewinne sind aber vergleichsweise tiefer als in anderen Kantonen. Es gelingt uns folglich noch zu wenig gut, die grundsätzlich vielversprechende Wirtschaftsstruktur und die sonst guten Rahmenbedingungen in Wert zu setzen.

Sie sagten früher schon, mehr Lifesciences würden dem Aargau guttun, weil dort Wertschöpfung und Löhne hoch sind?

Ja, das wünschen wir uns. Wir können die Wirtschaftsstruktur des Aargaus aber nicht komplett neu ausrichten. Ich vergleiche kleine Kantone mit Schnellbooten. Wenn sie einen zusätzlichen Motor installieren, nimmt das Boot rasch volle Fahrt auf. Ein bevölkerungsstarker Kanton wie der Aargau ist dagegen wie ein riesiger Tanker. Er fährt langsamer. Da bräuchten wir – um beim Grössenvergleich zu bleiben – 40 zusätzliche Motoren. Und doch wird der Tanker nie derart Fahrt aufnehmen wie Schnellboote. Das muss er aber auch nicht.

Was dann?

Wir müssen dazu beitragen, dass die Aargauer Unternehmen möglichst ideale Rahmenbedingungen vorfinden und ihre Stärken ausspielen können.

Was ist konkret zu tun, um sich wieder besser zu positionieren?

Der Regierungsrat hat im letzten Jahr einige strategische Initiativen gestartet, um das Ressourcenpotenzial im Kanton Aargau zu stärken. Neben einer vertieften fiskalpolitischen Analyse mit dem Ziel einer neuen Steuerstrategie werden auch weitere Handlungsfelder betrachtet.

Welche?

Dazu gehören Themen wie Innovationsförderung, Arealentwicklung, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Mobilität oder Fachkräfteförderung. Ziel ist also ein Gesamtpaket von Massnahmen, welche die Wirtschaftskraft und das Steuersubstrat langfristig verbessern.

Doch noch mal zu Lifesciencesunternehmen. Welche Anreize müsste der Aargau zusätzlich schaffen, um mehr dieser Betriebe anziehen?

Mit dem Angebot der vollen Bandbreite an neuen Sonderregelungen der bereits genannten Steuerreform STAF für in­no­vative Unternehmen kann sich der Aargau weiterhin als attraktiver Wirtschaftsstandort positionieren. Ein gewisser Handlungsbedarf besteht aus heutiger Sicht in erster Linie bei der ordentlichen Besteuerung der Unternehmen.

Sie sprechen damit ein Postulat von FDP, SVP und CVP an, das tiefere Gewinnsteuern fordert?

Ich kann die Forderung gut nachvollziehen. Der Regierungsrat hat darum auch empfohlen, das Postulat zu überweisen. Wir haben bei der Steuervorlage 17 immer gesagt, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt, wenn der finanzielle Handlungsspielraum vorhanden ist, auch eine Gewinnsteuersenkung prüfen werden. So bleiben wir für jene Unternehmen konkurrenzfähig, die von den Sonderregelungen der bereits genannten Steuerreform STAF nicht profitieren können.

Die Grafik zeigt, dass die Fiskaleinnahmen im Aargau unterdurchschnittlich sind. Die Gesamterträge pro Einwohner(in) betrugen 2017 übrigens 10725 Franken.

Die Grafik zeigt, dass die Fiskaleinnahmen im Aargau unterdurchschnittlich sind. Die Gesamterträge pro Einwohner(in) betrugen 2017 übrigens 10725 Franken.

© lsi

Sie hatten bei der Beantwortung des Vorstosses ein gewichtiges «Aber» angefügt.

Eine Tarifsenkung bei den Unternehmenssteuern ist für einen grossen Kanton wie den Aargau sehr teuer. Nur schon eine Senkung der Gewinnsteuertarife um 1 Prozent würde beim Kanton mit jährlichen Mindereinnahmen von rund 30 Millionen Franken und bei den Gemeinden von rund 13 Millionen Franken zu Buche schlagen. Weitere steuerliche Massnahmen zur Entlastung der Firmen sind von der finanziellen Lage und dem künftigen finanzpolitischen Handlungsspielraum abhängig.

Wie schätzen Sie diesen angesichts der Coronaverwer­fungen ein?

Eine Steuersenkung für Unternehmen muss finanzierbar sein. Kurzfristig müssen wir aufgrund der Covid-19-Pandemie mit Mehrausgaben und insbesondere mit Steuerausfällen rechnen. Mit der Ausgleichsreserve können wir zwar im 2021 ein Defizit vermeiden. Die zentrale finanzpolitische Zielsetzung ist aber weiterhin ein auf die Dauer ausgeglichener Staatshaushalt, der ohne Ausgleichsreserve auskommt.

Dann rückt das Anliegen der Bürgerlichen in weite Ferne?

Die wirtschaftlichen und fiskalischen Auswirkungen von Covid-19 sind mit hohen Unsicherheiten verbunden. Wir wissen deshalb heute nicht, ob und ab wann wir uns eine Senkung der Unternehmenssteuern leisten können. Zur Ankurbelung der Aargauer Wirtschaft ist dies natürlich wünschenswert. Eine entsprechende Steuergesetzrevision muss aber zwingend in die neue Steuerstrategie eingebettet werden und unter dem Strich finanziell tragbar sein.