Mathys-Kritik löst grosse Debatte in der SVP aus: Ist Präsident Glarner schuld am Wahldebakel in den Gemeinden?

Werner Laube, langjähriger Wahlkampfleiter der SVP Aargau, brachte unter anderem Hansjörg Knecht in den Ständerat. Zum schlechten Resultat seiner Partei bei den Gemeindewahlen im Aargau sagt er: «Ich sehe das sehr ähnlich wie Hansueli Mathys und habe vor den Wahlen befürchtet, dass wir schlecht abschneiden.» Der frühere SVP-Aargau-Präsident Mathys bezeichnete die Resultate im AZ-Interview als katastrophal und machte den aktuellen Präsidenten Andreas Glarner dafür verantwortlich.

Laube hat einige Kandidatinnen und Kandidaten im Wahlkampf unterstützt, «das sind gute Leute, aber sie haben zum Teil sehr schlechte Resultate erzielt», sagt er. Auch auf dem Land gebe es bei einigen Wählern einen Anti-SVP-Reflex, wie Laube feststellt. «Ich höre immer wieder, dass den Leuten der polemische Stil und die ständigen Angriffe des Präsidenten nicht passt.» Wenn Andreas Glarner und Christoph Blocher sagten, der Stil sei nicht wichtig, widerspricht der langjährige Wahlkampfleiter. «Das sehe ich völlig anders: Mit diesem Stil verkaufen wir unsere guten Inhalte schlecht, das kann nicht zum Erfolg führen.»

SVP bi dä Lüüt in Baden am 5. April 2019. Wahlkampfleiter Werner Laube (rechts) mit dem damaligen SVP-Schweiz-Präsidenten Albert Rösti und Nationalrat Andreas Glarner (ganz links).

SVP bi dä Lüüt in Baden am 5. April 2019. Wahlkampfleiter Werner Laube (rechts) mit dem damaligen SVP-Schweiz-Präsidenten Albert Rösti und Nationalrat Andreas Glarner (ganz links).

Colin Frei

«Dazu kommt, dass es immer schwieriger wird, überhaupt Leute zu finden, die sich für unsere Partei engagieren. Das zeigt sich bei den Einwohnerratswahlen, in Baden standen nur gerade 12 Namen auf der SVP-Liste – aber es zeigt sich auch in den Dörfern. Ich bin seit 30 Jahren Ortspräsident der SVP Lengnau und ich mache die Erfahrung, dass viele Menschen inhaltlich zu unseren Positionen stehen. Wenn man sie aber fragt, ob sie sich in einer Behörde oder Kommission für die SVP engagieren wollen, sagen viele gute Leute ab – weil sie sich nicht mit dem Glarner-Stil identifizieren können.»

Laube kritisiert, Glarner schiebe die Probleme einfach den Ortsparteien in die Schuhe. «Ja, es stimmt, viele Ortsparteien sind nicht mehr motiviert oder schon eingeschlafen», räumt er ein. Sie hätten Mühe, die SVP-Politik an der Basis zu vertreten, aber Glarner sollte sich mal ernsthaft fragen, warum das so sei. Die Politik basiere nun mal auf Kompromissen, gibt Laube zu bedenken. «Wenn man von oben herab ständig Leute kritisiert, die abweichende Meinungen vertreten und im Sinn einer Lösung auch mal nachgeben, wenn man diese Leute als Weicheier oder als Höseler tituliert, kommt das nicht gut an», macht er deutlich.

Wahlkampfleiter Werner Laube: «Glarners Strategie funktioniert nur für ihn»

Laube blickt auf langjährige Erfahrung als Ortsparteipräsident zurück und sagt: «Wenn wir hören, dass etwas falsch läuft, dann sprechen wir zuerst mit unseren Amtsträgern und werden als Partei erst laut, wenn die zuständigen Gremien die Sache schleifen lassen.» Das laufe ruhig und effizient ab, so sei man glaubwürdig, das schätze auch die Bevölkerung. Und er betont: «In Lengnau ist die SVP in der Exekutive mit einem neuen Gemeindeammann und mit einem neuen Gemeinderat vertreten.»

Zum Wunsch von Hansueli Mathys nach einem Wechsel an der Spitze der SVP Aargau sagt Laube: «Andreas Glarner hat Führungsqualitäten und er kann sich durchsetzen, zudem sind alle froh, wenn jemand das Kantonalpräsidium übernimmt.» Laube kann sich deshalb nicht vorstellen, dass die Parteileitung im Sinn von Mathys aktiv wird, einen neuen Präsidenten sucht und Glarner den Rücktritt nahelegt. Aber grundsätzlich ist Hardliner Glarner auch aus Sicht von Ex-Wahlkampfleiter Laube der falsche Mann als SVP-Präsident. «Andreas Glarner ging als Nationalrat nach Bern mit der Ansage, er sei nicht in der Politik, um sich beliebt zu machen. Das mag für seine persönliche Karriere funktionieren, für die SVP Aargau ist diese Strategie nicht die richtige», sagt Laube.

Präsidiums-Konkurrent Rolf Jäggi: «Der Ton macht die Musik»

Die SVP und ihre Politik seien ihm eine Herzensangelegenheit, sagte Rolf Jäggi im Januar 2020, als er bei der Kampfwahl um das Parteipräsidium gegen Glarner antrat. Jäggi, ehemaliger Gemeindeammann von Egliswil und Präsident der SVP Bezirk Lenzburg, unterlag mit 106 zu 201 Stimmen deutlich, der Parteitag sprach sich für Glarner als SVP-Aargau-Präsidenten aus. Vor der Wahl mahnte Grossrat Jäggi, die SVP müsse eine nachhaltige Sachpolitik betreiben – und er sagte: «Der Ton macht die Musik.»

Rolf Jäggi (rechts) gratuliert Andreas Glarner zur Wahl – seit dem 15. Januar 2020 präsidiert dieser die grösste Aargauer Kantonalpartei.

Rolf Jäggi (rechts) gratuliert Andreas Glarner zur Wahl – seit dem 15. Januar 2020 präsidiert dieser die grösste Aargauer Kantonalpartei.

Alex Spichale / AGR

Heute sagt Jäggi, als die AZ ihn auf die Kritik an Glarners polemischen Auftritten anspricht: «Ich möchte mich nicht zur Stilfrage äussern, aus meiner Sicht ist das auch nicht entscheidend.» Die Basis habe im Januar 2020 eine Auswahl gehabt, eine klare Mehrheit habe sich für Andreas Glarner und gegen ihn ausgesprochen. «Die SVP-Mitglieder kannten uns beide, sie wussten genau, wen sie mit Andreas Glarner wählen und für was er steht», hält Jäggi fest. Die Wahl von Glarner zum neuen Präsidenten sei eindeutig und demokratisch legitimiert gewesen, betont Jäggi.

SVP-Schwäche in den Städten schon vor Glarners Präsidentschaft

«Natürlich hätten wir bei den Gemeindewahlen lieber Sitze gewonnen, aber als grosse Wahlschlappe für die SVP sehe ich das Resultat nicht», betont Rolf Jäggi. Die Partei habe in Lenzburg einen Sitz im Stadtrat verloren, in anderen Städten den Einzug nicht geschafft – «aber das ist kein Problem von Andreas Glarner, das war schon vor seiner Präsidentschaft so.» Jäggi relativiert weiter: «In meiner Gemeinde, in Egliswil, wurden zum Beispiel zwei SVP-Gemeinderäte wiedergewählt, im ganzen Bezirk stellen wir in sechs oder sieben Gemeinden den Ammann.»

Zur Kritik von alt Kantonalpräsident Hansueli Mathys an Glarner in der AZ sagt Rolf Jäggi: «Jetzt einfach Andreas Glarner die Sitzverluste in die Schuhe zu schieben und ihn dafür verantwortlich zu machen, greift aus meiner Sicht viel zu kurz.» Mathys wünscht sich offensichtlich einen anderen SVP-Aargau-Präsidenten, wie er im Interview sagt, doch Jäggi betont:

«Ich stehe für das SVP-Präsidium nicht zur Verfügung, dieses Thema ist für mich erledigt.»

Die Wahl im Januar 2020 sei fair und klar gewesen, erst Anfang Monat sei Andreas Glarner vom Parteitag einstimmig als Präsident bestätigt worden. Jäggi stellt klar: «Ich bin weiter Mitglied der Geschäftsleitung und unterstütze Andreas Glarner bei seinen Aufgaben.»

Natürlich müsse man die Wahlresultate analysieren und schauen, was falsch gelaufen sei, aber dies lasse sich nicht nur an der Person Glarner festmachen. «Entscheidender als die Person des Präsidenten scheint mir, wie wir es schaffen, dass sich wieder mehr Leute in einer Partei engagieren.» Das Problem, dass viele als Parteilose antreten, habe nicht nur die SVP, dies schwäche alle Parteien. «Zudem ist es so, dass viele Stadtbewohner oder Zuzüger in grosse Gemeinden eher Mitte-Links orientiert sind, deshalb müssen wir es schaffen, den Leuten zu vermitteln, dass auch eine SVP-Vertretung in einer Exekutive wichtig ist», nennt Jäggi sein Rezept für künftige Wahlen.

Samuel Hasler: «Glarner-Polemik ist nur schädlich für unsere Partei»

Am Dienstag meldete sich einer zu Wort, der sonst gerne eine ähnliche Rhetorik pflegt wie Andreas Glarner: Samuel Hasler. Der 24-Jährige Buchser Einwohnerrat, SVP-Ortspräsident und Chef der Aarauer Bezirkspartei gehört zu jenen, die am Wochenende eine Wahlniederlage einfuhren. Hasler trat an, um den Sitz des langjährigen SVP-Gemeinderats und Vizeammanns Hansruedi Werder zu verteidigen. Er erzielte allerdings von allen acht Kandidaten das schlechteste Resultat und erreichte als einziger das absolute Mehr nicht.

Am Dienstagmorgen holte Hasler zur Breitseite gegen Andreas Glarner aus: Auf Facebook gab er Barbara Borer-Mathys, die auf Tele M1 den Kurs des Kantonalparteipräsidenten kritisierte, recht. «Diese Wahlniederlage hat definitiv mit der Person Andreas Glarner zu tun», schreibt Hasler. Es könne nicht sein, dass die SVP im Aargau fast 15 Gemeinderatssitze verliere, aber man die Schuld bei den Ortsparteipräsidenten suche. «Jeder Ortsparteipräsident in meinem Bezirk hat mehr für diese Wahlen geleistet als unser Kantonalpräsident», so Hasler.

Und weiter: «Diese Glarner-Polemik ist einfach nur noch schädlich für unsere Partei! Sie spaltet uns und führt zu zahlreichen Austritten und Niederlagen.» Direkt an Glarner gerichtet, schreibt Hasler: «Lieber Andy, komm wieder zurück auf den Boden der Tatsachen!»

Hasler politisierte bisher auf Glarner-Linie und übt nun Kritik an diesem

Samuel Hasler, der bisher durch grosses Engagement für seine SVP aufgefallen war, musste als Ortsparteipräsident auch schon Kritik von Andreas Glarner einstecken. Dieser hatte die Buchser öffentlich kritisiert, weil der Vorstand der Ortspartei sich geweigert hatte, die «Burkaplakate» im Dorf aufzuhängen. Hasler, der im Komitee für die Initiative sass und die Plakate zweifellos gerne im Dorf gesehen hätte, fügte sich öffentlich der Mehrheitsmeinung im Ortsparteivorstand und vertrat die Entscheidung, auf die umstrittenen Sujets zu verzichten.

Da herrschte noch Einigkeit: Samuel Hasler (2. von rechts) beim Sessionsbericht im Juni 2019 mit Andreas Glarner (ganz rechts).

Da herrschte noch Einigkeit: Samuel Hasler (2. von rechts) beim Sessionsbericht im Juni 2019 mit Andreas Glarner (ganz rechts).

Facebook / Aargauer Zeitung

Hasler bewirtschaftete aber beispielsweise das Thema der Flüchtlinge als Störenfriede und Sozialhilfebezüger in ähnlicher Form wie seine Parteikollegen Glarner und Martina Bircher. So hatte Hasler namens der Ortspartei gefordert, man müsse die Asylunterkunft Casa Torfeld in Buchs schliessen. Und kürzlich hat einer seiner Ziehväter, der mittlerweile aus der SVP ausgetretene Wolfgang Schibler, nicht nur Glarner kritisiert, sondern auch Hasler, der zu stur auf Parteilinie sei.

René Bodmer: «Mathys ist ein Heckenschütze und sollte sich zurückhalten»

René Bodmer präsidiert die SVP von Glarners Heimatbezirk Bremgarten und weist die Kritik von alt Kantonalpräsident Hansueli Mathys entschieden zurück. «Das ist der Angriff eines Heckenschützen, diese öffentliche Attacke schadet der Partei massiv», sagt Bodmer. Aus seiner Sicht sind die Vorwürfe von Mathys eine Fortsetzung der Kritik an Glarners Stil, die Barbara Borer, die Tochter des früheren SVP-Präsidenten, vor einem Jahr geäussert hatte. «Hansueli Mathys sollte sich mit Anschuldigungen in der Öffentlichkeit zurückhalten. Kritik sollte parteiintern angebracht werden, dies ist legitim und Teil des demokratischen Prozesses», sagt Bodmer.

Zwei langjährige politische Weggefährten: René Bodmer, damals Präsident der SVP Arni-Islisberg, und Andreas Glarner, damals Grossrat, fotografiert Ende März 2009.

Zwei langjährige politische Weggefährten: René Bodmer, damals Präsident der SVP Arni-Islisberg, und Andreas Glarner, damals Grossrat, fotografiert Ende März 2009.

Zvg / FRE

Glarner ist aus seiner Sicht ein Schaffer, der oft im Kanton bei den Bezirks- und Ortsparteien unterwegs sei und viel für die Partei mache. «Aber es gibt bei uns leider Bezirksparteien, die nicht aktiv genug sind und selbst zu wenig machen», kritisiert Bodmer. Und es gebe auch Kandidaten, die nicht aktiv genug seien, sagt der Grossrat, der früher selber in Arni im Gemeinderat sass. Wer zu wenig unternehme im Wahlkampf, habe schlechte Karten, hält Bodmer fest. «Wenn man in der Gemeinde nicht bekannt ist, nicht an Veranstaltungen geht, nicht am Dorfleben teilnimmt, dann reicht es auch nicht, in der grössten Partei zu sein.»

Kritik an eigenen Regierungsräten als Aufgabe des SVP-Präsidenten

Bodmer räumt ein, dass Glarner mit seinem Auftreten und seinen Aussagen bisweilen für Kontroversen sorge und nicht bei allen Leuten gut ankomme. «Als ich am Sonntag an einer Wahlfeier in Niederwil war, hat mir jemand gesagt, es gehe doch nicht, den eigenen Parteikollegen im Regierungsrat als Höseler zu bezeichnen», erzählt er. Er habe diesem SVP-Wähler dann gesagt, dass Glarner diese Aussage auf den ganzen Regierungsrat bezogen habe, nicht auf SVP-Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati allein. Zudem sei es die Aufgabe eines Parteipräsidenten, auch eigene Regierungsräte zu kritisieren, solange dies anständig geschehe, dies gehöre zum politischen Prozess, hält Bodmer fest.

Viele seien sich nicht gewohnt, dass sich jemand traue, den Parteikollegen in der Regierung zu kritisieren. «Das ist aber nicht negativ, sondern ein Versuch, die Leute wachzurütteln», sagt Glarners Weggefährte. Zudem würden Äusserungen von Glarner auch falsch interpretiert, oder die Medien würden einen Konflikt mit Gallati konstruieren, der gar nicht existiere. So habe zum Beispiel die SRF-Rundschau einige Passagen aus einer Ansprache von Glarner mit Ausschnitten aus einem Referat von Gallati zusammengeschnitten und so eine Kontroverse dargestellt, die es an einem Anlass in Buchs gar nicht gegeben habe.