
Mehr Corona-Patienten brauchen eine Reha: Klinik Barmelweid spürt die zweite Welle
Am Donnerstag, als der Kanton zuletzt die Anzahl der Covid-Hospitalisationen in Aargauer Spitälern bekannt gab, befanden sich 132 Patientinnen und Patienten mit positivem Befund in Spitalpflege. Das sind zwar wieder etwas weniger als in den Tagen zuvor; und trotzdem enorm viel: Nur einen Monat zuvor waren es 19.
Die anhaltend hohen Hospitalisationszahlen in den Nordwestschweizer Kantonen betreffen die Klinik Barmelweid gleich zweifach. Erstens übernimmt sie Akut-Fälle aus den Spitälern, sofern die Patienten keine Intensivstation (mehr) benötigen; denn eine solche hat die Barmelweid nicht. Zweitens betreut die Klinik oberhalb von Erlinsbach Reha-Patienten, deren Lungenfunktion durch die Covid-19-Erkrankung gelitten hat und nun langsam wiederhergestellt werden muss.
Anteil weiblicher Patienten steigt deutlich
Bereits im September sagte Thomas Sigrist (50), Chefarzt Pneumologie und Mitglied der Barmelweid-Geschäftsleitung, im AZ-Interview: «Ich kann mich an keine andere Krankheit erinnern, von der wir innert eines halben Jahres so viele Fälle bei uns hatten.»
Damals, kurz vor Ausbruch der zweiten Welle, zählte seine Statistik 87 Covid-Patienten, welche die Barmelweid seit Ende März betreut hatte. Mittlerweile, nur knapp zwei Monate später, steht der Zähler bei gesamthaft 159. Aktuell befinden sich rund 60 Covid-Patienten auf der Barmelweid, knapp die Hälfte von ihnen sind Akut-Fälle. Wie schon in der ersten Welle liegt das Durchschnittsalter der Erkrankten bei etwa 66 Jahren. «Neu zeichnet sich jedoch ab, dass nur noch etwa 55 Prozent männlich sind – bis im Oktober lag dieser Wert bei 70 Prozent», sagt Thomas Sigrist jetzt.
Nachfrage übersteigt Angebot
Insgesamt hat die Barmelweid 280 Betten. Eine gewisse Flexibilität bestehe, so Sigrist, aber man könne natürlich längst nicht all diese Betten mit Covid-Patientinnen belegen. «Die Nachfrage übersteigt derzeit bei weitem das, was wir bieten können.» Auch das Personal kommt mitunter an die Grenzen. «Es gab Personalausfälle durch Ansteckungen im privaten Umfeld oder wegen angeordneter Quarantänen – in der zweiten Welle ganz klar mehr als in der ersten», sagt Thomas Sigrist.
«Mittlerweile dürfen unsere Mitarbeitenden, die eigentlich unter Kontaktquarantäne stünden, dank Sicherheitsvorkehrungen wie Mund-Nasen-Schutz trotzdem arbeiten. Darüber sind wir sehr froh elastung ist hoch, wir brauchen diese Ressourcen.»
Bald wieder ein Besuchsverbot?
Im Gegensatz zur ersten Welle hat die Barmelweid in der zweiten auf einen kompletten Besucherstopp verzichtet. «Wir haben in den Zufriedenheitsbefragungen, die wir standardmässig immer durchführen, diesbe- züglich sehr deutliche, negative Rückmeldungen erhalten», so Sigrist. Das hänge auch damit zusammen, dass eine Reha einige Wochen dauere und deshalb ein Besucherstopp einschneidender sei als in Akutspitälern, wo viele Patienten nur wenige Tage seien.
Deshalb setzt die Barmelweid jetzt auf Sicherheitsmassnahmen, die Besuche nicht verunmöglichen. Nur ein Beispiel: Stoffmasken sind verboten; Einwegmasken Pflicht. Sigrist: «Diese Regelungen funktionieren – aber sollte die Situation aus dem Ruder laufen, behalten wir uns vor, wieder einen Besucherstopp einzuführen.»
Auch Patienten müssen Maske tragen
Und noch etwas hat sich auf der Barmelweid in der zweiten Welle verändert: Mittlerweile müssen auch Patienten Masken tragen. Noch im September war das nicht so, damals sagte Sigrist im AZ-Interview, man wolle das den Patienten, die oft ohnehin Atemprobleme hätten, nicht zumuten. «Mit der allgemeinen Maskenpflicht, die der Bundesrat angeordnet hat, haben auch wir einen Paradigmenwechsel vorgenommen», so der Chefarzt.
«Und wir haben festgestellt: Grundsätzlich vertragen die meisten Patienten die Masken und haben keine grösseren Schwierigkeiten damit. Bei Patienten mit sehr schwerer Atemnot oder anderen medizinischen Gründen wie einer Demenz oder Delir machen wir allerdings weiterhin Ausnahmen.»
Praktisch niemand fühlt sich schon wieder ganz fit
Da die Barmelweid bei vielen Covid-Rehapatienten auch nach Austritt noch Kontrollen durchführt, hat Sigrist einen Überblick über deren Genesungsprozess. Bei einzelnen sehe man radiologisch noch immer Vernarbungen auf der Lunge, sagt der Pneumologe.
«Man kann sagen, dass es bei allen aufwärtsgeht – aber praktisch niemand fühlt sich bereits wieder so fit wie vor der Erkrankung.» Generell hätten Covid-Patientinnen im Gegensatz zu solchen mit anderen viralen Erkrankungen «mehr und komplexere Symptome».