Sie sind hier: Home > Aargau > Mit Leib und Seele Feuerwehrmann – auch dank Leuten wie ihm gibt es im Aargau wenig Nachwuchsprobleme

Mit Leib und Seele Feuerwehrmann – auch dank Leuten wie ihm gibt es im Aargau wenig Nachwuchsprobleme

Sein linker Arm ist für die Feuerwehr reserviert. Ein Mann mit Atemschutzmaske, über ihm ein C-145 Löschflugzeug, sie kämpfen gegen die Flammen, die sich zwischen Handgelenk und Bizeps ausbreiten. Die Tattoos sind Zeugen von Michel Marchands Leidenschaft, der Feuerwehr. «Ich war vier oder fünf Jahre alt, habe damals mit meinen Eltern in Frankreich gelebt, und das Nachbarhaus ist abgebrannt», beschreibt der 29-Jährige seine erste Erinnerung in diesem Zusammenhang. Einbrecher hatten den Brand gelegt, um Spuren zu verwischen – bei Marchand haben sie Spuren hinterlassen, die bis heute nachwirken.

«Wie viele Stunden opferst du pro Jahr der Feuerwehr?», möchten wir wissen. «Opfern ist das falsche Wort», entgegnet Marchand prompt und lacht. 2019, als er die Ausbildung zum Offizier absolvierte, waren es 340 Stunden, sonst jeweils etwa 140 bis 160 Stunden, «in denen ich mich mit der Feuerwehr auseinandersetzen darf», so der Zufiker. Darin eingerechnet sind Einsätze, Übungen, Anlässe für die Bevölkerung, aber Marchand ist auch zur Stelle, wenn das Lokal oder die Fahrzeuge herausgeputzt werden müssen.

Michel Marchand erklärt den Aufbau des Tanklöschfahrzeugs der Feuerwehr Zufikon.

Der Automatiker arbeitet bei der Soudronic AG in Bergdietikon und ist dort Chef der Betriebslöschgruppe. Auf die Frage, ob er in Zufikon auch einmal Feuerwehrkommandant werden möchte, wählt er seine Worte mit Bedacht: «Zu gegebener Zeit, wenn sich die Möglichkeit bieten sollte, dann ist das nicht ausgeschlossen.» Sein primäres Ziel sei es aber nicht. Momentan ist Marchand bei der Feuerwehr Zufikon stellvertretender Atemschutzchef und wird voraussichtlich im nächsten Jahr die Leitung übernehmen.

Dahin, wo die Action ist

Der Atemschutz sei für ihn das Richtige, «ich muss dahin, wo die Action ist», erklärt er. Kommt da auch einmal Angst hoch, wenn man in ein brennendes Gebäude soll? «Nein, das darf nicht sein. Wer Angst hat, trifft falsche Entscheidungen.» Ein gesunder Respekt sei angebracht, erklärt Marchand. «Als im letzten Jahr ein Haus an der Unterdorfstrasse brannte, konnten wir nicht hinein, weil die Hitze einfach schon zu gross war», berichtet Marchand vom Einsatz.

«Da hat man eine Verantwortung gegenüber der Truppe – oberstes Gebot ist es, die eigene Sicherheit nicht zu gefährden.»

Jeder habe Hochs und Tiefs, man müsse sich auch selber eingestehen können, wenn man keinen guten Tag habe. «Dann gibt es auch draussen wichtige Aufgaben. Wer drin ist, kann sich nicht einfach umentscheiden und alleine wieder raus. Hinein und hinaus geht man immer zusammen.»

Das Material im Magazin der Feuerwehr Zufikon ist für den Ernstfall bereit.

Aus diesem Grund bezeichnet Marchand die Feuerwehr auch nicht als Hobby. «Wenn man Fussball spielt, stehen keine Leben auf dem Spiel, wenn man einen Fehler macht.» Trotzdem sind ihm auch die gesellschaftlichen Aspekte wichtig. «Man trifft hier auf Leute mit der gleichen Einstellung und Motivation.»

Ein französischer Name und ein spanisches Nummernschild

In Zufikon hat der 29-Jährige seine Heimat gefunden. Er lebt seit 2002 in der Schweiz, zuvor führte der Beruf des Vaters als SR-Techniker die Familie nach Frankreich, England und Spanien. «Als wir nach Zufikon gezogen sind, machte das rasch die Runde – ein französischer Name und am Auto ein spanisches Nummernschild, das war damals noch etwas Spezielles.»

In der Schule habe er rasch Anschluss gefunden, und später durch die Feuerwehr die Dorfmentalität kennen und schätzen gelernt. «In der Feuerwehr trifft man alle möglichen Leute. Und doch ist es eine Familie, weil man die Menschen nirgendwo so schnell kennen lernt wie hier.» Auf die Frage, ob er in einem anderen Dorf auch in die Feuerwehr gehen würde, entgegnet er lachend: «Ja, sicher. Aber ich bin genug lange mit meinen Eltern herumgereist, ich bleibe hier – so schnell werden mich die Zufiker sicher nicht los.»

Michel Marchand ist Feuerwehrmann mit Leib und Seele.

«Die langjährigen Mitglieder muss man wieder etwas motivieren»

Nicht alle Leute sind so leicht für die Feuerwehr zu begeistern wie Marchand. Manche Aargauer Gemeinden haben Nachwuchsprobleme, Zufikon momentan nicht. «Meinen besten Kollegen habe ich auch überzeugt, mal vorbeizuschauen und mitzumachen. Ich rate jedem, zur Feuerwehr zu gehen, weil es eine gute Sache ist und man den Leuten helfen kann», sagt der Zufiker.

Laut Fabian Engel, Präsident des Aargauischen Feuerwehrverbands, sieht die Situation im Aargau momentan gut aus. Es sei von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich, aber insgesamt sei man zufrieden. «Es bleibt aber eine Herausforderung, weil jedes Jahr 10 bis 15 Prozent der Leute die Feuerwehr verlassen, viele altershalber, und diese müssen wir ersetzen.» Corona habe die Situation nicht verschlechtert, eher seien die Feuerwehren noch enger zusammengeschweisst worden. Einziger negativer Effekt: «Manch einer, der schon seit vielen Jahren seinen Dienst leistet, hat während dieser Zeit gemerkt, dass es auch schön sein kann, etwas mehr Zeit zu Hause zu verbringen, ohne Übungen und Einsätze.» Diese Leute müsse man wieder etwas mehr motivieren.

Besonders gute Arbeitgeber werden ausgezeichnet

Das grössere Problem sieht Engel bei den Arbeitgebern. Die Bereitschaft, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter plötzlich zu einem Einsatz müssen, sei nicht mehr so gegeben, sagt Engel. Deshalb zeichnet der Aargauische Feuerwehrverband am Samstag auch zwei Arbeitgeber aus, die sich in dieser Hinsicht vorbildlich verhalten (siehe Box am Ende).

Dass die Bereitschaft, auf Mitarbeiter vorübergehend zu verzichten, wenn sie für die freiwillige Feuerwehr ausrücken, nicht mehr selbstverständlich sei, liege auch an der höheren Professionalisierung, wie Engel anhand eines Beispiels erklärt: «Früher fehlte ein Mitarbeiter, der bei der Feuerwehr Kallern mitgemacht hat, vielleicht einmal im Jahr. Unterdessen ist diese aber mit anderen Gemeinden zur Regional-Feuerwehr Freiamt-Mitte zusammengeschlossen, und da kommt es logischerweise auch zu mehr Alarmen.»

Engel ist selber 1986 der Feuerwehr beigetreten. Damals sei klar gewesen, dass Mitarbeiter des Werkhofs oder der Schulhausabwart Teil der Feuerwehr sind, weil sie viel Wissen über ihre Gemeinde mitbringen. «Heute wird das nicht mehr so unterstützt, obwohl die Feuerwehr Sache der Gemeinden ist.» Es sei deshalb auch ein Wunsch des Vorstands, dass nebst einem Unternehmen aus der Wirtschaft auch eine Gemeinde den Preis als vorbildlicher Arbeitgeber erhalte.

Michel Marchand geniesst von seinem Arbeitgeber die volle Unterstützung, natürlich auch, weil er die Betriebslöschgruppe leitet. Er kann es nicht verstehen, wenn sich Arbeitgeber gegen dieses Engagement wehren:

«Wenn das eigene Zuhause brennt, dann ist doch jeder froh, wenn genügend Mann vor Ort sind, um zu löschen.»

Der Tod des Vaters bestärkte ihn

Für den heutigen Präsidenten des Aargauischen Feuerwehrverbands war schon früh klar, dass er sich in der Feuerwehr engagieren möchte. «Mein Vater war auch bei der Feuerwehr und ist im Alter von 45 Jahren leider verunglückt.» Auch wenn das ein sehr tragisches Ereignis war, bestärkte es Engel in seinem Vorhaben. So sehr, dass er mit einem Freund aus den Ferien in Saas Fee nach Baden fuhr, um an der Rekrutierung teilnehmen zu können. «Um zwei Uhr in der Nacht waren wir dann zurück, müde, aber überglücklich.»

Fabian Engel ist aus seinen Ferien in Saas Fee nach Baden gefahren, um an der Rekrutierung teilzunehmen. (Archivbild, 14. Januar 2020)

Ein wichtiger Teil der Nachwuchsförderung stellen laut Engel die Jugendfeuerwehren dar, von ihnen gibt es 15 im Aargau. «Natürlich machen nicht alle weiter, aber doch ein schöner Prozentsatz. Und meistens bleiben sie dann gleich 15 oder 20 Jahre.»

Einheitliche Ausrüstung oder individuelle Einstellung auf lokale Gegebenheiten?

Ein unter Feuerwehrleuten diskutiertes Thema sind die regionalen Eigenheiten. Bei jeder Feuerwehr ist das Tanklöschfahrzeug etwas anders aufgebaut, die Ausrüstung etwas anders. Wäre das Material einheitlich, wäre es beispielsweise bei einem Wohnortwechsel einfacher, sich auch in der dortigen Feuerwehr zurechtzufinden.

«Die Bemühungen der Aargauischen Gebäudeversicherung (AGV) gehen in diese Richtung», erklärt Engel. So sei es möglich, mit einem Fragekatalog dem AGV die Bedürfnisse mitzuteilen, dieser helfe dann bei der Beschaffung des entsprechenden Fahrzeugs. «Ab nächstem Jahr wird es auch möglich sein, Brandschutzausrüstung beim AGV zu mieten. Wenn überall mit der gleichen Ausrüstung gearbeitet würde, wäre das schon ein Vorteil.»

Allerdings sei auch klar, dass die Schweiz föderalistisch organisiert sei, und manche Feuerwehren die Beschaffung und die Ausgestaltung der Fahrzeuge in den eigenen Händen haben wollten. Das kann auch ein Vorteil sein. Die Feuerwehr Zufikon hat beispielsweise selbst einen Anhänger konstruiert, auf dem rund 800 Meter Schlauch gelagert sind, der sehr viel schneller ausgelegt werden kann, als wenn er auf einer Rolle wäre. Dies unter anderem deshalb, weil die Waldhütte weit weg vom nächsten Hydranten ist. So kann sich jede Feuerwehr ein Stück weit den lokalen Gegebenheiten anpassen.

Der Aargauische Feuerwehrverband (AFV) verleiht an der Delegiertenversammlung am heutigen Samstag zwei Awards für die «Ehrenamtsfreundlichsten Arbeitgeber im Bereich des Feuerwehrwesens». Firmen, Dienstleistungsbetriebe oder Gemeinden, die dafür in Frage kommen, wurden von den Kommandanten dem AFV gemeldet. Ein Kriterium ist beispielsweise, wie viel Prozent der Arbeitnehmer einer Firma in einer Feuerwehr Dienst leisten und ob der Arbeitgeber sie auch bei Abwesenheiten, etwa für Einsätze oder Kursbesuche, unterstützt.