Millionen-Bschiss: Der Aargau erstreitet sich Einblick in die Baukartell-Akten – steht ihm Schadenersatz zu?

Wer den Auftrag erhalten sollte, sprachen die involvierten Baufirmen untereinander ab. Im Voraus legten sie die gewünschten Gewinner bei rund 100 öffentlichen und privaten Ausschreibungen von Strassen- und Tiefbauprojekten im Kanton Aargau fest.

Doch die illegalen Preisabsprachen flogen auf: Die Wettbewerbskommission (Weko) machte im Januar 2012 eine Liste mit 18 beteiligten Unternehmen publik und sprach insgesamt Bussen in der Höhe von rund vier Millionen Franken aus. Ein Teil der Baufirmen erreichte später vor Gericht eine Reduktion der Bussen.

Seither sind über neun Jahre vergangen – und noch immer beschäftigen die Folgen des Aargauer Baukartells die Gerichte. Am Freitag hat das Bundesgericht zwei beinahe identische Urteile veröffentlicht, bei denen es um die Frage geht, ob der Kanton Aargau Einblick in die Akten der Untersuchung erhalten soll. Zwei betroffene Baufirmen wollten dies verhindern.

Bundesverwaltungsgericht wollte Unterlagen 2018 nicht freigeben

Zunächst waren sie mit ihrer Gegenwehr noch erfolgreich; das Bundesverwaltungsgericht hiess ihre Beschwerden gegen den Entscheid der Weko, den Zugang zu den Unterlagen mit Auflagen zu gewähren, im Herbst 2018 gut. Vor Bundesgericht erleiden sie nun aber eine juristische Niederlage, die für sie neben den Anwalts- und Gerichtskosten noch weitere finanzielle Folgen haben könnte.

Der Kanton Aargau hat sich den gewünschten Zugang zu den Unterlagen aus der Untersuchung erstritten und wird nun überprüfen können, ob und in welchem Ausmass er von den unerlaubten Preisabsprachen betroffen war. Das bedeutet auch: Sollte der Kanton zu den Geschädigten gehören, könnte er von den involvierten Baufirmen unter Umständen Schadenersatz fordern.

Ob sich unter den genauer beleuchteten Aufträgen auch solche befinden, die von den Aargauer Behörden vergeben worden sind, hat die Wettbewerbskommission bislang geheim gehalten. Klar ist: Über die Hälfte der untersuchten Arbeitsvergaben betreffen öffentliche Auftraggeber.

Bundesgericht warnt vor verjährten Forderungen

Behörden dürfen heikle Informationen nur unter bestimmten Voraussetzungen weitergeben. Wann dies erlaubt ist, regelt das Datenschutzgesetz. Doch wie die entscheidende Bestimmung ausgelegt werden soll, ist umstritten. Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich auf den Standpunkt gestellt, Einsicht in die Akten könne nur gewährt werden, wenn das Sanktionsverfahren rechtskräftig abgeschlossen und ein Kartellrechtsverstoss festgestellt worden sei.

Das Bundesgericht hingegen kommt zu einem anderen Schluss und kritisiert den Entscheid der Vorinstanz. Einer der Kritikpunkte: Das Bundesverwaltungsgericht setze den Kanton Aargau der Gefahr aus, dass seine potenziellen Forderungen verjähren. Kartellrechtsfälle seien äusserst komplex und dauerten oftmals länger als die gesetzlich vorgesehene, absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren.

Die Betroffenen wüssten allerdings vielfach erst nach mehr als zehn Jahren, dass sie effektiv geschädigt worden sind. «Insofern würden viele Schadenersatzklagen ins Leere laufen, da die Ansprüche als verjährt betrachtet würden», stellt das Bundesgericht fest.

Die vier Richter und die Richterin halten auch die weiteren Voraussetzungen für erfüllt, um die gewünschte Einsicht in die Akten zu gewähren. Absolut notwendig seien die Daten allein schon zur Beantwortung der Frage, ob überhaupt zivilrechtlich – zur Forderung von Schadenersatz – gegen die Baufirmen vorgegangen werden soll, urteilt das Bundesgericht und heisst die Beschwerden des Kantons Aargau gut.

Bundesgerichtsurteil 2C_1040/2018, 2C_1051/2018 vom 18. März 2021