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SP-Aargau-Präsidentin Gabriela Suter: «Es geht nicht darum, dass SP und Grüne einander Wählerinnen und Wähler wegnehmen»

Gabriela Suter auf dem Dach der CH Media in Aarau. Im Hintergrund: Die Telli-Blöcke.

Sie treten im April von Ihrem Amt als Präsidentin der SP Aargau zurück. Der richtige Zeitpunkt sei gekommen, haben Sie gesagt. Wie äussert sich das?

Gabriela Suter: Eine Amtszeit dauert bei der SP Aargau zwei Jahre, meine zweite Amtszeit ist im Frühling vorbei. Ich musste mich entscheiden, ob ich noch einmal antrete. Da im nächsten Jahr im Aargau keine Wahlen stattfinden, ist der Zeitpunkt für einen Präsidiumswechsel ideal. Das gibt meiner Nachfolgerin oder meinem Nachfolger die Gelegenheit, sich einzuarbeiten und dann die SP durch die nationalen Wahlen 2023 und die kantonalen 2024 zu führen.

Sie wollten sich auf Ihre nationalen Ämter konzentrieren, gaben Sie als weiteren Grund an.

Ja. Es ist zwar sehr reizvoll, gleichzeitig auf nationaler und auf kantonaler Ebene zu politisieren, weil man thematische Verbindungen schaffen kann. Wenn man die Dossiers gut kennen will, ist das aber sehr aufwendig. Ich möchte mich jetzt auf den Nationalrat und auf meine Ämter bei der Lärmliga und bei Swissolar konzentrieren.

Ihr Nationalratskollege Thomas Burgherr von der SVP sagt, Nationalratsmitglieder sollen in erster Linie ihrem Beruf nachgehen, schliesslich sind sie Milizparlamentarier. Was meinen Sie dazu?

Wenn man das Nationalratsmandat ernst nimmt, sich seriös auf die Kommissionssitzungen vorbereitet und mehrheitsfähige politische Vorstösse lancieren will, bedeutet das etwa ein 60-Prozent-Pensum. Das Parteipräsidium umfasst weitere 30 Prozent, da bleibt nicht mehr viel Zeit für berufliche Projekte. Aber dafür werden jetzt auch Ressourcen frei.

Was haben Sie beruflich vor?

Ich habe vor, wieder verstärkt als Historikerin zu arbeiten und ein Buch-Projekt und eine Ausstellung zu realisieren.

Sie sind auch Lehrerin, würden Sie wieder unterrichten?

Das würde ich gerne tun. Aber eine Anstellung als Kantonsschullehrerin mit dem Nationalratsmandat zu vereinbaren, ist leider schwierig. Während der 13 Sessionswochen bräuchte es immer eine Stellvertretung. Und die prüfungsintensiven Schulwochen fallen genau mit den Sessionsdaten zusammen.


Sie sind jetzt seit dreieinhalb Jahren Präsidentin der SP Aargau. Wie haben Sie die Partei verändert?

Eine so grosse Partei wie die SP Aargau ist ein Dampfer, dessen Steuerung nur langsam reagiert. Ich bin mit der Motivation angetreten, die SP noch sichtbarer und unsere Themen in den Medien präsenter zu machen. Ich habe das Gefühl, das ist gelungen. Weiter habe ich versprochen, die Basisarbeit zu verstärken. Wir haben die Bildungsarbeit in der Partei verbessert und mehr Möglichkeiten für die Mitglieder geschaffen, sich inhaltlich einzubringen.

War die SP vorher weniger basisdemokratisch?

Die Partei lebt von den Aktivitäten ihrer Mitglieder, darum können und sollen sie Themen mit einbringen und mitbestimmen. Das war in der SP immer so, während in anderen Parteien die Parteispitze den Weg vorgibt. Aber etwa die Legislaturziele haben wir 2020 zum ersten Mal unter vollem Einbezug der Basis entwickelt. Über 100 Personen waren am Projekt beteiligt.

Gabriela Suter am Tag der Wahl zur Parteipräsidentin der SP Aargau mit den beiden Vorgängern Elisabeth Burgener und Cédric Wermuth.

Ihre Vorgänger waren Cédric Wermuth und Elisabeth Burgener. Wermuth ist jetzt Ihr Nationalratskollege und Co-Parteipräsident. Sie sind nicht auf seiner Juso-Linie. Wie läuft das für Sie?

Die SP ist eine breit aufgestellte Volkspartei. Da haben vom linken Juso bis zu den sozialliberalen Daniel Jositsch oder Pascale Bruderer alle Platz. Die urgewerkschaftlichen Anliegen, faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen, werden von allen Sozialdemokraten getragen, ebenso wie viele andere soziale und umweltpolitische Anliegen. Meine Aufgabe als Präsidentin ist es, den Fokus auf unsere Gemeinsamkeiten zu legen und die Partei zusammenzuhalten.

Ist Ihnen das im Aargau gelungen?

Besser machen kann man es natürlich immer. Aber ja, ich glaube schon, es kam jedenfalls zu keinem Richtungsstreit in unserer Partei.

Uneinigkeiten gab es SP-Schweiz-intern beim Rahmenabkommen mit der EU. Wie positionieren Sie sich da?

Ich bedaure, dass die Verhandlungen abgebrochen worden sind. Das Rahmenabkommen wäre nötig gewesen für das Stromabkommen mit der EU. Es war aber nicht die SP, die das Rahmenabkommen beerdigt hat, sondern die beiden FDP-Bundesräte – obwohl es in der SP unterschiedliche Haltungen dazu gab.

So gut steht es um die SP insgesamt nicht. Zuletzt verlor sie im Kanton Freiburg bei den Wahlen am meisten aller Parteien. Das wird zur Regel.

Umgekehrt haben wir im Aargau bei den Gemeindewahlen im September sogar einen Sitz dazugewonnen, bei den Nationalratswahlen 2019 haben wir an Wählerprozenten zugelegt und den dritten Sitz zurückgeholt – gegen den nationalen Trend. Die drei zusätzlichen Stadtratssitze in Rheinfelden, Lenzburg und Baden waren grosse, wichtige Erfolge.

Aber vor einem Jahr bei den Grossratswahlen hat die Aargauer SP 2,4 Prozent verloren, das war, wie in Freiburg, mit grossem Abstand am meisten …

… weil wir vor fünf Jahren stark zulegen konnten. Dann kam die grüne Welle, die das abgeschwächt hat. Insgesamt kann man sagen, dass links-grün gewonnen hat.

Das waren vor allem die Grünen, die sich damit langsam der SP annähern und entsprechend Ansprüche stellen. Kann sie die SP noch lange als kleine Schwester-Partei sehen?

Die SP ist nach wie vor viel grösser, aber wir arbeiten seit Jahren immer wieder partnerschaftlich mit den grünen Parteien zusammen. Die SP macht zudem seit Jahrzehnten Umwelt- und Klimapolitik, auch wenn wir grün nicht im Parteinamen haben.

Die Grünen gewinnen jedoch zunehmend auch SP-Wählende für sich. Wie wollen Sie dem begegnen?

Im Moment kennen wir den Wählerinnen-Anteil im Aargau nicht. Was zählt, ist das Resultat am Wahltag. Es geht nicht darum, dass SP und Grüne einander Wählerinnen und Wähler wegnehmen, Ziel ist vielmehr, gemeinsam grösser zu werden. Sorgen macht mir eher, dass sich zwei Drittel der Bevölkerung gar nicht oder nur sporadisch an Abstimmungen und Wahlen beteiligen. Die Parteien müssen diese Leute für die Politik gewinnen und sie mit klaren Haltungen und Forderungen überzeugen. Da sind wir gut unterwegs, wir machen konsequent Politik für alle statt für wenige. In der Kommunikation über unsere klima- und umweltpolitischen Anstrengungen können wir uns vielleicht noch verbessern.

Wie wollen Sie das tun?

Wir müssen nahe an der Bevölkerung Politik machen, weil man für sie Lösungen finden soll. Dafür haben wir die richtigen Themen, die wir entsprechend transportieren müssen. Das war im Wahljahr 2020 nicht so einfach, die Leute waren mit der Coronakrise beschäftigt.

Rückt dafür die Coronakrise, nach den grossen Klimadebatten, nicht wieder vermehrt die Themen der SP in den Fokus?

Doch, die SP hat gezeigt, dass sie die KMU-Partei ist. Wir waren es, welche die Härtefallhilfen eingebracht haben und geschaut haben, dass niemand zurückgelassen wird. Die Bevölkerung hat das auch wahrgenommen.

Die SP sagt Ja zum Covid-Gesetz. Warum war die Befürworter-Seite im Abstimmungskampf so wenig präsent?

An der SP liegt es nicht. Im Gegensatz zu den anderen Parteien führen wir eine eigene Kampagne.

Warum ist erst so spät eine überparteiliche Kampagne gelungen?

Die bürgerlichen Parteien waren zu träge. Darum haben wir reagiert. Man kann aber als Partei nicht zu jeder Abstimmung eine starke Kampagne realisieren, wir haben begrenzte Mittel. Unser Fokus gilt der Pflegeinitiative, die bessere Arbeitsbedingungen im Pflegebereich fordert. Es sind alle Parteien nach ihren finanziellen Möglichkeiten gefordert, da hätte ich aber von den bürgerlichen mehr erwartet.

Mit welchen Resultaten rechnen Sie bei den Abstimmungen am 28. November?

Ich erwarte ein Ja zum Covid-Gesetz und gehe von einer sehr hohen Zustimmung zur Pflegeinitiative aus. Bei der Justizinitiative von einer ebenso hohen Ablehnung.

«Kommt die Steuergesetzrevision durch, wird die SP das Behördenreferendum ergreifen und einen Abstimmungskampf führen», sagt Gabriela Suter.

Noch dauert Ihr Präsidium bei der SP Aargau ein halbes Jahr. Was haben Sie in dieser Zeit noch vor?

Die Steuergesetzrevision steht im Grossen Rat am 7. Dezember an. Kommt diese in der zweiten Lesung durch, wird die SP das Behördenreferendum ergreifen und einen Abstimmungskampf führen.

Mit der Steuergesetzrevision sollen die Gewinnsteuern für ertragreiche Firmen ab 2022 von 18,6 auf 15,1 Prozent gesenkt werden. Was spricht dagegen?

Diese Revision würde zu Riesenlöchern in den Gemeindefinanzen führen. Die Gemeinden sind darum sehr besorgt. Der Stadt Aarau etwa würden fünf Millionen Franken fehlen, was zirka 7 Steuerprozenten entspricht. Das ist dramatisch.

Der Aargau würde als Standort attraktiver, ist ein Argument der Befürworter. Was sagen Sie dazu?

Dieser Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen ist nicht gesund. Der Aargau versucht für ein paar Wenige Steuersenkungen durchzusetzen, die fatale Folgen für die Gemeinden haben. Diese müssen dann entweder Leistungen abbauen oder die Steuern bei den natürlichen Personen erhöhen. Das macht den Aargau nicht attraktiver. Die Steuerbelastung für Firmen ist nur ein Aspekt unter vielen, unser Kanton kann beispielsweise mit seiner zentralen Lage und der guten Verkehrsanbindung punkten.

Besonders steuergünstig ist der Aargau nicht und mit der Revision wäre er im interkantonalen Vergleich auch erst im Mittelfeld.

Der Aargau gehört gemäss dem Standortqualitätsindikator der Credit Suisse zu den attraktivsten Unternehmensstandorten der Schweiz. Im kantonalen Ranking belegt er den 5. Platz. 95 Prozent der Aargauer Unternehmen werden bereits mit 15,1 Prozent besteuert. Bei der Steuerreform geht es um lediglich 1300 weitere, besonders ertragreiche.

Anderes Thema: In den sozialen Medien haben Sie kürzlich angekündigt, dass Sie sich demnächst für ein Verbot des Hitlergrusses in der Schweiz einsetzen wollen. Warum ist das nötig?

Der Hitlergruss ist in der Schweiz nicht per se verboten, sondern nur, wenn man ihn der Öffentlichkeit zeigt und für den Nationalsozialismus wirbt. Fehlt der Werbecharakter und äussert jemand damit einfach seine Meinung, so ist er erlaubt. Diese Spitzfindigkeit ist absolut stossend. Wenn man den Hitlergruss in der Öffentlichkeit duldet, so duldet man auch die ganze menschenverachtende, rassistische Ideologie dahinter. Ich möchte, dass die Rassismus-Strafnorm so angepasst wird, dass der Hitlergruss und weitere rassendiskriminierende Symbole in jedem Fall verboten sind.

Sie sind in der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie. Wofür setzen Sie sich dort ein?

Ganz aktuell ist die Erarbeitung eines indirekten Gegenvorschlags zur Gletscherinitiative. Ich setze mich dort für wirksame Massnahmen mit Zielen und Zwischenzielen ein. Die Kommission hat zudem eben ein Gesetz zur Kreislaufwirtschaft in die Vernehmlassung geschickt, da habe ich in der Subkommission mitgearbeitet. Das kommt demnächst ins Parlament.

Sie politisieren in verschiedenen Themenfeldern, monothematisch sind Sie nicht.

Da ich in der Umweltkommission bin, beschäftige ich mich oft mit umweltpolitischen Themen. Aber Sozial- und Gesellschaftspolitik ist mir genauso wichtig. Ich versuche auch, Anliegen aus der Bevölkerung aufzunehmen und in politischen Vorstössen umzusetzen.

Vor wenigen Tagen haben SP und Grüne die Klimafonds-Initiative angekündigt. Diese verlangt, dass 0,5 bis 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts in den ökologischen Umbau investiert wird. Warum jetzt dieser Weg gegen den Klimawandel?

Klimaschutz ist eine öffentliche Jahrhundertaufgabe. Es geht um die Sicherung der Lebensgrundlagen unserer Kinder und Enkelkinder. Da braucht es entsprechend öffentliche Mittel, um den Umbau des Energiesystems zu finanzieren. Das CO2-Gesetz wurde abgelehnt, weil die Leute Angst hatten, sie würden zusätzlich belastet. Deshalb muss man den Klimaschutz mit Steuergeldern finanzieren.