
Nach 23 Jahren: Die allererste Mc-Donald’s-Filiale im Aargau schliesst
Das Gespräch beginnt untypisch für ein Porträt-Termin. Kein Abtasten, kein langsames Kennenlernen. «Herr Di Vito, was ist an den Gerüchten dran, wonach es den McDonald’s hier an der Badstrasse bald nicht mehr geben wird?» Der 62-Jährige lacht verschmitzt und antwortet: «Sie sind gut informiert. Es stimmt. Nach 27 Jahren werden wir den auslaufenden Vertrag für das Lokal an der Badstrasse nicht verlängern. Wir haben die Stadt Baden und ihre Menschen so lieb gewonnen, dass wir einen neuen Standort im Zentrum eröffnen werden – wo steht noch nicht genau fest.»
Lange in Baden ist auch Enzo Di Vito geblieben. Am 1. Januar 1995 übernahm er als Franchise-Nehmer den McDonald’s. Dass er überhaupt bei der Fastfood-Kette gelandet ist, kann man als Zufall bezeichnen. «Ich lese eigentlich selten die ‹NZZ›. Doch an einem Tag Anfang der 1990er-Jahre sei er in der «NZZ» zufällig auf ein grosses McDonald’s-Inserat gestossen. «Es musste wohl so sein. Überhaupt: Wenn ich zurückblicke, kann ich sagen, ich hatte immer wieder Glück im Leben.»
Schmerzvoller Abschied von Italien
Dabei hat sein Leben in einem kleinen Ort südlich von Rom alles andere als glücklich begonnen. «Bei meiner Geburt 1955 starb meine Mutter.» Eigentlich hätte er Frederico heissen sollen. Doch weil seine Mutter auf den Namen Vincenza hörte, habe er den Namen Vincenzo erhalten; abgekürzt «Enzo». «Die ersten Wochen hat mich dann die Frau gestillt, die zur gleichen Zeit wie meine Mutter im Gebärsaal lag. Später hat mein Vater dann die beste Freundin meiner Mutter geheiratet, die für mich aber immer meine richtige Mutter war.»
Er erinnere sich gerne an seine Kindheit in Italien zurück. «Zwar hatte ich keine Geschwister, aber dafür umso mehr Bekannte und Familienangehörige.» Dann die grosse Veränderung im Alter von neun Jahren, als ihm die Eltern eröffneten, man werde in die Schweiz ziehen, wo der Vater eine Stelle als Saisonnier gefunden habe. «Das war ein regelrechter Schock für mich. Ich erinnere mich noch genau, wie ich in den nahen Wald gerannt bin und geweint habe. Schliesslich hat man mich im Wald gefunden und nach Hause gebracht.»
So kam es, dass sich die Familie Di Vito 1964 im solothurnischen Bettlach niederliess. «Mein Glück war es, dass wir in einem Doppelfamilienhaus wohnten, wo eine Familie mit einem gleichaltrigen Mädchen lebte. Dank ihr fand ich sehr schnell Anschluss.» Trotzdem sei der Start hart gewesen, habe er doch kein einziges Wort Deutsch sprechen können. «Doch mein damaliger Klassenlehrer nahm sich jeden Tag eine Stunde Zeit, mir Deutsch beizubringen, und ich machte schnell Fortschritte.»
In der 6. Klasse habe er dann eine Prüfung ablegen müssen, die darüber entschied, ob er in die Real- oder die Sekundarschule kommen würde. «Nur ganz knapp reichte es mir – dank meinen Mathe-Kenntnissen – in die Sek.»
Heimweh nach seiner italienischen Heimat habe er nie gehabt. «Schlimm waren einzig die Heimat-Ferien; da sind immer noch Tränen geflossen. Apropos Ferien: «Wenn man als junger Italiener seine Heimat besuchte, sollte man tunlichst eine Bestätigung beim Konsulat holen, die einen vom Militärdienst in Italien befreite, und diese dann in der Heimatgemeinde abstempeln lassen. Kollegen von mir taten dies nicht und wurden prompt für Monate in den Militärdienst eingezogen.»
Lehrer war Fifa-Schiedsrichter
Auch wenn das Heimweh ausblieb, sei das Leben als «Tschingg» nicht immer einfach gewesen. In besonderer Erinnerung bleibt Di Vito dabei das Jahr 1970, als die Schweiz über die «Schwarzenbach-Initiative» abzustimmen hatte. Mit dieser wollte Nationalrat James Schwarzenbach die Schweiz vor Überfremdung schützen. «Da herrschte zuweilen eine ziemlich ausländerfeindliche Stimmung und auch ich wurde gestichelt auf dem Pausenplatz – was die eine oder andere Rauferei zur Folge hatte», sagt Di Vito mit einem Lachen. Alles in allem habe er die Sek aber gut überstanden.
«Unserer damaliger Klassenlehrer Rudolf Scheurer war Fifa-Schiedsrichter und viel an Fussballspielen, weshalb wir oft frei hatten. Am Samstag hat er uns zudem im Schachspiel unterrichtet; noch heute ein Hobby von mir.» Er selber sei zwar ein grosser Fussballfan («ganz schlimm, spielt Italien dieses Jahr nicht an der Fussball-WM in Russland»), habe selber aber nur auf Juniorenstufe gespielt.
Vater starb nach Lehrabschluss
Nach einem zusätzlichen Schuljahr habe er schliesslich beim Uhrenhersteller ETA in Grenchen seine Lehre als Elektromechaniker absolviert. «Ich wollte immer etwas Handwerkliches machen», so Di Vito. Kaum hatte er seinen Lehrabschluss im Sack, verstarb sein Vater – ein Ereignis, dass ihm heute noch Tränen in die Augen treibt, wenn er davon erzählt.
«Mein Vater verbrachte damals einige Monate in Italien, wo er sich um mein Elternhaus kümmerte. Eines Morgens wachte er nicht mehr auf, woraufhin man meine Mutter informierte. Wir fuhren dann zwölf Stunden in unserer Heimat. Meine Mutter sagte mir nur, es sei etwas Schlimmes passiert; mein Vater liege im Spital – die ganze Fahrt über kein Wort über seinen Tod. Als wir dann auf dem Parkplatz vorfuhren, sah ich meinen Vater im Kellerraum aufgebahrt, da bin ich zusammengebrochen.»
Der Tod stellte sein Leben und dasjenige seiner Mutter auf den Kopf. «Ich kündigte meine gute Stelle in der Schweiz und kehrte mit meiner Mutter nach Italien zurück. Mein Plan: Ich wollte, dass meine Mutter in unserem Netz gut aufgehoben ist, ehe ich wieder in die Schweiz zurückkehrte, was ich wenige später Monate auch tat.»
Danach ging es schnell: Di Vito lernte seine erste Frau kennen, wurde Vater von zwei Söhnen und bildete sich parallel zum Betriebsfachmann und eidgenössisch diplomierten Einkäufer aus. «Während sieben Jahren habe ich mich berufsbegleitend weitergebildet; das war nicht ohne.» Leider sei in dieser Zeit auch seine Ehe in die Brüche gegangen. Dafür lief es beruflich rund; Di Vito erklomm die Karriereleiter und war bei einem Bahntechnik-Unternehmen plötzlich Vorgesetzter von rund 120 Mitarbeitenden. «Und dann kam eben das besagte Inserat.»
Risiko hat sich ausbezahlt
«Ich habe mir lange überlegt, ob ich mich bei McDonald’s bewerben soll, hatte ich doch eine super Position mit entsprechendem Salär.» Weshalb er es schliesslich tat, hat zwei Gründe: «Erstens hat mich meine heutige Ehefrau Rita unterstützt. Und zweitens hatte ich mir immer zum Ziel gesetzt, vor meinem 40. Lebensjahr selbstständig zu sein.» Er sei quasi «all in» gegangen. Während der Ausbildung habe er ziemlich untendurch müssen, «erhielt ich doch in dieser Zeit kein Salär. Nur dank der Unterstützung meiner heutigen Ehefrau war es überhaupt möglich.»
1995 war es dann soweit, Enzo Di Vito übernahm das McDonald’s-Restaurant in Baden. Seither sind mit dem «Drive in» und dem Shoppi Tivoli in Spreitenbach sowie den beiden Restaurants in Dättwil und Bremgarten vier weitere dazugekommen. Heute ist Di Vito Chef von rund 210 Mitarbeitenden. «Worauf ich besonders stolz bin, ist die Tatsache, dass ich alle meine Kadermitarbeiter quasi bei mir ausgebildet habe.» Er selber sei jeden Wochentag an der Front in einer seiner Filialen anzutreffen.
«Mir ist wichtig, präsent zu sein und als gutes Vorbild voranzugehen.» Dabei sei er sich für keine Arbeit zu schade: «Dank meinen technischen Kenntnissen kann es auch einmal vorkommen, dass ich unter der Fritteuse liege, um etwas zu reparieren.»
Di Vito setzt sich auch vehement für seine Mitarbeiter ein, wenn er mitbekommt, dass sie von Gästen unhöflich behandelt werden. Jeden Mittag würde er zudem mit seinen Leuten gemeinsam Mittagessen – McDonald’s-Essen wohlbemerkt. Eine Aussage, die man beim Anblick des schlanken McDonald’s-Chefs fast nicht glauben mag. Für Di Vito der beste Beleg dafür, dass Fastfood zu Unrecht einen schlechten Ruf geniesst.
Wer von «Junk Food» spreche, verkenne erstens, dass es sich um qualitativ hochwertige Zutaten handle. «Und vor allem zeigt dies auch keinen Respekt gegenüber unseren regionalen Bauern, von denen wir einen Grossteil der Produkte beziehen.» Als Italiener liebe er gutes Essen und guten Wein, «was doch der beste Beweis dafür ist, dass wir bei McDonald’s hochwertige Nahrungsmittel verkaufen».
Auch nach 23 Jahren bei McDonald’s verspürt Di Vito keine Abnützungserscheinungen, sondern sprüht im Gegenteil vor Leidenschaft und Begeisterung. «In meinen Adern fliesst Ketchup. Die Verantwortung und vor allem der Kontakt mit meinen Mitarbeitern und Gästen halten mich jung. Nur Zeit auf dem Golfplatz zu verbringen, würde mich nicht erfüllen.»
Rückblickend kann Enzo Di Vito festhalten, dass es sich gelohnt habe, «all in» zu gehen. Er wohnt mit seiner Partnerin an bester Lage in Ennetbaden. «Ja, mein Mut von damals wurde belohnt; uns geht es heute sehr gut.» Gewiss habe er auch Glück gehabt. «Aber zu diesem kann man auch etwas beitragen – indem man zum Beispiel den Mut hat, nicht immer im 08/15-Schema zu verharren.»
von Martin Rupf — az Badener Tagblatt