
Nach Bruderers Rückzug: Braucht der Aargau bald drei neue Regierungsräte?
Pascale Bruderer hatte nichts dem Zufall überlassen. Auffällig viele Medienleute fanden sich letzten Donnerstag in Spreitenbach zum SP-Parteitag ein. Sie kamen nicht wegen der Parolenfassung zu «No Billag». Sie hatten einen Hinweis bekommen, dass die SP-Ständerätin an diesem Abend eine schlagzeilenträchtige Nachricht in eigener Sache verbreiten wird. Der Coup gelang. Bruderers Ankündigung, sich aus der Politik zurückzuziehen, sickerte nicht frühzeitig an die Öffentlichkeit.
Umso schneller folgten nach der offiziellen Verkündung erste Reaktionen auf Twitter und Facebook. Parteifreunde, aber auch politische Konkurrenten zeigten sich überrascht und drückten überwiegend ihren Dank und ihr Bedauern aus. Bruderer durfte zufrieden sein.
Die SP Aargau verliert eine Frau, die zwar nicht immer auf Parteilinie lag, aber mit ihrer austarierten, kontrollierten Politik eine Garantin für Wahlsiege war. Das ist nun vorbei. Ein Phänomen wie Bruderer kann die SP nicht aus dem Hut zaubern. Der Ständeratssitz ist deshalb nur schwer zu verteidigen, auch wenn Cédric Wermuth sich und seinen Genossen Mut macht: «Wir werden den Sitz nicht kampflos aufgeben. Versprochen.»
Bruders Rücktritt ist ein Steilpass für die SVP. Deren erklärtes Ziel, den 2011 an die SP verlorenen Sitz im Stöckli 2019 zurückzuerobern, ist realistisch: Die SVP ist mit bis zu 38 Prozent Wähleranteil die mit Abstand stärkste Partei. Am ehesten könnte die Grüne Susanne Hochuli dieses Vorhaben durchkreuzen. Ob sie antritt, steht noch in den Sternen; für Spektakel wäre jedenfalls gesorgt: Es käme zur Neuauflage des Nahkampfs, den sich Hochuli als Regierungsrätin mit den SVP-Exponenten jahrelang lieferte.
Nach Bruderers Rückzug aus der Politik kommt nicht nur Bewegung in die Aargauer Kantonsvertretung in Bern. Auch die Zusammensetzung der Kantonsregierung in Aarau könnte sich in den nächsten Jahren stark verändern.
Szenario 1: Urs Hofmann hört nach elf Jahren auf
Bruderer wäre die unbestrittene Nachfolgerin von Urs Hofmann gewesen, der bei den Regierungsratswahlen 2020 wahrscheinlich nicht nochmals antritt. Er ist dann 64-jährig und elf Jahre im Amt. Ihren Sitz wird die SP mit einem Wähleranteil zwischen 16 und 19 Prozent verteidigen können. Yvonne Feri als Kandidatin wäre naheliegend. Die 51-jährige Nationalrätin zog bei den Regierungsratswahlen 2016 gegen Franziska Roth (SVP) den Kürzeren, hat aber dank ihrer gewonnenen Bekanntheit und Bundeshaus-Erfahrung eine gute zweite Chance.
Gegen Feri spricht indes ihre Herkunft. Sie kommt wie Finanzdirektor Markus Dieth (CVP) aus Wettingen. Ohne den Aarauer Hofmann hätte der Westen des Kantons dann gar keine Vertretung mehr in der Regierung (solange man Roth als gewählte Bruggerin zählt und nicht als Neuzuzügerin von Rothrist).
Dem Profil von Urs Hofmann am nächsten kommt der 47-jährige Dieter Egli. Der SP-Fraktionschef wäre als Präsident des Polizeiverbandes prädestiniert für den Posten des Sicherheitsdirektors. Auch bei ihm ist allerdings die Konstellation der grösste Feind: Wie Feri kommt auch Egli aus Aargaus Osten (Windisch); zudem hat er es als Mann in der SP schwer, wenn die Partei ihrem Anspruch auf mehr Frauen in Führungspositionen gerecht werden will.
Darum könnte eine weitere Frau als Hofmann-Nachfolgerin ins Spiel kommen: Gabriela Suter. Die 45-jährige Aarauer Ortspartei-Präsidentin ist über ihre Stadt hinaus noch nicht so bekannt. Das könnte sich zum Beispiel ändern, wenn sich die Grossrätin als neue kantonale Parteichefin empfiehlt; Cédric Wermuth und Elisabeth Burgener treten im Juni ab.
Szenario 2: Stephan Attiger wechselt in den Ständerat
Noch mehr Schwung ins Aargauer Polit-Karussell kommt, wenn neben Bruderer auch Philipp Müller (FDP) nicht mehr zu den Ständeratswahlen antritt. Er schliesst das nicht aus. Müller ist zwar erst eine Legislatur in der kleinen Kammer, wird aber nächstes Jahr 67 und ist dann schon 17 Jahre in Bundesbern. Ein Name, der öfters fällt für die Nachfolge des Reinachers, ist Stephan Attiger. Der 50-jährige FDP-Regierungsrat aus Baden geniesst ähnlich wie Bruderer hohe Akzeptanz über seine Partei hinaus.
Wird Attiger nach Bern berufen, steigt auch der Puls in der FDP. Sie müsste zwar nicht um ihren Regierungssitz zittern, aber nach einer Rochade Attiger-Müller rasch einen Kandidaten für die darauffolgenden Regierungsratswahlen finden. Die Nationalräte Thierry Burkart oder Matthias Jauslin zieht es nach erst vier Jahren in Bern noch nicht zwingend zurück in die kantonale Politik. Eventuell Lukas Pfisterer? Der 44-jährige war elf Jahre Stadtrat in Aarau und seit letztem Jahr FDP-Parteipräsident.
Szenario 3: Auch Hürzeler ziehts nach Bern
Völlig neu gemischt werden die Karten, wenn neben Attiger auch Alex Hürzeler die Kantonsregierung Richtung Bern verlässt. Der 52-jährige SVP-Bildungsdirektor hätte bei einer Nomination für den Ständerat gute Wahlchancen. Dann müsste das Stimmvolk 2020 also gleich drei von fünf Regierungsräten neu bestimmen. Das würde, anders als bei einer Einerkandidatur, wiederum die Ost-West-Frage entspannen und möglichen Anwärterinnen wie Feri wieder Chancen eröffnen.
Ein Abgang Hürzelers könnte allerdings seine eigene Partei in Verlegenheit bringen. Der Fricktaler Regierungsrat ärgert seine Parteispitze zwar zunehmend mit seinem parteiunabhängigen Kurs. Es wäre für die SVP jedoch eine Knacknuss, ohne Hürzeler bei den nächsten Wahlen beide Sitze verteidigen zu müssen. Zumal unberechenbar ist, wie sich ihre zweite Regierungsrätin Franziska Roth bis dahin entwickelt.
Ob in der Aargauer Regierung kaum ein Stein auf dem anderen bleibt, hängt also von vielen Faktoren ab, welche weder Parteien noch Protagonisten alleine steuern können. So oder so kann sich Pascale Bruderer dies alles in Ruhe aus der Distanz anschauen. Bis dann hat sie womöglich ihren nächsten Coup bereit: eine neue Aufgabe in der Privatwirtschaft, die alle überraschen wird.
von Rolf Cavalli — az Aargauer Zeitung