Nachhaltigkeitsbericht: Jeden zweiten Tag wird im Aargau die Fläche eines Fussballfelds überbaut

Der Aargau ist für die Wirtschaft attraktiv, die Standortqualität stimmt, doch das Bruttoinlandprodukt ist unterdurchschnittlich. Sicherheit und Gesundheit sind auf hohem Niveau, die Chancengerechtigkeit aber noch nicht. Und die Aargauer Luft wurde in den letzten vier Jahren viel besser. Das sind ein paar der Erkenntnisse aus dem fünften Bericht «Nachhaltige Entwicklung im Kanton Aargau», der heute vom Kanton veröffentlicht wurde. Alle vier Jahre wird er verfasst.

«Unser heutiges Handeln darf den Handlungsspielraum der künftigen Generationen nicht einschränken», dieses Bekenntnis zur nachhaltigen Entwicklung dürfe man nicht aus den Augen verlieren, schreibt Landammann Stephan Attiger in seinem Vorwort. Davon sei der Regierungsrat überzeugt. Einmal mehr zeige der Aargau «transparent und umfassend» auf, ob er bezüglich Nachhaltigkeit auf dem richtigen Kurs ist. Das ist er. Bei der Umwelt macht der Kanton Fortschritte, in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Belangen sind die Werte konstant, Herausforderungen gibt es aber noch überall.

17 Nachhaltigkeitsziele geprüft

Innerhalb dieser drei Dimensionen – Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt – wurden insgesamt 32 Themenfelder untersucht und deren Entwicklung gemessen. Das hat der fünfte Nachhaltigkeitsbericht mit den vier vorherigen gemeinsam. Neu ist, dass er auch beschreibt, wie im Aargau die Ziele der UNO-Agenda 2030 umgesetzt werden. Das hat bisher noch kein Kanton getan. Landammann Attiger lobt: «Damit geht der Aargau pionierhaft voran und zeigt, dass er gewillt ist, seinen Beitrag zur Umsetzung der globalen Agenda 2030 zu leisten.» Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung mit ihren 169 Unterzielen sind das Kernstück der Agenda 2030, die am UNO-Sondergipfel 2015 verabschiedet wurde (Sustainable Development Goals, SDGs).

Die 17 Sustainable Development Goals (Nachhaltigkeitsziele) der UNO. Erstmals wurden sie im kantonalen Nachhaltigkeitsbericht berücksichtigt. Bild: zvg
Die 17 Sustainable Development Goals (Nachhaltigkeitsziele) der UNO. Erstmals wurden sie im kantonalen Nachhaltigkeitsbericht berücksichtigt. Bild: zvg

Die Ziele sollen bis 2030 global und von allen UNO-Mitgliedstaaten erreicht werden. Die internationalen Unterziele wurden durch den Bund für die Schweiz spezifiziert, um sie zu erreichen, sollen sich auch die Kantone und Gemeinden anstrengen.

Wie der Bericht aufzeigt, entwickeln sich im Aargau die Ziele «Nachhaltige Städte und Gemeinden» sowie «Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen» besonders positiv. Klar mehr Nachholbedarf gibt es bei «Sauberes Trinkwasser und Sanitäreinrichtungen», «Weniger Ungleichheiten» und «Massnahmen zum Klimaschutz» (vgl. weiter unten).

Grundlage für politische Vorstösse und neue Leitbilder

Der Regierungsrat versteht den Bericht als Bekenntnis des Kantons zu einer nachhaltigen Entwicklung. Er zeigt auf, wo Herausforderungen bestehen und was Nachhaltigkeit im Kanton bedeutet. Aber er schlägt keine Massnahmen vor, setzt keine neuen Ziele und legt keine verbindlichen Linien fest.

Der Bericht soll und kann als Grundlage für Neues dienen, etwa Entwicklungsleitbilder, aber auch für politische Vorstösse oder verwaltungsinterne Prozesse. Jedes Nachhaltigkeitsziel von «Keine Armut» bis «Leben unter Wasser» und alle Themen von «Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit» bis «Abfälle und einheimische Rohstoffe» werden beschrieben, bewertet und in gegenseitigen Zusammenhang gestellt.

Das Ganze ist das Werk von rund 50 Fachpersonen aus allen kantonalen Departementen, die Leitung hatte die Fachstelle Nachhaltigkeit des Bau-, Verkehr- und Umweltdepartements.

Übersichtliche Online-Version

Der Nachhaltigkeitsbericht richtet sich an alle, die sich für das Thema interessieren. Wer will, kann das 154-seitige Dokument auf der Website des Kantons herunterladen, primär soll der Bericht aber online genutzt werden. Einerseits werden dort die Daten nach Bedarf aktualisiert, das komplexe Thema ist in der digitalen Darstellung aber auch leichter zugänglich. Vor allem die Zusammenhänge der UNO-Nachhaltigkeitsziele, der einzelnen Themenfelder und der drei Überdimensionen untereinander sind dank Verknüpfungen und grafischer Elemente überschaubarer als in der analogen Version.

So steht es um fünf der 17 UNO-Nachhaltigkeitsziele im Aargau

Massnahmen zum Klimaschutz: Zwischen 2000 und 2018 sind die Treibhausgasemissionen im Aargau leicht gesunken, zum angestrebten Klimaschutzziel «Netto-Null» bis 2050 bestehen aber laut Nachhaltigkeitsbericht noch erhebliche Lücken. Der Kanton Aargau hat einen hohen Motorisierungsgrad, rund ein Drittel der Ausstösse stammt vom Strassenverkehr. Wohn- und Dienstleistungsgebäude verursachen am zweitmeisten, 2018 waren es gut 800’000 Tonnen CO2-Emissionen. Der Anteil der Ölheizungen bei Neubauten konnte aber drastisch gesenkt werden und die kantonalen Verwaltungsgebäude verursachten in den letzten Jahren ebenfalls weniger Treibhausgase. Die Auswirkungen des Klimawandels seien bereits heute deutlich spürbar und auch künftig sei im Aargau mit grösseren Hitzebelastungen, zunehmender Trockenheit, Starkniederschlägen und Überschwemmungen zu rechnen, halten die Autoren des Berichts fest. Besonders negative Auswirkungen werden bei der Gesundheit und der Biodiversität erwartet.

Nachhaltige Städte und Gemeinden: Positiver steht es um das UNO-Ziel «Nachhaltige Städte und Gemeinden». Die Siedlungen entwickeln sich nach innen, die Mietkosten nehmen leicht ab, die Fixkosten sind vergleichsweise tief. Auch die Lärmbelastung durch Strassen konnte gesenkt werden und die Menschen im Aargau sind mit dem kulturellen Angebot (in normalen Zeiten) sehr zufrieden. Seit 1999 aber wird durchschnittlich jeden zweiten Tag die Fläche eines Fussballfelds überbaut. Zugenommen haben der Alltagslärm und die nächtliche Fluglärmbelastung. Beim hindernisfreien Zugang zum ÖV besteht Handlungsbedarf, die ÖV-Erschliessung stagniert. Ebenso die Artenvielfalt im Siedlungsgebiet – auf relativ tiefem Niveau.

Weniger Ungleichheiten: Ungleiche Chancen für verschiedene Bevölkerungsgruppen und Menschen konnten im Aargau zwar verringert werden, sie zeigten sich aber immer noch, etwa zwischen der Schweizer und der ausländischen Wohnbevölkerung. So haben laut Nachhaltigkeitsbericht Migranten eine signifikant geringere Lebensqualität als schweizerische Staatsangehörige. Das zeigt sich auch an der höheren Arbeitslosigkeit dieser Bevölkerungsgruppe. Zwischen den Geschlechtern bestehen ebenfalls weiterhin Ungleichheiten im Kanton, Frauen sind in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsgremien untervertreten. Bei der Chancengerechtigkeit von Menschen mit einer Behinderung hat der Aargau Fortschritte erzielt, Herausforderungen bestehen noch etwa beim hindernisfreien Zugang zum öffentlichen Verkehr. Der gesellschaftliche Zusammenhalt sei im Aargau aber insgesamt stabil, hält der Bericht fest.

Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen: Die Aargauerinnen und Aargauer gehen nicht sehr fleissig an die Urne, bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen liegt die Beteiligung jeweils im schweizerischen Durchschnitt oder leicht darunter. Auch der Anteil jener, die sich in einer Partei oder in einem politischen Amt engagieren, ist tief, weshalb die Gemeinden Probleme bei der Besetzung von Exekutivämtern haben. Das Fach politische Bildung wurde dafür auf der Oberstufe eingeführt, was der Bericht positiv wertet. Der Staatshaushalt konnte zuletzt wieder stabilisiert werden, die Jahresrechnungen 2017 bis 2019 schlossen ausgeglichen, die Verschuldung konnte reduziert werden. Der allgemeine Verwaltungsaufwand des Kantons und der Aargauer Gemeinden liegt unter dem gesamtschweizerischen Durchschnitt. Die Anzahl der Straftaten ist im Vergleich zu den Vorjahren gesunken und bei den schweren Gewaltstraftaten lag der Kanton unter dem schweizweiten Durchschnitt. Zugenommen haben laut Bericht jedoch Betrugsdelikte und Cyberkriminalität.

Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen: Die Wasserqualität im Aargau ist grösstenteils gewährleistet, ebenso die Ressourcen. Bei zwei Dritteln der Aargauer Wasserversorgungen wird aber der gesetzliche Höchstwert des Pflanzenschutzmittels Chlorothalonil überschritten. Hauptverursacher ist die Landwirtschaft. Auch der Nitratgehalt überschreitet in einem Viertel der Trinkwasserfassungen den Anforderungswert. Die Wasserqualität in Fliessgewässern ist dafür im Aargau gut bis sehr gut und hat sich seit 2009 deutlich verbessert. Beim Hallwilersee ist laut Bericht allerdings der hohe Phosphorgehalt problematisch. Auch Mikroverunreinigungen, etwa von Medikamenten oder Haushaltschemikalien, schaden dem Lebensraum Wasser. Bis 2035 sollen 60 Prozent der Aargauer Bevölkerung an eine Abwasserreinigungsanlage angeschlossen sein, die diese Mikroverunreinigungen entfernt. Weiter werden für den Gewässerschutz die Umsetzung Auenschutzpark Aargau und das Gewässerrevitalisierungsprogramm vorangetrieben.