
Nur jede zweite Gemeinde gibt den Steuerfussabtausch weiter
Dem Aargau droht in den Gemeinden eine Welle von Steuerfuss-Erhöhungen. Dies geht aus einer Umfrage der Gemeindeammänner-Vereinigung des Kantons Aargau hervor. Darin beantragen 78 der 176 teilnehmenden Gemeinden, den Steuerfuss zu erhöhen. Genau die Hälfte will den Steuerfuss beibehalten, indem sie die drei Prozent Steuerfussabtausch an die Bevölkerung weitergibt.
Kaum zwei Handvoll Gemeinden wollen weiter runtergehen, beispielsweise Unterlunkhofen. Diese Angaben sind allerdings provisorisch, da Gemeindeversammlungen bzw. Einwohnerräte meist noch nicht darüber befunden haben bzw. Referenden möglich sind. Deshalb gibt die GAV auch nur die Prozentzahlen frei.
Erhöhen will etwa Aarau. Der Badener Stadtrat wollte deutlich hinauf, wurde aber am Mittwoch vom Einwohnerrat zurückgepfiffen. Dieser hat den neuen Steuerfuss auf 92 (bisher 95 Prozent) festgelegt, womit die Limmatstadt den Steuerfussabtausch trotz schwieriger Finanzlage weitergäbe. Auch Zofingen und Brugg wollen die drei Prozent weitergeben.
Es trifft die Schwächsten
Wir erinnern uns: Vor der Abstimmung über den neuen Finanzausgleich im Februar argumentierten dessen Gegner, dass viele Gemeinden ihren Bürgerinnen und Bürgern diese drei Prozent nicht weitergeben können, weil ihre Finanzlage so angespannt sei. Sie könnten es sich nicht leisten, sagte damals namens der Gegner Roger Fricker, Gemeindeammann von Oberhof.
Die Anträge der Gemeinden zeigen: Bei über 40 Prozent ist es so. Fricker sieht sich bestätigt: «Dass sehr viele raufgehen, ist eine Tatsache. Ich hätte mit meiner Befürchtung gern unrecht gehabt. Womöglich ist die Aufgabenverschiebung mit Steuerfussabtausch halt doch nicht so fair, wie damals gesagt wurde?» Leider treffe es die schwächsten Gemeinden am stärksten. «Immerhin», so Fricker, «war der Kanton ehrlich. Er wies die Mehrbelastungen so aus, wie sie jetzt eintreffen.»
Fricker: Referendum lohnte sich
Ihm graut vor der Zeit, wenn die vierjährigen Übergangsbeiträge für finanzschwächere Gemeinden auslaufen: «Wir müssen schon jetzt gut überlegen, wie es danach weiter geht. Dutzende Gemeinden dürften den maximalen Steuerfuss erreichen, und benötigen dann Sozialhilfe vom Kanton.»
Die Referendumsabstimmung war trotzdem nicht vergebens, ist Fricker überzeugt. Im Abstimmungskampf betonten die Befürworter nämlich, niemand wolle Gemeinden an die Wand fahren. Fricker: «Jetzt nehmen wir sie beim Wort. Unserem Referendum ist es zudem auch zu verdanken, dass der Kanton heute zugunsten der schwächeren Gemeinden etwas anders rechnet.»
Gautschy: niemand schummelt
Hatten die Gegner also recht? War das Ja zum Abtausch ein Fehler, weil jetzt in Dutzenden Gemeinden höhere Steuern resultieren? Renate Gautschy, Präsidentin der GAV, deren Gemeinde Gontenschwil selbst auch um diese 3 Prozent erhöhen muss, verneint: «Manche Gegner argumentierten, die Gemeinden könnten dann klammheimlich raufgehen. Das haben wir vehement bestritten. Wir sehen jetzt, dass diejenigen korrekt eine Steuererhöhung beantragen, wenn sie nicht um diese drei Prozent senken können. Es wird nicht geschummelt.»
Aber warum erhöhen so viele? Nützen sie einfach die günstige Situation aus? Gautschy verneint erneut: «Der Grund, warum wir dieses unseligmachende Vehikel gewählt haben, ist, damit kein Geld zwischen dem Kanton und den Gemeinden hin und her geschoben werden muss. Leider müssen nach einer jahrzehntelangen Phase mit mehrheitlichen Steuersenkungen jetzt mehr Gemeinden als je zuvor auf einen Schlag die Steuern erhöhen.»
Am Schluss entscheidet natürlich der Souverän über die Steuern. Doch was sind die Gründe für diesen Steuerschock? Es seien mehrere Faktoren, sagt GAV-Geschäftsleiter Martin Hitz:
* Die neuen Gemeindebeiträge an die familienergänzende Kinderbetreuung werden 2018 in vielen Gemeinden erstmals budgetwirksam.
* Eine erhöhte Belastung der Gemeinden resultiert mit dem neuen System der Übernahme der Schuldscheine aus den Krankenkassen-Prämien.
* Dazu kommen die Entwicklungen im Sozialwesen sowie die Gesundheitskosten.
* Die Veränderungen aus dem neuen System des Finanzausgleichs. Darin gibt es Gewinnergemeinden wie zum Beispiel Reinach, das den Steuerfuss sogar senken kann, oder Neuenhof, Wohlen, Aarburg und weitere. Es gibt aber auch Verlierergemeinden wie Oberhof im Fricktal, Attelwil, zahlreiche Gemeinden im Studenland im Bezirk Zurzach, und weitere.
Es gibt noch mehr Gründe, die die Gemeinden fordern: Aufgrund des Wechsels vom 5/4- auf das 6/3-Schulsystem (6 Jahre Primar-, drei Jahre Oberstufe) und der Zuwanderung wurden mehr Schulraum, Strassen und Leitungen nötig.
Renate Gautschy befürchtet, dass viele Gemeinden in einem Jahr noch mehr hinauf müssen, «wenn die Soziallasten weiter so steigen. Erst recht, sobald die Gemeinden für immer mehr Asylbewerber finanziell die Verantwortung bekommen». Es sei dringend zu diskutieren, welche Leistungen man anders erbringen könne, bzw. welche nicht mehr nötig seien: «Der Aargau hat 80 000 Einwohner mehr, aber 80 Millionen Franken weniger Einnahmen. Da müssen wir reagieren.» Eine Aufgabenüberprüfung sei dringend. Das gelte auch für neue kostentreibende Bestimmungen, «die Bern zunehmend über die Kantone hinweg den Gemeinden aufzudrücken versucht». (Mathias Küng)