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Erschöpfung, Wut und Hoffnungslosigkeit in den Spitälern – Regierung beschliesst neue Massnahmen  

In den Spitälern mache sich zunehmend Erschöpfung, Wut und Hoffnungslosigkeit breit. Das sagte Chef-Infektiologe Christoph Fux vom Kantonsspital Aarau (KSA) am Donnerstag an der Medienkonferenz zur Coronapandemie. Die Intensivstationen sind zu 81 Prozent ausgelastet. 38 von 47 Intensivbetten sind belegt. 15 der 38 Intensivpatienten werden wegen Covid-19 behandelt. Geht es so weiter, werde sich auf Weihnachten hin die Frage nach der Triage stellen, sagte Fux.

«Das heisst, es werden potenziell Leute sterben, weil sich andere nicht impfen liessen.»

Im Aargau kommt ein Intensivbett auf 15’000 Personen. «Wenn – wie jetzt – in fast jedem dritten Bett ein Covid-Patient liegt, dann heisst das, dass 5000 Leute diesen Platz nicht mehr haben», rechnete Fux vor. Je mehr Covid-Patienten auf den Intensivstationen liegen, desto weniger Platz hat es für alle anderen. «Wir können nicht beides machen», sagte Fux. Deshalb müssen die Spitäler bereits wieder nicht-dringende Operationen verschieben.

Maskenpflicht wird ausgeweitet

Am Mittwoch sind mit 676 neuen Coronafällen zum zweiten Mal in Folge mehr als 600 Neuansteckungen registriert worden. Der Regierungsrat hat angesichts der besorgniserregenden Entwicklung reagiert. Am Donnerstag informierte er im Grossratssaal über die neuen Coronamassnahmen, die ab Samstag, 4. Dezember um 6 Uhr gelten und so lange in Kraft bleiben wie es aus epidemiologischer Sicht notwendig ist.

Ab Samstag gilt in Restaurants, Bars und Clubs eine Maskenpflicht. Essen und Trinken ist nur noch im Sitzen erlaubt – auch draussen. In Kinos, Fitnesszentren und an Konzerten muss ebenfalls eine Maske getragen werden. Und auch an den Schulen wird die Maskenpflicht ab der 5. Klasse wieder eingeführt. In Kitas gilt sie für erwachsene Personen und wenn Kinder ab der 5. Primarklasse dabei sind.

Ungeimpfte Mitarbeitende müssen einmal pro Woche testen

Neue Massnahmen hat der Regierungsrat auch für Spitäler, Kliniken, Betreuungseinrichtungen, Pflegeheime und für die Spitex beschlossen. Mitarbeitende mit Patientenkontakt müssen dort eine Maske tragen. Wer weder geimpft noch genesen ist, muss sich künftig einmal pro Woche testen lassen. Für Besucherinnen und Besucher gilt eine Maskenpflicht. Zusätzlich müssen sie ein Zertifikat vorweisen.

Mit den neuen Massnahmen soll einerseits die Gesundheitsversorgung für alle Aargauerinnen und Aargauer sichergestellt werden, andererseits sollen noch einschneidendere Einschränkungen mit negativen Auswirkungen für Wirtschaft und Gesellschaft vermieden werden – also ein Lockdown.

Regierungsrat will keine Zertifikatspflicht an privaten Anlässen

Noch offen ist, welche Massnahmen der Bundesrat beschliesst und wann diese in Kraft treten. Der Regierungsrat geht davon aus, dass der Bundesrat am Freitag informiert. Am Mittwoch hatte die Landesregierung ihre Vorschläge in die Anhörung geschickt. Der Regierungsrat ist mit den vorgeschlagenen Massnahmen grundsätzlich einverstanden. Sie decken sich teilweise mit den Massnahmen, welche die Kantonsregierung am Mittwoch beschlossen hat.

Die vorgeschlagene Zertifikatspflicht für private Treffen in Innenräumen mit über zehn Personen lehnt der Regierungsrat aber ab. «Das würde nicht funktionieren», sagte Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati. «Man kann eine solche Pflicht weder durchsetzen, noch kontrollieren.» Ausserdem würde es dadurch vor den Festtagen zu einem Run auf die Testzentren kommen, den die Labors gar nicht stemmen könnten, befürchtet er.

Sollten weitere Massnahmen auch im Privaten notwendig sein, so würde es der Regierungsrat begrüssen, Personenzahl-Beschränkungen wiedereinzuführen.

Ein Obligatorium für regelmässige Tests an Schulen lehnt die Regierung ebenfalls ab. Aufgrund der beschränkten Laborkapazitäten sei dies aktuell nicht umsetzbar.

Impfen, Impfen, Impfen

Gallati rief die Bevölkerung dazu auf, die neu beschlossenen Massnahmen mitzutragen. Auch Händewaschen und Abstandhalten seien weiterhin wichtig. Am allerwichtigsten sei aber die Impfung. Um dies zu verdeutlichen sagte der Gesundheitsdirektor: «Erstens, man sollte sich impfen lassen. Zweitens, man sollte sich impfen lassen. Drittens, man sollte sich impfen lassen. Und viertens, man sollte die Schutzmassnahmen einhalten.»

Die Impfung wirke, hielt er fest. Seit dem 21. August waren im Aargau nur drei von 67 Covid-Patienten auf der Intensivstation doppelt geimpft. «Wir hätten absolut kein Problem in den Spitälern, wenn alle geimpft wären», so der Gesundheitsdirektor.

Fux vergleicht Coronaviren mit einem Pfeilhagel

Infektiologe Christoph Fux verglich die zirkulierenden Viren mit einem Pfeilhagel. «Ohne Impfung ist man diesen Pfeilen oder eben Viren ungeschützt ausgesetzt.» Ungeimpfte seien nicht nur mögliche Überträger des Virus, so Fux. «Sie gehen in der aktuellen Situation auch ein hohes Risiko ein.»

Anders als noch in der dritten und vierten Welle sind in der aktuellen fünften Welle die über 60-Jährigen wieder stärker betroffen. Letzte Woche gab es in Aargauer Heimen sechs Coronaausbrüche. Diese hätten aber unter Kontrolle gebracht werden können, sagte Grossrat Andre Rotzetter, der in seiner Funktion als Präsident des Verbands der Pflegeheime an der Medienkonferenz informierte. Vor einem Jahr sei dies nicht mehr möglich gewesen: «Damals wurden die Heime durchseucht.»

Booster-Impfungen in Pflegeheimen sind Mitte Dezember abgeschlossen

Aktuell laufen in den Aargauer Pflegeheimen die Booster-Impfungen. Bis am 15. Dezember sollten alle Heime mit Auffrischimpfungen versorgt worden sei. Dank der Impfung gebe es kaum noch ganz schwere Verläufe mit Todesfolge, sagte Rotzetter. Wenn doch jemand sterbe, seien es Ungeimpfte und Menschen in palliativer Pflege.

Trotzdem machen ihm die bevorstehenden Festtage Sorgen. Er appelliert an die Familien der Pflegebedürftigen, die Schutzmassnahmen einzuhalten und so nicht nur ihre Angehörigen, sondern auch alle anderen Bewohnerinnen und Bewohner zu schützen.