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Zertifikatspflicht im Grossen Rat? Laut Rechtsgutachten möglich, warum es das Parlament trotzdem nicht tut

Bei allen Anlässen in Innenräumen herrscht Zertifikatspflicht: Das gilt für Besucherinnen von Kinos, Zuschauer bei Handballspielen, Teilnehmerinnen von Kongressen oder Vereinsmitglieder an der Generalversammlung.

Nur im Grossen Rat, der am Dienstag in Aarau tagt, müssen die Politikerinnen und Politiker kein Zertifikat vorweisen. Die Sitzung des 140-köpfigen Parlaments wird mit Maskenpflicht durchgeführt – und das soll auch so bleiben, obwohl die Fallzahlen steigen.

Gleich zu Beginn der Sitzung sagte Grossratspräsident Pascal Furer (SVP), man habe ein Rechtsgutachten zu diesem Thema erstellen lassen. Das Ergebnis, so Furer: Man könnte die Zertifikatspflicht einführen, müsste aber auch Ratsmitglieder ohne Zertifikat einlassen.

Deshalb habe das Ratsbüro beschlossen, an der Maskenpflicht am Sitzplatz festzuhalten. Ablegen dürfen die Grossrätinnen und Grossräte die Maske nur, wenn sie am Redepult stehen und sprechen.

Auf Anfrage lässt Ratssekretärin Rahel Ommerli der AZ das Rechtsgutachten zur Zertifikatspflicht im Grossen Rat zukommen. Dieses wurde vom Rechtsdienst des Regierungsrats verfasst und datiert vom 22. Oktober, ist also gut einen Monat alt. Das siebenseitige Gutachten kommt zu folgendem Schluss:

Der Grosse Rat hat den Handlungsspielraum, eine Zertifikatspflicht für die Grossrats- und Kommissionssitzungen oder für den Zutritt zum Grossratsgebäude in Aarau einzuführen.

Der Rechtsdienst erachtet eine Regelung, die Ratsmitgliedern den Zugang zu Grossrats- und Kommissionssitzungen nur mit Zertifikat ermöglicht, als mit dem parlamentarischen System schwer vereinbar.

Aus formell juristischer Sicht ist eine Zertifikatspflicht möglich, dazu ist aber eine rechtliche Grundlage nötig. Dafür müsste der Grosse Rat wohl ein dringliches kantonales Gesetz erlassen.

Der Rechtsdienst hält weiter fest, dass die Ratsmitglieder nicht daran gehindert werden dürften, ihre Rechte und Pflichten wahrzunehmen. Die Ausübung eines Parlamentsmandats sei nicht mit anderen zertifikatspflichtigen Tätigkeiten gleichzusetzen. Zudem sei die Zertifikatspflicht nicht die mildeste mögliche Massnahme, um den Parlamentsbetrieb zu gewährleisten.

Rechtsdienst rät von Zertifikatspflicht ohne Alternative mit Masken ab

Das bisherige Schutzkonzept mit Maskenpflicht reiche offensichtlich aus, um die Ratsmitglieder vor einer Ansteckung zu schützen, hält der Rechtsdienst des Regierungsrats fest. Zudem müssten bei einer allfälligen Einführung der Zertifikatspflicht die Testkosten für ungeimpfte Ratsmitglieder vom Kanton übernommen werden. Der Rechtsdienst kommt zum Schluss, die Zertifikatspflicht für Ratsmitglieder ohne ergänzende Regelungen wie zum Beispiel eine Teilnahmemöglichkeit mit Maske könne nicht empfohlen werden.

Eine ähnliche Regelung kennt Solothurn, dort dürfen nur Parlamentarier mit Zertifikat an ihrem angestammten Platz im Kantonsrat sitzen. Wer nicht geimpft, getestet oder genesen ist, wurde schon in der Septembersession in einen abgetrennten Bereich hinter eine Plexiglaswand verbannt, wo sonst das Publikum sitzt. Die gleiche Regelung galt bei den letzten Solothurner Kantonsratssitzungen im November.

Oberentfelden: Gemeindeversammlung wegen hoher Zahlen abgesagt

Ebenfalls mit Maskenpflicht und Abstand hätte am Donnerstag die Gemeindeversammlung in Oberentfelden stattfinden sollen. Hätte, denn zwei Tage vor dem Termin hat der Gemeinderat bekanntgegeben, dass die Versammlung abgesagt wird. Die unsichere epidemiologische Lage könne zu einem Hemmnis für die Beteiligung an der Gemeindeversammlung führen, schreibt die Gemeinde in einer Medienmitteilung. Zudem könne die Sicherheit der Teilnehmenden aus Sicht des Gemeinderats trotz des Abstands und der Maskenpflicht nicht garantiert werden.

Oberentfelden ist die erste Aargauer Gemeinde, die ihre «Wintergmeind» absagt. Das Budget 2022 sowie allfällige weitere Traktanden werden beim ordentlichen Urnengang vom 13. Februar 2022 zur Abstimmung gebracht. Die Absage ist erstaunlich, weil Oberentfelden mit einer Durchimpfung von 95 Prozent der Bevölkerung laut Angaben des Kantons die Gemeinde mit der höchsten Impfquote im Aargau ist. Inzwischen hat der Kanton diese Angabe allerdings korrigiert, neu beträgt die Quote der mindestens einmal geimpften Personen in Oberentfelden noch 72 Prozent. Die Zahl musste aufgrund eines technischen Fehlers korrigiert werden, wie Michael Hassler, Leiter Kommunikation beim Departement Gesundheit und Soziales, erklärt. «Eine neue Auswertung der Zahlen für Gemeinden findet in einigen Wochen wieder statt.»