«Phasenweise war es hundsmiserabel»: Aargauer Getränkehändler kämpfen mit Verfallsdatum ihrer Ware

Die Durststrecke wird immer länger. Seit dem 22. Dezember sind die Restaurants geschlossen, Bars und Klubs oft noch viel länger. Grossevents gibt es seit über einem Jahr nicht mehr, kleinere Veranstaltungen sind ebenfalls seit spätestens Ende 2020 ausgesetzt. Das setzt nicht nur Wirten und Veranstaltern zu, sondern auch den Getränkehändlern. Viele von ihnen machen 50 Prozent und mehr ihres Geschäfts mit Gastronomie und Events.

«In diesen Wochen laufen Millionen von Litern Bier und Süssgetränken ab», sagt Stefan Gloor, Geschäftsleiter von Swiss Drink, dem Verband der unabhängigen Getränkehändler. Deshalb müssen die Getränkehändler die Ware zu Einstandspreisen – oder gar darunter – verkaufen oder gar wegschütten. Wir haben uns im Aargau umgehört.

Urs Schürmann, Schüwo Trink-Kultur: «Von Woche zu Woche anspruchsvoller»

«Es wird von Woche zu Woche anspruchsvoller», sagt Urs Schürmann. Er ist Geschäftsleiter von Schüwo, einem der grössten unabhängigen Getränkehändler der Schweiz mit rund 90 Mitarbeitenden und Sitz in Wohlen. Er habe bereits Tausende von Litern zu Tiefstpreisen verkauft oder gar verschenkt, erzählt Schürmann. Wegwerfen kommt für ihn nicht in Frage. Ehe es so weit kommt, wird die Ware an «Tischlein deck dich» verschenkt, eine Organisation, die Lebensmittel und Getränke gratis an Bedürftige abgibt. Auch mit «Too good to go», einer App gegen Foodwaste, sei man eine Zusammenarbeit eingegangen.

Haltbarkeitsprobleme treten vor allem beim Bier und alkoholfreien Getränken in PET auf. Gerade Light-Produkte sind oft nur sechs Monate haltbar. In Glas ist die Haltbarkeit deutlich höher. Hinzu kommt, dass in der Gastronomie oft spezifische Formate gefragt sind. Biertanks für die Zapfhahnen zum Beispiel oder 5-Deziliter-PET-Flaschen. Aber wieso ist die Situation schon jetzt so dramatisch, nach bloss drei Monaten Restaurant-Lockdown?

Im Spätsommer und Herbst spitzte sich die Pandemie-Lage zu. Einschränkungen waren absehbar, schon rund zwei Wochen vor der Restaurantschliessung kam das Betriebsverbot nach 19 Uhr. Die Schliessung war allerdings kein Schock, wie bei der ersten Welle. Schürmann sagt: «Die Wirte haben schon Wochen vor dem Lockdown aufgehört zu bestellen.»

Das grösste Problem: Es gibt keine Planungssicherheit. Eine Öffnung ist frühestens gegen Ende April in Aussicht gestellt. Gewiss ist nichts, alles hängt von der Entwicklung der Pandemie und den Entscheiden des Bundesrats ab.

Schüwo Trink-Kultur fokussiert derzeit auf das Privatkunden- und Online-Geschäft. Trotzdem: Ohne Kurzarbeit geht es nicht. Auf weitere Hilfen aber will Schürmann verzichten. Lieber zehrt er von den Reserven, als sich zu verschulden.

Paul Hartmann, Fläschehals: «Phasenweise war es hundsmiserabel»

«Hundsmiserabel» sei es phasenweise gewesen, sagt Paul Hartmann, Fläschehals-Geschäftsführer. Er hat zehn Mitarbeitende, drei Läden in Frick, Aarau und Olten und macht rund zwei Drittel seines Umsatzes in der Gastronomie- und Eventbranche. Vor allem die 5-Deziliter-PET-Flaschen wurden für ihn zum Problem. Er und seine Familie hätten abgelaufene Getränke zum Teil selbst noch konsumiert. Denn eigentlich seien alle Getränke weit über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus gut. «Und», so Hartmann, «wir haben zwischen 3000 und 4000 Flaschen an Kunden verschenkt.»

Das kostet mehrere tausend Franken. Aber so will er es gar nicht betrachten: «Die Kunden in unseren Läden hatten wirklich grosse Freude. Man kann es also auch als Kundenbindungsmassnahme oder Werbung anschauen.» Schwarzmalen liegt Hartmann nicht, trotz schwieriger Zeiten.

Unterdessen habe man die Situation im Griff. Auch weil «die Lager komplett heruntergefahren» sind. Und der Verkauf in den Läden läuft, ja, da verzeichnet er deutliches Wachstum. «Ich hätte Freude, wenn die Hälfte der neuen Kunden bleiben würde», sagt er. Denn gerade in Frick profitiert er auch von geschlossenen Grenzen.

Auch Hartmann ist froh um das Instrument der Kurzarbeit. Denn seine Chauffeure sind wegen der geschlossenen Beizen praktisch arbeitslos, können höchstens zwischendurch mal in den Läden aushelfen. Dank der vorhandenen Reserven kann aber auch Hartmann sagen: «Wir werden diese Krise überleben.»

Keine Selbstverständlichkeit, wie er jüngst im Gespräch mit dem Chauffeur eines Lieferanten vernahm. Sicher zehn Getränkehändler, die eine ähnliche Grösse hatten, wie er mit seinem Unternehmen, hätten allein in der Deutschschweiz dichtgemacht. «Das macht einen schon sehr betroffen», sagt Hartmann.

Felix Meier, Brauerei Müller: «Zuwachs bei Privatkunden macht Gastroausfälle nicht wett»

Felix Meier, Geschäftsführer der Brauerei Müller in Baden, hat Glück im Unglück. «Wir haben nicht viel Platz bei uns, deshalb ist unser Lager nicht allzu gross», sagt er. Das hilft, die Probleme mit ablaufenden Getränken im Rahmen zu halten. Man habe ein paar Paletten mit 3-Deziliter-Getränken an soziale Institution zum Einkaufspreis abgegeben.

Die Brauerei Müller verkauft zum einen selbstgebrautes Bier, zum anderen Getränke von anderen Herstellern. Im letzten Jahr brach der Umsatz um rund 20 Prozent ein. Und das Braujahr endete Ende September. Weil man die Restaurant-Schliessungen antizipierte. Jetzt läuft die Produktion etwa auf einem Drittel des Normalbetriebes, statt alle drei Tage wird einmal wöchentlich abgefüllt.

Normalerweise macht die Brauerei rund zwei Drittel ihres Geschäfts mit Gastronomiebetrieben. Seit der Schliessung habe es eine Verschiebung gegeben, der Verkauf an Privatkunden und in den Lebensmitteleinzelhandelsverkauf habe zugenommen. Aber: «Wir sind strategisch auf Gastropartner und Events ausgerichtet, die Zunahme bei Privatkunden und Einzelhandel machen die Beträge, die wegfallen, nicht wett.»

Feldschlösschen, der grösste Getränkehändler der Schweiz

Entsorgung weitgehend vermieden

Geschlossene Restaurants und abgesagte Events machen auch Feldschlösschen das Leben schwer. Der Bier-Riese beliefert rund 25’000 Kunden in der Gastronomie und macht rund die Hälfte des Umsatzes in diesem Bereich. Trotzdem habe man es bisher weitgehend vermeiden können, Getränke zu entsorgen, wie Pressesprecherin Gaby Gerber auf Anfrage schreibt. Dank Szenarienplanung und rollender Planung in der Produktion. Zudem betreibe man aktives Bestandsmanagement und gebe nichtalkoholische Getränke, die das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht hätten, an soziale Institutionen ab.