Pneuwechsel-Zeit: Was die Zementfabrik mit den ausgedienten Autoreifen macht

Aus den Augen, aus dem Sinn – so dürfte es vielen Personen gehen, die in diesem Monat beim eigenen Auto die Winterreifen montieren und die ausgedienten Sommerpneus dem Garagisten überlassen. Aber was geschieht eigentlich mit den alten Pneus, die im nächsten Frühling nicht mehr verwendet werden können? Eine Antwort gibt es in Möriken-Wildegg. Dort fahren täglich bis zu 15 Lastwagen voller Reifen auf den Vorplatz der Jura Cement Fabriken AG vor. Das sind rund 100 bis 120 Tonnen pro Tag.

Der Berg der nicht mehr brauchbaren Pneus, die sich vor einem langen Förderband stapeln, ist beeindruckend. Im Oktober gibt es aber nicht grössere Mengen als sonst, wie Werkleiter Marcel Bieri sagt:

«Wir schauen, dass wir über das Jahr verteilt immer etwa gleich viel Ware bekommen. Die Firmen, die Pneus anliefern, halten deswegen zum Teil auch Ladungen zurück.»

Denn: Wo früher Kohle zum Einsatz kam, werden heute alte Autoreifen verwendet. Sie dienen in erster Linie als Energielieferant.

Werkleiter Marcel Bieri vor dem Drehrohrofen, dieser wird bis 1450 Grad erhitzt.

Werkleiter Marcel Bieri vor dem Drehrohrofen, dieser wird bis 1450 Grad erhitzt.

Alex Spichale / AAR

Die Verbrennung der rund 20 Kilo schweren Kautschukringe kann problemlos einen Teil des Energiebedarfs für die Herstellung des Zements abdecken. «Pneus sind ein sehr guter Energielieferant, und es wird damit mehr als das gleiche Gewicht an Kohle ersetzt», sagt Bieri. Ein Anteil des Reifens findet zudem eine Wiederverwendung. Denn, um Zement herzustellen, braucht es auch Eisen. Dieses ist neben Kautschuk im Pneu in seiner Karkasse enthalten. Eisenoxid ist im Rohmaterial aus dem Steinbruch der Jura Cement in Auenstein und Veltheim zu wenig vorhanden. Mit den Pneus kann dieser Mangel während des Herstellungsprozesses zumindest teilweise korrigiert werden.

Der grosse Haufen: Aber Pneus werden danach auf dem Förderband einzeln in Richtung Ofen transportiert.

Der grosse Haufen: Aber Pneus werden danach auf dem Förderband einzeln in Richtung Ofen transportiert.

Alex Spichale / AAR

Es braucht einen Kran, um die Reifen in kleinen Mengen zum 100 Meter langen Förderband zu transportieren. Dieses führt in Richtung Herzstück der Zementfabrik: Dem sogenannten Drehrohrofen. «Man stellt sich in der Regel einen Ofen etwas anders vor», sagt Bieri und zeigt auf ein riesiges sich drehendes Rohr. Rund 25000 Tonnen Pneus werden jährlich in den Prozess eingespeist, um den Drehrohrofen sowie das gesamte System zu erhitzen. Der Zementklinker wird nämlich bei 1450 Grad Celsius gebrannt. Dieser Klinker wird dann zu Zement, einem grauen Pulver, gemahlen.

Das Förderband ist rund 100 Meter lang.

Das Förderband ist rund 100 Meter lang.

Alex Spichale / AAR

Andere Verwertungen für alte Reifen sind rar, da sie meistens aufwendig und kostspielig sind. Von einem eigentlichen Recycling, womit aus einem alten Pneu ein neuer Reifen entstehen würde, ist die Forschung noch weit entfernt, wie Bieri sagt. Einen Teil der Pneus gehe aber ins Ausland und werde dort weiterverwendet. Dort würden bezüglich Tiefe des Profils bei Autoreifen andere Bestimmungen gelten. Die Ausfuhr ins Ausland sei aber nicht mehr so attraktiv. Denn:

«In China und anderswo werden Pneus derart billig produziert, dass frühere Abnehmer lieber neue besorgen.»

Herzstück der Firma: Der Drehrohrofen.

Herzstück der Firma: Der Drehrohrofen.

Alex Spichale / AAR

Als Energieträger dienen Autoreifen bei der Jura Cement Fabriken AG in Wildegg bereits seit 1990. Die Fabrik selbst besteht seit 1892. 850000 Tonnen Zement werden jährlich hergestellt. Grösstenteils wird das Material als Bulk an Unternehmen ausgeliefert, die es zu Beton weiterverarbeiten. Ein kleiner Teil wird in Säcken abgepackt verkauft. «Wir sehen unser Unternehmen auch als Dienstleister für die Gesellschaft», sagt Monika Ulrich, Kommunikationsverantwortliche der Jura Cement. Dies gelte in besonderem Masse für die Verwertung der Autoreifen und anderen Abfällen. Denn hier entstehen aus Abfall, der sonst deponiert oder einfach exportiert wird, wieder neue lokale Produkte.