Provokante Plastik: Gemeinde lässt «Glockengeläut Holten» wieder entfernen

Heiliger Bimbam, dürfte sich Regine Leutwyler, Gemeindeammann von Gipf-Oberfrick, gedacht haben, als sie vom Kunstwerk erfuhr, das unverhofft auf dem Rasen vor dem Gemeindehaus stand. Denn die Glockengeschichte von und mit Nancy Holten in der Hauptrolle schien nun doch langsam ausgestanden, die Glocken schienen endgültig verhallt zu sein.

Und nun das: Am Freitagabend fährt in Gipf-Oberfrick ein «grosser Lastwagen» vor, wie ein Augenzeuge berichtet, der namentlich nicht genannt sein will. Der Lastwagen hält vis-à-vis dem Gemeindehaus vor dem Coiffeurgeschäft Meng. Mehrere Personen steigen aus und laden mithilfe des fest montierten Krans ein voluminöses Paket ab, man kann auch sagen: Ein verspätetes (und temporär gedachtes) Weihnachtsgeschenk an die Gemeinde.

Die Arbeiter packen das Mitgebrachte aus – und zum Vorschein kommt eine ganz spezielle Eisenplastik, eine «Heiliger Bimbam»-Skulptur, wenn man so will. Sie zeigt drei Glockenschwengel in unterschiedlicher Grösse und daneben eine – im Vergleich – doch recht kleine Kuhglocke. «Glockengeläut ‹Holten›» steht darüber. Angebracht ist auch eine Plakette zum Künstler. Gefertigt hat die Skulptur Jürg Dutly aus Hägglingen. «Künstler und Sammler» sei er, steht auf einer Visitenkarte, die er abgibt.

Als Regine Leutwyler am Wochenende von dem Geschenk erfährt, ist für sie klar: Das Kunstwerk muss unverzüglich wieder weg. Sie gibt deshalb am Montag den Auftrag ans Bauamt, das Kunstwerk zu entfernen und so lange im Werkhof zu lagern, bis es abgeholt wird.

Das erweist sich dann aber als gar nicht so einfach: Die Skulptur ist so schwer, dass sie ohne Kran oder Stapler nicht vom Fleck und auf das Gemeindefahrzeug gehievt werden kann. Also organisiert das Bauamt kurzerhand einen Kran und befördert das Kunstwerk am Montagnachmittag, wie geheissen, in den Werkhof.

«Wir entsorgen es nicht, sondern versorgen es nur», hält Leutwyler gegenüber der AZ fest. Dass sie über die Aktion, sagen wir es einmal vorsichtig: nicht gerade begeistert ist, hört man ihrer Stimme an. Andere Gipf-Oberfricker und auswärtige Schaulustige dagegen nehmen es mit Humor. Das Kunstwerk ist am Wochenende viel beachtet und löst bei manch einem ein Schmunzeln oder, je nach Bimbam-Affinität, ein Kopfschütteln aus.

Man habe die Regionalpolizei Oberes Fricktal informiert, dass das Kunstwerk weggestellt werde, sagt Leutwyler. Nun muss selbst Frau Gemeindeammann etwas schmunzeln. «Nicht, dass es am Schluss heisst, wir haben die Skulptur gestohlen.»

Sollte die Aktion Kosten verursachen, will die Gemeinde diese dem Künstler in Rechnung stellen. Vor allem aber hat Regine Leutwyler einen grossen Wunsch an den Künstler: «Dass er die Skulptur wieder bei uns abholt.»

Künstler holt Skulptur wieder ab
Das werde er auch, sagt Jürg Dutly auf Nachfrage der AZ. Dutly, der sich auf seiner privaten Homepage «Der Wahl-Emmentaler» nennt und der neben seiner künstlerischen Tätigkeit in Bergdietikon ein Maschinenbauunternehmen betreibt, ist erstaunt, dass die Gemeinde das Kunstwerk einfach so abtransportiert hat, ohne mit ihm Kontakt aufzunehmen.

Er habe die Skulptur zwar schwarz hingestellt, räumt er ein. Doch schweizweit sei es üblich, den Künstler in solchen Fällen zu benachrichtigen und eine Frist für den Abtransport einzuräumen.

Der Künstler, der in Hägglingen wohnt, kehrt den Spiess denn auch kurzerhand um. Sollte die Gemeinde ihm den Transport in den Werkhof in Rechnung stellen, will er seinerseits rechtliche Schritte prüfen. Wenn nicht, «so ist es für mich erledigt».

Dass es der Gemeinde nicht ganz einfach gefallen ist, die Plastik zu bewegen, ist für Dutly klar: «Sie wiegt gegen eine Tonne.» Es gebe also nur zwei Möglichkeiten, sie zu transportieren. Per Kran «oder indem man sie auseinanderschraubt». Die Gemeinde entschied sich, wohlweislich, für die erste Variante.

Gefertigt hat Dutly die Skulptur im letzten August – nicht für Gipf-Oberfrick, wie er betont, sondern für die grosse Kunstausstellung «Art Walk» in Bremgarten, wo sie im September mehrere Wochen zu sehen war – und dabei auf viel Resonanz stiess. Dass die Stahlplastik nun den Weg doch noch nach Gipf-Oberfrick gefunden hat, liegt laut Dutly daran, dass Nancy Holten im Dezember in Sachen Kirchenglocken wieder landesweit von sich reden machte.

Die Neu-Schweizerin und Glockengegnerin kommentierte da nämlich einen Bundesgerichtsentscheid in einem Zürcher Glockenstreit – und sie tat es, wie stets, pointiert und auf allen Kanälen.

Holten nimmt es mit Humor
Nancy Holten selber weiss bis zum Anruf der AZ nichts vom temporären Glockenglück. Sie sei im letzten Jahr zwar mehrmals auf die Skulptur angesprochen worden, sagt sie. «Dass sie nun kurzzeitig in Gipf-Oberfrick stand, wusste ich nicht.» Sie lacht. «Jetzt verstehe ich auch, weshalb mich in den letzten Tagen gleich mehrere Leute über Facebook auf die Skulptur angesprochen haben.»

Sie nimmt die Aktion mit Humor. «Wenn sich jemand die Mühe macht, mir ein Kunstwerk zu widmen, ist das doch eine grosse Ehre», sagt sie, lacht. «Längst nicht jeder wird mit einer Skulptur verewigt.» Dass es dem Künstler kaum darum ging, ihr ein Denkmal zu setzen, nimmt sie gelassen.

«Ich engagiere mich in allem, was ich tue, aus Überzeugung. Dass dies nicht jedem passt, ist klar und das nehme ich auch in Kauf.» Schade findet sie indes eines: das kurze Gastspiel des «Glockengeläutes ‹Holten›» in Gipf-Oberfrick verpasst zu haben. «Ich hätte mich sicher amüsiert.»

von Thomas Wehrli — az Aargauer Zeitung