Psychiatrische Tageskliniken im Aargau können nicht kostendeckend arbeiten – Leistungsabbau droht

Der Tag in der Tagesklinik in Lenzburg beginnt um 8.30 Uhr. Rund zehn Männer sitzen an drei Tischen, die meisten von ihnen sind jung. Ein paar haben eine Schale Müesli oder ein Stück Brot mit Käse vor sich, andere nur eine Tasse Kaffee. Unter der Leitung einer Psychologin findet die Morgenrunde statt.

Zu Beginn führt sie eine Achtsamkeitsübung durch, danach erzählt jeder Einzelne, wie es ihm geht und wie es ihm am Vortag ergangen ist. Den meisten geht es gut an diesem Morgen. Nur einer ist schlecht gelaunt: «Ich merke, wie mir alles auf die Nerven geht. Und ich habe Suchtdruck.»

Fünf Tageskliniken im Aargau
Im Kanton Aargau gibt es fünf Tageskliniken. Drei davon gehören zu den Psychiatrischen Diensten Aargau (PDAG), sie befinden sich in Aarau, Baden und Windisch.

Eine gehört zur Klinik Barmelweid. Eine ist in Lenzburg. Sie gehört zur gemeinnützigen Klinik im Hasel AG. Tageskliniken füllen die Schnittstelle zwischen stationären und ambulanten Behandlungen von psychischen Erkrankungen. Im Gegensatz zu einem stationären Klinikaufenthalt sind die Teilnehmer nicht rund um die Uhr in einem geschützten Rahmen. Die Nacht verbringen sie zu Hause. So sind sie jeden Tag mit ihrem Alltag konfrontiert.

Die Tagesklinik in Lenzburg ist auf Suchttherapie spezialisiert. «Nach der geschützten Zeit in einer Klinik kann es leicht sein, dass Menschen wieder in alte Muster zurückfallen», sagt Thomas Lüddeckens, CEO und Chefarzt der Klinik im Hasel AG. Laut Lüddeckens ist das Konzept der Tagesklinik sehr gut dazu geeignet, langfristige Therapieerfolge zu sichern. Die Patienten sind mit ihrem üblichen Alltag konfrontiert und können üben, dem Suchtdruck standzuhalten und schwierige Situationen ohne Suchtmittel zu meistern.

Kosten sind nicht gedeckt
Seit 2016 müssen Tageskliniken im Aargau mit immer weniger Geld auskommen. Die Leistungen wurden seit dem Jahr 2016 um 36,6 Prozent gekürzt. Die Tageskliniken schmerzt die Kürzung deshalb, weil sie ohne finanzielle Unterstützung vom Kanton nicht kostendeckend arbeiten können. Ein Patient, der sich in einer Tagesklinik behandeln lässt, absolviert eine ambulante Therapie. Bei ambulanten Therapien übernehmen die Krankenversicherungen die Kosten.

In einer Tagesklinik wird aber mehr für die Patienten geleistet als in einer normalen ambulanten Behandlung. Deshalb reichen die Versicherungsbeiträge der Patienten nicht aus, um sämtliche Kosten der Tagesklinik zu decken. Die Betreiber der Kliniken sind deshalb auf Beiträge der Kantone angewiesen, damit sie finanziell nicht in Schieflage geraten.

720 000 Franken weniger
Doch diese Beiträge der Kantone an die Tageskliniken sind freiwillig. «Grundsätzlich ist der Kanton nicht dazu verpflichtet, sich an den Leistungen von Tageskliniken finanziell zu beteiligen», sagt Barbara Hürlimann, die Leiterin der kantonalen Abteilung Gesundheit.

Derzeit würden Tageskliniken vom Kanton über die Finanzierung gemeinwirtschaftlicher Leistungen mitfinanziert. «Für das Jahr 2018 wurden knapp drei Millionen Franken budgetiert», sagt Hürlimann. Die psychiatrischen Kliniken seien bereit gewesen, den Tagesklinikansatz für die Jahre 2018 und 2019 um einen Viertel zu kürzen, um die Sparbemühungen des Kantons mitzutragen.

Eine Task Force der Leistungserbringer aus dem Gesundheitswesen arbeitete Sofortmassnahmen aus, um in den Jahren 2018 und 2019 insgesamt 5,2 Millionen Franken einsparen zu können. Bei den psychiatrischen Kliniken werden mit den Massnahmen 2,15 Millionen Franken im ambulanten Sektor eingespart, 720 000 Franken davon bei den Tageskliniken. Bereits 2017 wurde im Vergleich zu 2016 gespart.

Die wichtigsten Angebote streichen
«Wenn das so weitergeht», sagt Lüddeckens, «dann können wir immer weniger Plätze anbieten. Im schlimmsten Fall müssten wir sogar die Klinik schliessen.» Er ist nicht der Einzige, der sich Sorgen macht. Auch Jean-François Andrey, CEO der PDAG, sieht die Sparmassnahmen kritisch. «Die Kürzungen machen das Geschäftsmodell der Tagesklinik im schlimmsten Fall unmöglich, weil die wichtigsten Angebote gestrichen werden müssen.»

Wenn der Aargau Tageskliniken schliessen und damit das ambulante Angebot zurückschrauben müsste, dann wäre das laut Andrey ein «dramatischer Rückschritt in der modernen und hochstehenden qualitativen Versorgung im Kanton. Der Aargau wäre im interkantonalen Wettbewerb nicht mehr konkurrenzfähig.»

Weniger Plätze kosten dem Kanton mehr
Andrey und Lüddeckens sind sich einig: Weniger – oder gar keine – Plätze in Tageskliniken würden den Kanton langfristig mehr kosten. Zum einen, weil es zu mehr stationären Aufenthalten kommt. Zum anderen, weil psychische Probleme nicht erfolgreich behandelt werden können und höhere Sozialkosten nach sich ziehen.

Diese Meinung teilt Barbara Hürlimann: «Die Verkleinerung der Angebote führt nicht zu einer finanziellen Entlastung beim Kanton, sondern es ist von einer Zunahme an teuren stationären Behandlungen auszugehen.»

Hoffen auf das Jahr 2020
François Andrey und Thomas Lüddeckens hoffen auf das Jahr 2020. Dann tritt im Aargau das totalrevidierte Spitalgesetz in Kraft. Nach aktuellem Stand soll eine Bestimmung eingeführt werden, die es dem Kanton «unter gewissen Voraussetzungen erlauben wird, ambulante Angebote in der Psychiatrie finanziell zu unterstützen», sagt Hürlimann.

Nur deshalb haben zum Beispiel die PDAG beschlossen, ihre Angebote im Bereich der Tageskliniken trotz der drohenden Verluste aufrechtzuerhalten und die Sparmassnahmen nicht zu torpedieren.

Dem Kanton, so betont Barbara Hürlimann, «ist es äusserst wichtig, dass auf dem Kantonsgebiet auch in Zukunft Tageskliniken ihr Angebot aufrechterhalten». Schliesslich würden die Kliniken einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die vom Kanton angestrebte Verlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich voranzutreiben.

Nun hänge es vom politischen Willen ab, ob der Kanton ab 2020 die Tageskliniken auf einer gesetzlichen Grundlage mit Beträgen unterstützt.