Sie sind hier: Home > Aargau > Mein-Arzt-Konkurs: Angestellte muss 23’000 Franken Löhne abschreiben – Gründer schreibt Buch über «grössten Coronabetrug der Schweiz»

Mein-Arzt-Konkurs: Angestellte muss 23’000 Franken Löhne abschreiben – Gründer schreibt Buch über «grössten Coronabetrug der Schweiz»

Ende August 2020 schlossen die Mein-Arzt-Praxen in Niederrohrdorf und Wettingen Knall auf Fall, so wie viele weitere der Praxiskette in der ganzen Schweiz. Auslöser waren leere Kassen in den einzelnen Betrieben der Kette, die ein 47-jähriger Österreicher aufgebaut hatte.

Nun hat das Konkursamt Aargau das Konkursverfahren der Mein Arzt in Niederrohrdorf GmbH eingestellt. Grund sind fehlende finanzielle Mittel, um das Verfahren durchzuführen. Gläubiger bleiben also auf ihren Forderungen sitzen. Das Handelsgericht hatte das Konkursverfahren im März eröffnet, so wie zwei weitere zu den GmbHs der Mein-Arzt-Hauspraxen in Wettingen und Bad Zurzach. Das Konkursverfahren der Wettinger GmbH ist mangels Aktiven bereits im Juni eingestellt worden. Das zur GmbH in Bad Zurzach ist noch nicht abgeschlossen.

3. September 2020: Die Mein-Arzt-Praxis in Niederrohrdorf ist da schon seit wenigen Tagen geschlossen. 

«Ich habe 23’000 Franken verloren», sagte eine Frau, die insgesamt anderthalb Jahren lang in den Praxen in Niederrohrdorf und Wettingen als medizinische Praxisangestellte tätig war. Es handle sich um drei Löhne sowie Ferienguthaben und Spesen.

Nach dem grossen Knall in jenem August vernetzten sich ehemalige Angestellte der Mein-Arzt-GmbHs schnell untereinander in einem Whatsapp-Chat. Die wenigsten von ihnen hätten, dank schneller Betreibungen, noch Geld erhalten, erzählt die Angestellte. Und selbst diese hätten nur einige hundert bis wenige tausend Franken erhalten. «Man muss sich damit abfinden, dass die Löhne weg sind», stellt sie konsterniert fest.

«Grosser Coronabetrug der Schweiz»

Über ihren ehemaligen Chef, den 47-jährigen Österreicher, findet sie keine guten Worte: «Die ehemaligen Angestellten sind sauer auf ihn.» Zuletzt habe er sogar die Frechheit besessen, ihnen eine Whatsapp-Nachricht zu schicken, in der er Werbung für sein Buch «Mein Arzt – die 765 Tage» machte.

Auf Youtube bezeichnet er die Geschichte als «den grössten Coronabetrug der Schweiz/Europas». Sein Start-up sei 2018 in der Schweiz «wie eine Rakete gestartet und 2020 im All abgeschossen» worden. Das Echo ist allerdings bescheiden: Auf Youtube zählt er nur acht Abonnenten.

Der «Mein Arzt Schweiz»-Eingang im Glattpark in Opfikon ZH.

Gefängnisstrafe für den Gründer der Praxiskette

Im Juni 2020 hatte das Bezirksgericht Bülach den Mann wegen mehrfacher Veruntreuung und mehrfachen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von 36 Monaten verurteilt, zehn Monate davon unbedingt. Diese Zeit musste er im Gefängnis absitzen.

Der Mann hatte reihenweise Praxen gekauft, für die sich kein Nachfolger finden liess, und stellte Hausärzte an. Seine Zentrale in Opfikon sorgte für Einkäufe und Administratives. Ende 2019 war diese Firma bereits überschuldet. Er hatte sich selbst Kredite gewährt, mit denen er sich Luxusgüter leistete. Der Strudel der Pandemie zog sein Firmenkonstrukt weiter in den Abgrund. Dank 22 Coronakrediten erhielt er zwar 3,5 Millionen Franken – aber nur dank frisierter Zahlen, wie etwa die NZZ berichtete. Mit wahren Angaben wären 690’000 Franken möglich gewesen.

In Italien untergetaucht und verhaftet

«Ich wollte nur eine Katastrophe abwenden. Ich wollte niemandem schaden», sagte er vor Gericht. Im ersten Lockdown seien schlagartig drei Viertel der Patienten seiner Hausarzt-Praxiskette weggeblieben. Als sein Unternehmen kollabierte, tauchte er unter. In Italien wurde er im Oktober 2020 verhaftet.

Bis zum Prozess sass er im Gefängnis. Dass er die Kredite nicht für private Zwecke verwendete, beurteilte das Gericht als strafrelativierend. Das Geld sei ausschliesslich in die Praxiskette geflossen. «Er versuchte, die Hausarztpraxen zu retten. Die Methode war jedoch unlauter», sagte der Richter bei der Urteilseröffnung laut SRF.

Fünf Jahre Landesverweis

Ende Juli 2021, wenige Wochen nach der Gerichtsverhandlung, hatte er seine Gefängnisstrafe abgesessen. Wieder auf freiem Fuss, musste er die Schweiz verlassen, weil das Gericht auch einen Landesverweis von fünf Jahren gegen ihn ausgesprochen hat.

Das Geständnis des Österreichers ermöglichte ein abgekürztes Verfahren und einen schnellen Prozess. Auf seiner Website schreibt er: «Mittlerweile hab ich es durch einen Deal mit dem Staatsanwalt nach zehn Monaten in die Freiheit geschafft.»

Zum Geständnis scheint er eine gewisse kritische Distanz eingenommen zu haben. So kündigt er sein zweites Buch «Mein Arzt, das Geständnis» auf seiner Website mit folgenden Worten an:

«Es zeigt die Lüge, die hinter dem Urteil steckt, und dass es für den Schaden an meinen Firmen unbedingt einen Schuldigen brauchte. Andernfalls hätte man mich mit Millionen entschädigen müssen.»