Richter zum Angeklagten: «Sie kommen mir bekannt vor!»

Wenn ein Familienvater seinen Lebensunterhalt als Berufsfahrer bestreitet und wegen eines Verkehrsdelikts vor Gericht antraben muss, so würde man normalerweise davon ausgehen, dass er sich am Verhandlungstag verkehrstechnisch besonders korrekt verhält.

Nicht so Goran (Name geändert) am vergangenen Mittwoch in Lenzburg. Auf dem Weg zur Verhandlung chauffierte der 38-jährige Bosnier seinen Privatwagen schnurstracks in die Fahrverbotszone hinter dem Bezirksgericht und stellte das Fahrzeug auf einem der gelb markierten Parkfelder direkt unter der Parkverbotstafel «Ausgenommen Personal Bezirksgebäude». Doch Gorans Freude an der äusserst praktischen Parkgelegenheit währte nicht lange. Kaum war er ausgestiegen, wurde er auch schon von einem unmittelbar nach ihm eintreffenden Herrn freundlich, aber bestimmt auf seine Verfehlung hingewiesen und fortgeschickt.

Keine guten Karten

Kurze Zeit später eröffnete Gerichtspräsident Daniel Aeschbach die Verhandlung mit einem ungewöhnlichen Satz – und nicht ohne sich ein leichtes Grinsen verkneifen zu können: «Beschuldigter, Sie kommen mir so bekannt vor! Das waren doch Sie, der mir vorhin meinen reservierten Parkplatz weggeschnappt hat, der sich für Sie auch noch im Fahrverbot befindet? Das ist wahrlich nicht gerade der Eindruck, den man erwecken sollte, wenn man wegen Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz vor Gericht erscheinen muss. Erst recht nicht, wenn man bereits früher mit dem Strassenverkehrsgesetz in Konflikt geraten ist.»

Und so waren die Karten für den gelernten Verkäufer Goran von Anfang an schlecht gemischt, als er von Gerichtspräsident Daniel Aeschbach zum Sachverhalt betreffend eines Strafbefehls befragt wurde, gegen den Goran Einsprache erhoben hatte.

Keine Bewilligung für Anhänger

Der Vorwurf: Führen eines Fahrzeugs ohne den erforderlichen Führerausweis und Verwenden eines Telefons ohne Freisprechanlage während der Fahrt. Konkret: Goran war am ersten Arbeitstag von der Polizei erwischt worden, wie er am Steuer des 3,5-Tönners mit dem Handy am Ohr unterwegs war. Dabei stellten die Beamten fest, dass Goran gar nicht über die nötige Ausweiskategorie verfügte, um den Kleinlastwagen zusammen mit einem Anhänger lenken zu dürfen. Gegen den resultierenden Strafbefehl erhob Goran Einsprache, weil er zum Zeitpunkt der Kontrolle überzeugt gewesen war, nach einer entsprechenden Einzahlung im Besitz eines Lehrfahrausweises für die erforderliche Kategorie BE zu sein.

Wegen Überlassen eines Fahrzeuges ohne den erforderlichen Führerausweis musste auch Gorans Chef Roberto (Name geändert) als Angeklagter antraben. Er hatte Goran mit dem Anhängerzug losgeschickt.

Happige Busse von 2600 Franken

Die Begründungen der Einsprache von Goran und seinem Vorgesetzten, sie seien guten Glaubens davon ausgegangen, dass nach Einzahlung des entsprechenden Betrags eine Lehrfahrerlaubnis vorliege, liess Gerichtspräsident Aeschbach nicht gelten. Auch die zusätzliche Strategie des Verteidigers, der beim ursprünglichen Strafbefehl einen Verfahrensfehler ausgemacht haben wollte, verfing nicht. Aeschbach sprach Goran und Roberto schuldig und ging bei beiden sogar noch über die Anträge der Staatsanwaltschaft hinaus. Für Goran bedeutet dies: 2600 Franken Busse und eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen à 130 Franken bedingt auf drei Jahre. (Theo Uhlir/AZ)