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Weil das Naturschutzgebiet zu verschwinden droht: Deshalb muss die Stille Reuss nun entschlammt werden

Am vergangenen Donnerstagmorgen machte die Stille Reuss ihrem Namen alle Ehre. Es war ruhig auf dem Gewässer im Rottenschwiler Naturschutzgebiet. Hin und wieder zogen die siebenköpfige Schwanenfamilie oder eine Schnatterente vorbei. Am Ufer ruhte eine «Seekuh» – eine grosse, schwere Maschine, die auf ihren Einsatz auf dem Altarm Stille Reuss wartete.

Ihre Aufgabe: Sie mäht Wasserpflanzen und hilft mit, die überhandnehmende Schwimmblattvegetation zu mindern. Denn was hier von aussen nach florierender, gesunder Biodiversität eines Naturschutzgebiets aussieht, ist eigentlich der Grund, weshalb seit einigen Jahren seltene Arten wie die Seemuschel sterben.

Die wuchernden Wasserpflanzen und das Gewächs am Uferrand haben dazu geführt, dass die Stille Reuss, besonders im nördlichen Teil in der Nähe des Zieglerhauses, in den letzten Jahrzehnten stark verlandet ist. Auf dem Grund des Gewässers hat sich Faulschlamm angesammelt, der den für die Organismen überlebenswichtigen Sauerstoff schwinden lässt.

Deshalb hat die Abteilung Landschaft und Gewässer vom Departement Bau, Verkehr und Umwelt des Kantons Aargau ein Projekt gestartet. «Renaturierung und Aufwertung Altarm Stille Reuss» heisst dieses und soll den Altarm, der Teil des nationalen Auenobjekts «Still Rüss-Rickenbach» ist, aufwerten.

Ohne Eingriff würde die Wasserfläche ganz verschwinden

Unterdessen ist in Rottenschwil nebst der «Seekuh» auch ein grosser Saugbagger im Einsatz. Das 18 Tonnen schwere Gerät entfernt den Faulschlamm und kleinere Pflanzenteile und pumpt sie mit einem Schlauchsystem an Land. Dort werden diese Bodensedimente in sogenannten Geotubes zur Abtrocknung gelagert, das Wasser fliesst dann über das Gefälle selbstständig wieder zurück in den See.

Verantwortlicher für dieses Projekt ist Josef Fischer. Der Biologe und Geschäftsführer der Stiftung Reusstal beobachtet die Verlandung in Rottenschwil schon lange und weiss auch, wie dringend die Renaturierung trotz ihrer Risiken ist. «Der Eingriff mit dem Saugbagger bedeutet eine Störung für die Tiere, die hier unter Wasser leben, und es werden deshalb sicher auch ein paar sterben», erzählt er.

«Aber wenn man jetzt nichts unternimmt, würde die Wasserfläche verschwinden und die Stille Reuss irgendwann zu einem Moorboden werden. Dann hätten die Organismen hier gar keinen Lebensraum mehr.» Hinzu komme, dass solche Moorböden grosse Mengen an CO2 freisetzen.

Josef Fischer, Biologe und Geschäftsführer der Stiftung Reusstal, zeigt, wie weit die Verlandung der Stillen Reuss bereits fortgeschritten ist. 

Beweis dafür, dass die Verlandung hier bereits weit fortgeschritten ist, sind die Böden am Uferrand. Josef Fischer schreitet am Wasser entlang, vor einiger Zeit wäre das nicht möglich gewesen. Der Boden unter seinen Füssen bewegt sich auf und ab, aber er trägt ihn. «Pro Jahr werden hier etwa 20 bis 30 Kilogramm Stickstoffverbindungen ausgeregnet. Das beschleunigt das rege Pflanzenwachstum noch mehr», erzählt Fischer.

Die Pflanzen werden von der Natur regelmässig selbst entsorgt. «Sie sterben ab und landen zusammen mit dem Laub von den Bäumen auf dem Grund. Dort werden sie zu Faulschlamm, der in diesem Teil des Altarms bereits etwa einen halben Meter hoch ist», erklärt der Biologe. Dieser Schlamm setzt Methan frei und der Sauerstoff im Wasser verschwindet. «Früher lebten hier viele Seemuscheln. Heute findet man von ihnen eigentlich nur noch leere Schalen. Das heisst, dass die Sauerstoffzehrung bereits weit fortgeschritten ist.»

Grosse Anspannung beim Einwassern der Riesenmaschine

Für die Schläuche, Geotubes und Mulden wurde am Ufer ein Platz eingerichtet. Dafür brauchte es eine Baubewilligung und den Zuspruch des Landbesitzers Adrian Hausherr. Dieser beobachtete das Spektakel gespannt, das sich bei der Anlieferung des Saugbaggers am vergangenen Freitagmorgen auf seinem Grundstück abspielte.

Die Firma aquamarine-technologies benötigte zum Einwassern der grossen Maschine die Hilfe eines Pneukrans. Geschäftsführer Tobias Juchler war erleichtert, dass alles gut geklappt hat. «Der Saugbagger ist das Herzstück und der Taktgeber des Projektes. Es ist immer eine Anspannung, bis er endlich im Wasser ist», erzählte er.

Die Maschine könne 30 bis 50 Kubikmeter Feststoff pro Stunde absaugen. Ob der entfernte Faulschlamm zum kompostieren geeignet ist oder aufgrund vieler Giftstoffe fachgerecht entsorgt werden muss, werde sich erst zeigen, wenn die erste Proben untersucht werden. Das Renaturierungsprojekt soll bis im kommenden Mai beendet werden.