Schulstart im Aargau: Wegen Lehrermangel kommt es trotz Corona zu Grossklassen

Corinne Prowe weiss noch nicht, wer ihre 2./3. Primarklasse im neuen Schuljahr unterrichten wird. Da die ursprüngliche Lösung nicht klappte, sei die Stelle wieder unbesetzt, sagte die Schulleiterin von Birr noch am Freitag gegenüber der Aargauer Zeitung. Die ersten Schulwochen seien zum Glück durch eine zweite Klassenlehrperson abgedeckt, doch diese beginnt im September das Semester und kann daher nicht Vollzeit unterrichten. «Deswegen suchen wir noch immer intensiv nach einem Klassenlehrer.» Falls Prowe bis im September niemanden findet, muss die Schule intern eine Lösung suchen.

Qualifizierte Lehrerpersonen sind offenbar schwer zu finden

Der diesjährige Schulbeginn ist in der Tat nicht einfach. Während die Sek-II-Schulen mit der Umsetzung der Maskenpflicht beschäftigt sind, hat die Volksschule mit dem Lehrermangel zu kämpfen: Auf dem kantonalen Stellenportal wurden am Donnerstagmorgen 59 Lehrkräfte für das neue Schuljahr ab heute Montag gesucht. Zwar handelte es sich meistens um kleine Pensen, doch auch 24 Stellen mit einem Pensum von mehr als 50 Prozent waren noch immer ausgeschrieben. Die Anzahl tatsächlich freier Lehrerstellen liegt jedoch möglicherweise tiefer, da die Inserate nicht immer gelöscht werden. Regierungsrat Alex Hürzeler wird an der heutigen Pressekonferenz zum Schulstart die aktuellen Zahlen bekanntgeben.

In sechs Fällen fehlt der betroffenen Schule laut Stellenportal wie in Birr ein Klassenlehrer oder eine Klassenlehrerin. Dazu zählt auch die Schule Bremgarten. Gleich in zwei Primarschulhäusern blieb jeweils eine Stelle als Klassenlehrer frei, sagt Gesamtschulleiter Guido Wirth. Deswegen wurden Klassen zusammengelegt und zwei zahlenstarke Jahrgänge werden weiterhin gemeinsam unterrichtet. Dies führt trotz Corona zu Grossklassen mit zum Teil mehr als 25 Kindern. «Es ist nicht die Lösung, die wir uns gewünscht haben», sagt Wirth. Doch eine Alternative zu diesem «Plan B» habe es nicht gegeben. Die Stellenausschreibung hat die Schule inzwischen gelöscht, der Mangel aber bleibt bestehen.

Mehr Glück hatte Simon Wullschleger. Der Schulleiter von Neuenhof fand in der dritten Sommerferienwoche doch noch eine Lehrperson für das Fach Französisch. Doch die Situation sei angespannt. «Es ist schwierig, kompetente und qualifizierte Lehrpersonen zu finden», so Wullschleger. Alle drei Schulleiter haben viele Bewerbungen erhalten, die den fachlichen Ansprüchen nicht genügten. Doch das Grundproblem sei, dass nur wenige Lehrkräfte überhaupt zur Verfügung stünden, erklärt Wirth: Die Studierenden, Teilzeitlehrer und Pensionierten, die früher bei Lücken einsprangen, seien heute wegen des Lehrermangels bereits «eingebunden».

Viele Lehrer gehen in Pension, zu wenig neue kommen nach

«Die Lage ist seit etwa fünf Jahren unverändert schlecht und wird nicht besser. Jedes Jahr haben wir dasselbe Problem», sagt Philipp Grolimund, Präsident des Schulleiterverbands. Die Schulleitungen hätten jedes Jahr grosse Mühe, alle Stellen zu besetzen, und müssten sich am Schluss häufig mit Not- und Überbrückungslösungen zufriedengeben. Ein Grund dafür sei, dass viele Lehrkräfte in Pension gehen, ohne dass genügend neue nachkommen. Ausserdem seien die Lehrerlöhne im Aargau nicht konkurrenzfähig im Vergleich zu denen der umliegenden Kantone. Das neue Lohnsystem, das im Januar 2022 eingeführt werden soll, sei deswegen «zwingend nötig», so Grolimund. Es soll vor allem jungen Lehrpersonen einen höheren Lohn und Laufbahnoptionen ermöglichen. Lehrer verdienen (Stand 2019) im Aargau im ersten Jahr 3000 Franken weniger als in Solothurn und gar 13000 Franken weniger als in Zürich.

Während andere noch immer auf der Suche sind, hat Stefan Späni dieses Jahr mehr Bewerbungen als sonst erhalten, darunter viele von erfahrenen Lehrpersonen. Der Schulleiter von Menziken führt dies auf die neue Ressourcierung der Volksschule durch den Kanton zurück: Im neuen Berechnungsverfahren erhalten Schulen mit höheren sozialen Ausgaben mehr Lektionen zugesprochen und brauchen daher mehr Lehrpersonen. Zu diesen Schulen gehört Menziken.

Andere Schulen hingegen erhalten weniger und mussten so ihren Lehrkräften kündigen, welche nun eine neue Stelle suchten. Von diesem Effekt haben weder Wirth noch Prowe etwas gespürt.