So hart trifft das Coronavirus die Aargauer Wirtschaft – eine Übersicht in sechs Punkten

Fast vier Monate sind seit dem Lockdown vergangen. Längst sind die Bestimmungen für viele Bereiche der Wirtschaft wieder gelockert, doch das Virus hält die kantonale Wirtschaft weiter fest im Würgegriff. Anlass genug, nachzufragen, wie hart das Coronavirus die Aargauer Wirtschaft trifft.

1. Branchen: Welche für den Kanton wichtigen Branchen trifft es am härtesten?

Natürlich gibt es Gewinner in einer Krise, aber bei der Coronapandemie zeigt sich, dass es praktisch in jeder Branche Verlierer gibt. Fast alle hat es getroffen. Gastronomie, Hotellerie, Event-Veranstaler, Detailhandel, Dienstleister wie Coiffeure oder Kosmetikstudios, aber auch das verarbeitende Gewerbe. Das zeigt sich auch bei der Nachfrage nach den Coronakrediten, so die Aargauische Kantonalbank (AKB). Sieht man von der Höhe der Kredite ab, die einzig vom Umsatz eines Unternehmens abhängt, so sei die Nachfrage in fast allen Branchen gleich.

Gelitten haben zuerst alle Betriebe, die direkt vom Lockdown betroffen waren. Aber da weltweit Grenzen geschlossen und Flugverbindungen ausgesetzt wurden, litt bald auch der Handel. Beat Bechtold, Direktor der Aargauischen Industrie- und Handelskammer (AIHK), sagt: «Der Zugang zu den Märkten ist zeitweise ganz weggebrochen. Zuerst in China, dann Italien, Europa, USA und Südamerika.»

Das hat Konsequenzen. «Etliche Grossunternehmen können sich mit Kurzarbeit nicht mehr über Wasser halten und künden Stellenabbau an», sagt Kurt Schmid, Präsident des Aargauischen Gewerbeverbandes (AGV). Vor allem in der für den Kanton wichtigen Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie erwartet man wachsende Arbeitslosenzahlen. Das wirkt sich natürlich auch auf die nachgelagerten kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) aus. Es darf dabei nicht vergessen gehen, so Schmid, dass sich nach den Lockerungen viele Betriebe haben auffangen können. Auch weil der Einkaufstourismus teilweise komplett unterbunden war.

2. Kurzarbeit: Wie viele Betriebe sind derzeit im Aargau auf Kurzarbeit?

Die nackten Zahlen sprechen Bände. Fast 11’000 Betriebe haben im Kanton Aargau Kurzarbeit beantragt, bei denen insgesamt fast 170’000 Menschen arbeiten. Ab September muss die Kurzarbeit neu angemeldet werden. Wie viele das tun werden, das ist ungewiss. Der Bund geht davon aus, dass rund die Hälfte neuerlich einen Antrag stellen werden. Dies aber wird mit einem deutlich grösseren administrativen Aufwand verbunden sein als bisher.

Aber der Bundesrat will zurück zu mehr Normalität. Auch bei der Kurzarbeit. Kein vereinfachtes Verfahren mehr, Schluss mit ein Auge zudrücken. «Es ist unklar, wie viele Unternehmen wieder Kurzarbeit beantragen. Sollten es sehr viele sein und können die Arbeitsämter die erforderlichen Personalressourcen nicht oder nur mit Verzögerung aufbauen, wird es Verzögerungen geben», sagt Giovanni Pelloni, stellvertretender Leiter des kantonalen Amtes für Wirtschaft und Arbeit. Die Befürchtung: Die Verzögerungen könnten Entlassungen und Konkurse zur Folge haben.

Darauf hat Regierungsrat Urs Hofmann die Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz (VDK) schon vorletzte Woche hingewiesen und eine entsprechende Intervention beim Bundesrat gefordert. Gewerbeverbandspräsident Kurt Schmid sieht die Rückkehr zum bürokratischeren Verfahren kritisch: «Das ist ein klassisches Beispiel für übertriebenen administrativen Mehraufwand. Dagegen kämpfen wir fortwährend an. Die überrissene Bürokratie ist in unserem Sorgenbarometer unverändert die überrissene Bürokratie.»

3. Kredite: Wie viele Corona-Kredite wurden von Aargauer Unternehmen beantragt?

Im Kanton Aargau wurden laut den aktuellsten Zahlen des eidgenössischen Departementes für Wirtschaft, Bildung und Forschung 7233 Coronakredite beantragt. Durchschnittlich verfügten die Kredite über eine Limite von rund 113’500 Franken. Die Zahl beantragter Bundes-Kredite wird sich nicht mehr verändern, da die Frist zur Beantragung Ende Juli auslief. Startups haben diese Möglichkeit noch bis Ende Monat. Und kantonale Kredite können noch bis Ende September beantragt werden. «Wir rechnen mit einer überschaubaren Anzahl von Anträgen», teilt die AKB auf Anfrage mit.

Eine Anfrage bei verschiedenen Aargauer Bankinstituten zeigt: Erste Unternehmen haben ihre Kredite schon zurückbezahlt. Roland Teuscher, Sprecher der Neuen Aargauer Bank NAB, sagt: «Es gibt auch kleinere, finanziell vorsichtigere Betriebe, die bereits bezogene Kredite auf Monatsbasis zurückzahlen.» Und Thomas Sommerhalder, UBS-Regionaldirektor Aargau/Solothurn, sagt: «Bei uns besteht bei weniger als einem Prozent überhaupt ein Verdachtsmoment auf Betrug.» So ähnlich tönt es auch bei den anderen angefragten Banken.

4. Arbeitslosigkeit: Ist durch Corona die Arbeitslosigkeit gestiegen?

Laut den neusten Arbeitsmarktzahlen waren im Juli 13’251 Personen im Kanton Aargau arbeitslos, das entspricht einer Arbeitslosenquote von 3,5 Prozent. Im Vergleich zum Juni 2020 waren damit 34 Personen mehr ohne Stelle, die Quote blieb aber unverändert. Dramatischer sieht es aus, wenn man die Arbeitslosigkeit vom Juli 2019 mit den aktuellen Zahlen vergleicht. Damals waren 4550 Personen mehr im Arbeitsmarkt eingebunden, die Arbeitslosigkeit hat also um über 50 Prozent zugenommen innerhalb von zwölf Monaten.

Die NAB geht davon aus, dass die Arbeitslosigkeit ungefähr auf diesem Niveau bleiben dürfte. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit rechnet mit einer weiteren Erhöhung der Arbeitslosenquote und rechnet mit 4 bis 4,3 Prozent Arbeitslosen bis Ende Jahr. Sicher ist, dass diese Zahl im Kanton meist leicht über dem Schweizer Mittel liegt (derzeit 3,5 Prozent Arbeitslose im Aargau und 3,2 Prozent schweizweit).

5. Konkurse: Gab es wegen Corona mehr Konkurse?

Konkrete Zahlen zu den bisher eröffneten Konkursverfahren will Beatrice Reinhardt, Leiterin des Aargauer Konkursamtes nicht bekannt geben, weil die dazu notwendigen Erklärungen rein spekulativ wären. Und, so Reinhardt: «Spekulationen liegen mir fern.»

Fakt ist, dass in einigen Kantonen die Zahl der Konkurse im Vergleich zum Vorjahr gesunken sind. Nehmen wir das Beispiel Solothurn: Dort wurden es in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 238 Verfahren eröffnet, wie Daniel Schmalz, Leiter des Solothurner Konkursamtes sagt. Im gleichen Zeitraum im Vorjahr waren es 288 Verfahren. Das mag erstaunen, hat aber seine Logik. Der Bund hat im Rahmen der Corona-Sofortmassnahmen einen Rechtstillstand beim Betreibungswesen beschlossen. Dazu kamen Kredite und Kurzarbeit, die Konkurse verhindern sollen.

Das aber ist und bleibt eine Momentaufnahme. Und das ist der Grund, dass Beatrice Reinhardt sagt: «Die effektiven Folgen werden sich erst mit Verzögerung zeigen und uns voraussichtlich die kommenden Monate und Jahre beschäftigen.»

6. Vergleich: Wie steht der Aargau im Vergleich zum Rest der Schweiz da?

Gemäss Kof-Konjunkturumfrage haben die Zentralschweiz und die Genferseeregion die wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie am stärksten gespürt. Die Nordwestschweiz war nicht ganz so schwer betroffen.

Die Gründe dafür sieht die AKB vor allem darin, dass die Nettoexporte im Aargau weniger stark eingebrochen sind als im Rest der Schweiz. Sie schreibt: «Dies ist allerdings nur auf die vergleichsweise solide Entwicklung von Pharma und Chemie zurückzuführen, welche im ‘Exportportfolio’ des Kanton Aargau einen hohen Anteil aufweisen.» Zudem sei der Aargau weniger stark vom Tourismus abhängig als andere Kantone wie das Wallis oder das Tessin, habe eine tiefere Anzahl an Kulturunternehmen als der Rest der Schweiz und eine kleinere Eventbranche. Die Anzahl der Stellenangebote habe sich zudem schneller erholt als im Rest der Schweiz (allein im Juli hat die Zahl der gemeldeten offenen Stellen um 621 zugenommen, was einer Zunahme von 24 Prozent entspricht).

Die NAB geht davon aus, dass die Weltwirtschaft in der zweiten Jahreshälfte kräftig wachsen dürfte. Aufgrund der Milliardenprogramme der Regierungen, aber auch wegen der anhaltend tiefen Zinsen. NAB-CEO Roland Herrmann sagt: «Die NAB erwartet, dass die exportorientierten Branchen der Aargauer Wirtschaft von diesem globalen Trend profitieren können, wobei der unverändert starke Schweizer Franken für den Export eine Herausforderung bleiben wird.»