
Soll der Wasserkanton Aargau mehr Feuchtgebiete wiederherstellen?
Der Bundesrat will der Biodiversitätsinitiative (Box rechts) einen indirekten Gegenvorschlag gegenüberstellen und so genügend Naturschutzflächen schaffen. Der Aargauer Regierungsrat lehnt die Initiative ab, begrüsst aber die grundsätzliche Stossrichtung des Gegenvorschlags. Gemäss dem Aichi-Abkommen hat die Schweiz rund 17 Prozent der Fläche als Schutzgebiete mit langfristiger Sicherung festzulegen. Die Fläche soll repräsentativ für schutzwürdige Lebensräume sein. Dies bedeute, so die Regierung, «dass entsprechende Flächen charakteristischer Lebensräume im Mittelland und im Jura zu erhalten oder neu anzulegen und als Kerngebiete auszuscheiden sind». Zusätzliche Flächen seien als Vernetzungsgebiete auszuscheiden. Diese Vernetzungsflächen müssten nicht zwingend raumplanerisch oder vertraglich geschützt sein. Es könne sich auch um Flächen mit biodiversitätsfördernder Nutzung handeln.
Pro Natura: Feuchtgebiete wiederherstellen
Matthias Betsche, Geschäftsführer von Pro Natura Aargau, begrüsst den Gegenvorschlag ebenfalls. Er ist ihm «aber angesichts der Gefährdung von fast 40 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz noch ein zu kleiner Schritt». Ohne zusätzliche Flächen für die Natur drohten fundamentale Ökosystemleistungen für Gesellschaft und Wirtschaft verloren zu gehen. Wenn die Natur nicht mehr richtig funktioniert, berge dies beträchtliche Risiken für den Wohlstand, mahnt Betsche.
Es bedürfe einer ökologischen In-frastruktur von 30 Prozent der Landesfläche, um die Biodiversität nachhaltig zu schützen. Der Kanton selbst habe wissenschaftlich erarbeitet, was dies heisst: Der zusätzliche Flächenbedarf für die Biodiversität im Aargau gegenüber heute belaufe sich auf je rund 3 Prozent der Kantonsfläche für Kerngebiete und für Vernetzungsgebiete. Gerade der Wasserkanton Aargau stehe in der Verantwortung, «verloren gegangene Feuchtgebiete wiederherzustellen. Er hat bereits über 90 Prozent davon verloren. Der Lebensraum Wasser wird mit fortschreitendem Klimawandel eminent wichtig für unsere Zukunft», betont Betsche.
Eine ökologische Infrastruktur schliesse die landwirtschaftliche Nutzung nicht aus: «Beides kann Hand in Hand gehen.» So begrüsst Betsche auch den Vorschlag des Regierungsrates, die finanziellen Anreizsysteme zu überprüfen, um die Biodiversitätsförderflächen in der Landwirtschaft auszubauen.
Soll aus feuchtem Boden wieder Flachmoor werden?
Der grüne Grossrat, Bio-Landwirt und Umweltpolitiker Thomas Baumann setzt auf die Biodiversitätsinitiative, könnte aber auch mit dem Gegenvorschlag leben. Der beinhalte sogar besser ausgearbeitete Forderungen, wie zum Beispiel die öffentliche Hand künftig bauen soll. Natürlich brauche es mehr naturnahe Landschaften auch im Mittelland: «Damit meine ich nicht einfach Landwirtschaftsfläche, sondern explizit öffentliche und private Grünflächen im Siedlungsgebiet. Hier braucht es gar mehr ökologische Qualität. In unserem Siedlungsgebiet gibt es Lebensraum für rund 2000 unserer einheimischen, wildlebenden Tier- und Pflanzenarten. Ein Reichtum, den wir nutzen sollten, der unsere Gemeinden sehr attraktiv macht und sogar Kosten spart.»
Grosses Potenzial für zusätzliche Feuchtgebiete sieht Baumann in Landwirtschaftsböden, deren Drainagen sich dem Lebensende nähern. Bei der Sanierung sei zu überlegen, wo es sich wirklich lohnt, weiter ökonomisch gesehen Nahrungsmittel zu produzieren. Aus etlichen feuchten Böden aber, etwa in der Reussebene, wo es viele anbautechnische Probleme gebe, «würde man besser wieder Flachmoore herstellen». Er sieht da auch Chancen für die Bauern. Denn auch diese müssen bewirtschaftet werden, «und können als Dienst an der Gesellschaft mit Direktzahlungen einen guten Beitrag an das bäuerliche Einkommen bieten».
Moore wiederherstellen? Da machen Bauern nicht mit
Sollten auch Moore renaturiert werden, würden sie das nicht hinnehmen, sagt Bauernverbandspräsident und SVP-Grossrat Christoph Hagenbuch: «Unsere Grossväter haben diese in Fronarbeit trockengelegt, um Lebensmittel zu gewinnen. Falls jetzt jemand das alles vom klimatisierten Büro aus kaputtmachen will, wehren wir uns.» Beim Nein zur Biodoversitätsinitiative ist Hagenbuch mit der Regierung einig: «Die Initiative geht gar nicht, sie ignoriert die grossen Leistungen der Landwirtschaft in Sachen Biodiversität.» Ob er den Gegenvorschlag unterstützt, hängt davon ab, wie er am Schluss aussieht.
Ihm fehlt in der Regierungsantwort jedoch die Neophytenproblematik als grosse Gefahr für die Biodiversität. Er fordert, «endlich die Grundlagen zu schaffen, damit diese bekämpft werden müssen». Er fährt sofort mit dem Bagger auf, wenn er auf seinen Feldern Erdmandelgras, einjähriges Berufkraut oder andere Neophyten entdeckt: «Aber was bringts, wenn es auch am gegenüberliegenden Strassenbord wächst und versamt?»
Gar nichts hält Hagenbuch von der Position der Regierung, es brauche zusätzlich je rund drei Prozent der Kantonsfläche für Kerngebiete und für Vernetzungsgebiete: «Der Wald wird immer naturnaher, schon 16 Prozent der Landwirtschaftsfläche ist Ökofläche. Wir wollen doch weiterhin auch noch Lebensmittel produzieren! Alles was hier dann fehlt, muss auf langen Wegen importiert werden, und fehlt dann in Gebieten, in welchen Menschen schon heute Hunger leiden.»
Biodiversitätsinitiative
Die Biodiversitätsinitiative will den Schutz der Artenvielfalt stärken, deren langfristigen Erhalt sichern, den Landschaftsschutz stärken, die Baukultur fördern. Dies wegen des anhaltenden Verlusts an biologischer Vielfalt sowie an landschaftlicher und baukultureller Qualität. Sie fordert mehr Flächen für die Natur sowie mehr Geld für Erhalt und Förderung der natürlichen Vielfalt. Der Bundesrat teilt im Grundsatz das Anliegen, die Initiative geht ihm aber zu weit. Sie würde geltende Kompetenzen sowie den Handlungsspielraum von Bund und Kantonen übermässig einschränken, findet er. Der Bund will mit einem indirekten Gegenvorschlag genügend Schutzfläche schaffen. (mku)